Ein Dagur für ein Halleluja

Dagur Sigurdsson soll das DHB-Team zurück in die Weltspitze führen
© imago

Mit den EM-Quali-Spielen gegen Finnland am Mittwoch und vier Tage später in Österreich wird es für den neuen Bundestrainer Dagur Sigurdsson ernst. Der Isländer ist genau der richtige Mann für die Aufgabe, die sich seit einigen Jahren in einer Krise befindende deutsche Nationalmannschaft aus dem Tal der Tränen zu führen.

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Die Mission beginnt, der Auftrag ist klar: Der größte Handballverband der Welt muss dahin zurück, wo er hingehört - an die Spitze. Großereignisse ohne das DHB-Team darf es in den kommenden Jahren nicht mehr geben. Und zwar einzig aufgrund von überzeugenden sportlichen Auftritten, nicht durch eher peinliche Umstände, die zur "Teilnahmeberechtigung" an der kommenden WM in Katar führten.

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Der erste Schritt ist die Qualifikation für die Europameisterschaft in Polen 2016. Deutschland bekommt es mit Spanien, Österreich und Finnland zu tun. Die ersten beiden jeder Gruppe sowie der beste Gruppendritte lösen das Ticket.

Leiter der Mission ist nach dem Aus von Martin Heuberger der Isländer Dagur Sigurdsson. Der 41-Jährige soll folgende Fragen möglichst flott vergessen machen. Was ist nur aus dem deutschen Handball geworden? Was lief nach dem WM-Titel 2007 schief? Wie kann es sein, dass die Heimat der stärksten Liga auf unserem Planeten keine Nationalmannschaft stellt, die den Großen auf Augenhöhe begegnet?

Unnötige Diskussion um Doppelfunktion

Die Diskussionen um Sigurdssons Doppelfunktion als DHB- und Füchse-Coach sind dafür unzuträglich und unnötig. Er hört als Trainer der Berliner ohnehin nach der Saison auf, außerdem kennt er die Situation aus seiner Vergangenheit als Österreich- und Berlin-Trainer. Er selbst geht damit gelassen um. "In Island ist es ganz normal, dass man zwei Jobs hat. Es ist das halbe Jahr lang dunkel, da sucht man sich eben ein paar Aufgaben mehr, um die Tage rumzukriegen", sagte Sigurdsson im "Handball-Magazin".

Obwohl freilich auch Sigurdsson keine Wunder vollbringen kann, ist er aus mehreren Gründen der richtige Mann für den DHB. Zunächst einmal wäre da die grundsätzliche Herangehensweise. "Die Nationalmannschaft hat gegenwärtig ein paar Probleme. Aber wir sollten versuchen, die Dinge ein wenig positiver anzugehen. Es bringt überhaupt nichts, alles stets nur schwarz zu sehen", meinte der frühere Spielmacher.

Recht hat er, der Dagur. Nur mit einer positiven Grundeinstellung - die man Sigurdsson zweifellos abnimmt - sind große Ziele erreichbar. Und seien wir ehrlich: Von wirklichem Optimismus war in der jüngeren Vergangenheit rund um das DHB-Team wenig zu spüren, was natürlich mancher gruseliger Darbietung geschuldet war.

Unaufgeregt, ehrlich, hart

Punkt zwei sind Sigurdssons Qualitäten als Coach. Er ist isländisch unaufgeregt, ein ehrlicher Arbeiter und auch mal harter Hund, der selbst in brenzligen Situationen Herr der Lage ist. Zudem versteht es Sigurdsson, was er bei den Füchsen Berlin in den letzten Jahren eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat, eine homogene Mannschaft zu formen.

Dazu gehört - Punkt drei - die Einbindung und Entwicklung junger Akteure. Dafür steht exemplarisch Paul Drux, der sich nicht nur in der Hauptstadt prächtig macht, sondern auch bei den anstehenden Quali-Spielen dabei sein wird.

Nur so reinschnuppern gibt es unter dem 215-maligen Nationalspieler aber nicht. Jungspunde müssen von Beginn an Vollgas geben und Verantwortung übernehmen. "Wenn ich junge Spieler mitnehme, dann mache ich das, weil ich fest davon überzeugt bin, dass sie der Mannschaft weiterhelfen", stellte Sigurdsson klar.

