"Körbe werfen um 3 Uhr nachts"

Dagur Sigurdsson führte Deutschland nach langer Zeite wieder zu internationalen Erfolgen
© getty
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SPOX: Mit Ihrer Denke musste man sich beim DHB erst einmal zurechtfinden, als Sie kamen. Sie haben einiges geändert, unter anderem hatten Sie keine Lust mehr auf zu viele Mails.

Sigurdsson: (lacht) Na ja, ganz so war es nicht. Sie müssen sich mal in meine Lage versetzen. Ich hatte damals eine Doppelbelastung mit zwei Jobs und plötzlich wurde ich als Bundestrainer gefühlt bei jeder DHB-Mail cc gesetzt, egal um was es ging. Man darf nicht vergessen, dass ich Ausländer bin und ich mich bei deutschen Emails immer ein bisschen durchkämpfen muss, es dauert alles etwas länger. Ich will ja auch nichts falsch verstehen. Bevor die Leute erwartet haben, dass ich ihnen lange Antwort-Mails schreibe, haben wir das ein bisschen eingedämmt und nur noch eine Person durfte mir schreiben. Am liebsten sind mir ohnehin kurze Nachrichten, oder wir telefonieren am besten, das fällt mir leichter.

SPOX: Sie sagen aber auch: Wer viel redet, sagt oft das gleiche. Sie sind kein Typ für Small Talk, wie halten Sie es im Umgang mit der Mannschaft?

Sigurdsson: Ich bin überzeugt, dass es sowohl für mich als auch die Spieler gut ist, wenn wir ein bisschen Abstand halten. Für die Spieler ist es auch nicht verkehrt, wenn ihnen nicht ständig einer über die Schulter schaut und sie ein wenig Ruhe haben. Wenn ich mit einem Kaffee trinken würde, müsste ich das mit allen anderen auch machen. Das ist nicht mein Ding. Was handballerisch besprochen werden muss, wird natürlich besprochen, aber ansonsten halte ich Distanz.

SPOX: Dafür machen Sie dann Teambuilding-Maßnahmen, auf die man erstmal kommen muss. Ein Beyonce-Hit musste von den Jungs performt werden, oder auch Romeo und Julia. Hatten Sie nicht Angst, dass die Spieler Ihnen den Vogel zeigen?

Sigurdsson: Ich hatte schon die Hoffnung, dass sie mitmachen würden. Gensheimer war stark bei Romeo und Julia... (lacht) Was wichtig ist: Für viele, die davon hören, ist das sehr "out of the box" gedacht, was wir da gemacht haben. Aber ich war dabei in meiner Komfortzone. Wir haben es in meinem Hotel gemacht, mit Familienmitgliedern, denen ich vertraue. Für mich war das "in the box". So hatten wir dann auch eine coole Zeit zusammen. Ich muss aber dazu sagen, dass ich generell gar kein großer Fan von zu vielen Teambuilding-Geschichten oder Motivations-Videos bin. Es muss passen.

SPOX: So wie die Nummer mit den Bad Boys?

Sigurdsson: Genau. Die Jungs sind ja alle überhaupt keine Bad Boys, sie waren zu dem Zeitpunkt aber viel zu brav und haben teilweise nicht hart genug spielt. Da sind mir die Pistons in den Sinn gekommen. Ich war zwar kein Fan von ihnen, aber als Teamplayer haben sie mich fasziniert. Mich hat die ganze NBA damals wie so viele in den Bann gezogen. Wir haben in Island nachts die Finals geschaut und danach um 3 Uhr haben wir noch selbst Körbe geworfen - es war ja die ganze Nacht hell bei uns im Juni.

SPOX: Mit dem völlig unerwarteten EM-Titel sind die Bad Boys zur Marke geworden. Olympia-Bronze in Rio hat den Erfolg untermauert. Worauf sind Sie am meisten stolz?

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Sigurdsson: Ganz vorne steht die Arbeitsmoral der Truppe, die wirklich unglaublich geworden ist. Natürlich bin ich stolz auf den EM-Titel. Unsere Reise dorthin war bemerkenswert. Wenn ich daran denke, dass meine Frau meinen Taktikzettel gerade noch rechtzeitig aus der Hosentasche holte, bevor er in der Waschmaschine gelandet wäre, und er jetzt in Köln im Museum hängt - das ist schon verrückt. Aber fast noch mehr bedeutet es mir, dass wir den Erfolg bei den Olympischen Spielen bestätigen konnten. Ich bin auch unglaublich glücklich, wenn wir wie zuletzt die Quali-Spiele gegen Portugal und die Schweiz erfolgreich bestreiten. Auch kleine Schritte sind mir wichtig und machen mich zufrieden.

Brack-Kolumne: "DHB-Team fehlt Weltklasse-Playmaker"

SPOX: Allgemein werden dem DHB-Team goldene Zeiten vorausgesagt, weil der Kader in der Breite lange nicht mehr so gut war. Dr. Rolf Brack meinte in seiner SPOX-Kolumne auch, dass zwar ein Weltklasse-Playmaker fehlt, aber man ansonsten top aufgestellt ist. Sind weitere Titel also realistisch?

Sigurdsson: Die Mannschaft ist definitiv auf einem super Weg. Die Stimmung passt und wir zählen für mich jetzt zu den Top-6 der Welt. Dennoch ist es im Handball so eng, dass bei jedem Turnier alles passen muss. Wenn die Tagesform nicht passt, bist du sofort raus. Du musst jedes Mal Leistung bringen.

SPOX: Als Sie antraten als Bundestrainer, war Olympia-Gold 2020 der Leitgedanke. Jetzt werden Sie den DHB vielleicht verlassen. Kamen die Erfolge einfach früher als gedacht?

Sigurdsson: Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass die Erfolge keine Rolle spielen würden. Dank der Erfolge habe ich jetzt Angebote auf den Tisch bekommen. Deshalb habe ich den DHB informiert und muss jetzt eine Entscheidung treffen.

SPOX: Ihr Bruder hat Sie als Reisender bezeichnet. Als jemand, der eben gerne mal den Weg einschlägt, mit dem keiner rechnet.

Sigurdsson: Ich kann sagen, dass ich gut darin bin, Entscheidungen zu treffen. Ich bin kein Typ, der schlaflose Nächte hat. Ich weiß nicht, ob meine Entscheidungen immer richtig sind, so arrogant bin ich nicht, aber ich kann immer gut mit ihnen leben. Das wird auch jetzt wieder so sein.

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