"Wer seid ihr überhaupt?"

Von Interview: Richard Rother
Thiel, Andreas, Gewerkschaft, Handball
© Getty

München - Ausgebrannt und kraftlos. Die müden Krieger der großen Klubs klagen über Vielfachbelastung.

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"Wir werden verheizt", schimpfte HSV-Nationalspieler Pascal Hens unlängst. Sein Teamkollege Bertrand Gilles schlug in die gleich Kerbe: "Wir werden behandelt wie ein Stück Fleisch."

Zuletzt schaltete sich auch noch HSV-Trainer Martin Schwalb ein und forderte eine Art Spielergewerkschaft.

Einer der als Aktiver nie ein Blatt vor den Mund nahm und zu kritischen Themen immer Stellung bezog, ist Torhüterlegende Andreas Thiel.

Wie die Stars der Top-Klubs von heute sah sich der studierte Jurist während seiner Karriere einer Mehrfachbelastung durch Nationalmannschaft (256 Einsätze), Europapokal und Bundesliga ausgesetzt. SPOX.com sprach mit dem Hexer über die aktuelle Debatte.

SPOX: Herr Thiel, Martin Schwalb prangert zu hohe Belastungen an, unter denen die Spieler zu leiden hätten. Müssen sich die Spieler Ihrer Meinung nach zur Wehr setzen?

Andreas Thiel: Wenn die Spieler der Ansicht sind, sich wehren zu müssen, dann ist das ihr gutes Recht.

SPOX: Sehen Sie das als nötigen Schritt?

Thiel: Die Frage ist, ob das tatsächlich hilfreich sein könnte. So etwas wie Tarifverträge gibt es nicht. Man muss das alles konsequent zu Ende denken und sich die Frage stellen, ob man sich mit etwaigen Arbeitskampfmaßnahmen einen Gefallen tut.

SPOX: Was wäre denn durch eine national gegründete Spielervereinigung international erreichbar?

Thiel: Nichts. Die IHF (Handball-Weltverband, d. Red.) würde glasklar sagen: 'Wer seid ihr überhaupt?' Im Prinzip gelten der deutsche Handballbund, der französische und spanische Handballbund und nicht irgendwelche gegründeten Vereinigungen. Geredet wird letztlich mit den Verbänden.

SPOX: Nehmen Sie es dem Generalsekretär des europäischen Verbandes, Michael Wiederer, ab, dass er den Vorschlag von Herrn Schwalb begrüßt?

Thiel: Warum soll ich ihm nicht glauben? Aber man muss auch mal Klartext reden: Die Jungs sind von Beruf Sportler und verdienen gutes Geld. Die wenigsten sind einer Doppelbelastung ausgesetzt. Und wenn ich englische Wochen habe, dann muss ich weniger trainieren. Ich sehe das nicht so kritisch. Ich habe zumindest ein Studium begonnen und zu Ende geführt, was heutzutage auch nicht mehr das Übliche ist.

SPOX: Können Sie dennoch die Sorge der Spieler und Trainer nachvollziehen?

Thiel: Ich habe viel Verständnis für die großen Vereine, für die Spitzenvereine in Europa, die das tragende Personal aller Nationalmannschaften, die an großen Wettbewerben wie EM, WM und Olympia teilnehmen, bezahlen und finanzieren. Wenn sich diese Vereine beklagen, dass EHF und IHF mit diesen Veranstaltungen Gewinne machen und gleichzeitig die Vereine im Verletzungsfall nicht von den Gewinnen partizipieren, ist das nachvollziehbar.

SPOX: Sie stehen der EHF also eher kritisch gegenüber?

Thiel: Nein. Das wäre ein falscher Zungenschlag. Ich sehe das auch aus Sicht der Vereine: Wenn ihr schon so viele Wettbewerbe ausrichtet, dann lasst uns an den Gewinnen partizipieren, denn wir alimentieren das Personal. Ich habe vielmehr meine Probleme, die Spieler zu verstehen. Immerhin verdienen sie hinreichend Geld und haben ihr Hobby zum Beruf gemacht.

SPOX: Sie sehen es also als überzogen, wenn sich ein Pascal Hens über Termine und Doppelbelastung beschwert?

Thiel: Er muss mit den Konsequenzen leben. Wer A sagt, muss auch B sagen.

SPOX: Herr Schwalb sprach von müden Kriegern. Sehen Sie es so, dass die WM-Euphorie ungenutzt ist?

Thiel: Die Halbwertzeit von Titeln ist mittlerweile eine ganz andere als noch vor 20 Jahren, was sicher auch am internationalen Wettkampfkalender liegt. Wenn es alle zwei Jahre eine WM gibt, dann ist das was anderes, als wenn es alle vier Jahre eine gibt. Die WM war eine Momentaufnahme. Der Titel ist aber im Grunde nichts anderes als die Krönung der Arbeit der letzten sechs oder sieben Jahre Arbeit von Heiner Brand. Wir waren bei den letzten Turnieren immer vorn dabei, jetzt haben wir ein Turnier gewonnen. Dass dieser Titel beim Scheitern im Viertelfinale von Peking sowieso nichts mehr wert ist, darüber brauchen wir uns angesichts der Medienlandschaft heutzutage nicht ernsthaft zu unterhalten.

SPOX: Plädieren Sie für veränderte Rhythmen von Großveranstaltungen?

Thiel: Wenn Sie mich fragen, ob ein vierjähriger Rhythmus sinnvoll ist, dann sage ich: ja. Ob die IHF und EHF das vorhat? Da sage ich: nein. Und das kann ich auch verstehen, denn die ganzen kleinen Verbände wollen sooft wie möglich eine Chance haben, sich zu präsentieren. EHF und IHF sind Dachverbände, die nicht nur Rücksicht auf die Großen nehmen können.

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