Jammern gilt nicht

Taktisch ist der gebürtige Reykjaviker flexibel, wie bereits bei seinen beiden Testspielen gegen die Schweiz (ein Sieg, ein Remis) zu sehen war. In der Deckung wird zwischen einer 6:0 und einer offensiveren 5:1-Formation gewechselt. In Unterzahl darf damit gerechnet werden, dass ab und zu anstatt des Torhüters im Angriff ein zusätzlicher Feldspieler auf der Platte steht.

Last but not least ist Sigurdsson isländisch pragmatisch. "Die Sonne scheint", gab er einmal zu Protokoll: "Wenn du gewinnst." Aufgrund des zur Verfügung stehenden Spielermaterials zu jammern, käme Sigurdsson zumindest in Sachen deutscher Nationalmannschaft nicht in den Sinn.

Klar gibt es die großen Namen nicht mehr wie früher am Fließband, verstecken muss sich Deutschland aber nach wie vor nicht. Leute wie Uwe Gensheimer, Steffen Weinhold oder Silvio Heinevetter genügen höchsten Ansprüchen.

Wie geht eigentlich Handball?

Unter dem Strich wird es mit den weiteren Spielern zumindest bei der unmittelbar anstehenden Aufgabe in Gummersbach gegen Finnland für einen überzeugenden Sieg reichen. Alles andere wäre ein schlechter Witz, obwohl es heute keine kleinen Gegner mehr gibt. Oder doch?

Die Finnen waren nur einmal bei einem großen Turnier vertreten (WM 1958), kamen in der ersten Quali-Runde in Luxemburg nicht über ein Remis hinaus und haben auch ansonsten wenig mit Handball am Hut - was sich schon bei einem Besuch auf der Homepage des Verbandes zeigt. Dort bekommt man lang und breit erklärt, worum es bei diesem Handball überhaupt geht. "Handball ist eine sehr actionreiche Sportart." Da schau her!

Finnlands Trainer ist derweil kein Unbekannter. Mikael Källman, der insgesamt 12 Jahre für Wallau-Massenheim und Essen spielte, wurde 1992 in der Bundesliga zum Handballer des Jahres gewählt.

Jetzt muss auch was kommen

Die Aufgabe in Österreich wird ungleich schwieriger, auch wenn bei unseren Nachbarn mit Viktor Szilagyi vom Bergischen HC der Kapitän mit Kniebeschwerden ausfällt. Ein Glück, dass Sigurdsson auch an dieser Stelle eine echte Bereicherung für den DHB ist. Er trainierte die Österreicher von 2008 bis 2010 und führte sie bei ihrer Heim-EM auf Rang neun - ein riesiger Erfolg!

Mit Weltmeister Spanien wartet als dritter Gruppengegner ein richtiger Kracher. Auch wenn Sigurdsson mit den Einstufungen leicht, mittelschwer und sauschwer nichts anzufangen weiß: "Käme immer alles so, wie man es sich im Vorfeld ausrechnet, gäbe es keine Überraschungen mehr. Egal ob Underdog oder Favorit - letztlich will ich doch einfach nur gewinnen."

Mit Deutschland, das ist sein Auftrag, reicht es in Zukunft nicht, nur gewinnen zu wollen. Sigurdsson muss gewinnen, um dem mittelfristigen Anspruch, wieder bei Europameisterschaften, Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen um Medaillen mitzuspielen, gerecht zu werden. Dessen ist sich der Isländer bewusst: "Ich bin nun Trainer der deutschen Nationalmannschaft. Und jetzt muss auch was kommen."

Bekannt wie ein bunter Hund

Mit dem zunehmenden Interesse an seiner Person, das das Amt des Bundestrainers mit sich bringt, wird Sigurdsson übrigens locker fertig. In Island ist er bekannt wie ein bunter Hund, wie eben jeder, der es im Handball zu etwas gebracht hat. "Jeder, der Augen hat, guckt Handball", beschrieb Sigurdsson einmal das Handball-Fieber auf seiner Insel.

Wenngleich er - isländisch bodenständig - den Rummel nicht zwingend braucht: "Ich hätte nichts dagegen, wenn nur halb so viel Halleluja um meine Person gemacht würde."

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