Ein Fehlstart? Ein Glücksfall!

Filip Jicha vom THW Kiel ist derzeit nicht in bester Verfassung
© getty

Drei Siege, zwei Niederlagen: Der THW Kiel hat für seine Verhältnisse einen desolaten Auftakt in die neue Saison erwischt. Für die Spannung in der HBL ein Geschenk - denn schon bald werden die Zebras nicht mehr zu stoppen sein. Alfred Gislason wird's richten.

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Die Expertenmeinungen waren vor Saisonbeginn einhellig wie selten zuvor: Der deutsche Meister kann nur Kiel heißen. Filip Jicha, Aron Palmarsson, Marko Vujin, Joan Canellas und Domagoj Duvnjak würden den vielleicht besten Rückraum bilden, den die HBL je gesehen hat.

Stefan Kretzschmar fürchtete gar einen Triumphzug wie 2011/2012, als der Rekordmeister mit einer aberwitzigen Punktausbeute von 68:0 die Liga aufmischte. Es schien eigentlich keinen plausiblen Grund zu geben, an der Übermacht der Zebras zu zweifeln. Eigentlich.

Einen kleinen Hoffnungsschimmer gab es für die Konkurrenz. Womöglich würde Trainer Alfred Gislason aus seiner Ansammlung von Weltklasseakteuren nicht von heute auf morgen eine funktionierende Einheit formen können.

Eine katastrophale Chancenverwertung

Und siehe da: Genau das ist eingetroffen. Mit zwei Niederlagen aus den ersten fünf Partien legten die Zebras einen beinahe historischen Fehlstart hin, beim Seriensieger aus dem Norden ist noch Sand im Getriebe. Noch greift nicht ein Rädchen ins andere.

21:27-Pleite bei den jungen Wilden vom TBV Lemgo, 21:22-Niederlage beim sportlichen Absteiger HBW Balingen-Weilstetten: Mit ganz simplen Methoden zeigten die Underdogs dem Favoriten die Grenzen auf. Eine leidenschaftliche Abwehrarbeit genügte, um eines der besten Teams der Welt ratlos nach Hause zu schicken.

Die THW-Deckung packte zwar bereits auf akzeptablem Niveau zu. Im Angriff aber präsentierte sich die Mannschaft von der Förde mitunter ideenlos, bemerkenswert war die katastrophale Chancenverwertung. Einen Siebenmeter verwandeln? Für die Zebras in den vergangenen Partien eine Mammutaufgabe!

Dankbarkeit statt Kritik

Mit Mr. Zuverlässig Jicha steckt das Herz der Truppe im Tief, die Neuzugänge Duvnjak, Canellas und Weinhold sind noch nicht zu 100 Prozent integriert. Überraschend kommt das nicht, in Kiel ist man Anpassungsschwierigkeiten aufgrund der höheren Intensität gewohnt. Als Jicha 2007 aus Lemgo kam, spielte er eine durchwachsene Debüt-Saison, bei Magnus Wislanders Wechsel aus Schweden war es 1990 nicht anders.

Es läuft nicht - und man könnte Kiel dafür kritisieren. Aber seien wir ehrlich: Stattdessen ist Dankbarkeit angebracht! Der Fehlstart des Rekordmeisters ist für die HBL ein Glücksfall. Niemand will - vom THW einmal abgesehen - einen Durchmarsch sehen.

In Sachen Spannung wünscht sich der neutrale Zuschauer eine Saison wie die vergangene, als erst am letzten Spieltag nach einem Thriller a la Hitchcock die Entscheidung fiel. Träumen ist erlaubt.

Gislason geht bewusst ein Risiko ein

Wer die jetzige Situation aber überbewertet und Kiel nicht mehr als Topfavorit auf die Meisterschaft sieht, täuscht sich gewaltig. Klar laufen die Systeme noch nicht flüssig, manchem THW-Spieler fehlt die Frische.

Dieses Risiko, in den ersten Partien noch nicht bei 100 Prozent zu sein, geht Gislason allerdings seit Jahren ganz bewusst ein. Um für eine mörderische Saison gerüstet zu sein und genügend Luft bis zum Ende zu haben, wird im Sommer die Zeit voll ausgenutzt und bis zum Anschlag geschuftet. Die Vorbereitung des Isländers ist in Profi-Kreisen berühmt-berüchtigt.

Probleme bis Weihnachten?

Dass der Motor derart stottert, hat freilich auch Gislason erschrocken. Spiele wie in Lemgo oder in Balingen gewinnt eine THW-Mannschaft im Normalfall ohne Topniveau abrufen zu müssen. Um den Druck von seinem Team zu nehmen, kündigte er gar an, es könne bis Weihnachten dauern, ehe alles rund läuft.

Wer's glaubt, wird selig! Der 55-Jährige wird mit seiner Erfahrung seine Truppe schon bald, sehr bald, auf Kurs haben. Und wenn der Zebra-Express erst einmal ins Rollen gekommen ist, tritt man besser zur Seite.

Der 32:29-Sieg bei der HSG Wetzlar war der erste Schritt in die richtige Richtung, die Problemzone Angriff zeigte sich deutlich verbessert. Man darf damit rechnen, so schnell keinen großen Rückschlag mehr zu erleben. Die Kraft kommt nun nach und nach zurück, die individuellen Einzelkönner werden zu einem funktionierenden Gebilde.

Löwen sind Hauptkonkurrent

Was den Titelkampf angeht, muss Kiel trotz der vier Minuspunkte nicht in Panik verfallen. Es kristallisiert sich nur ein ernsthafter Konkurrent heraus, den es einzufangen gilt. Gegen die SG Flensburg-Handewitt wurde das direkte Duell gewonnen. Die Füchse Berlin werden hier und da - zu viele - Punkte liegen lassen. Und die überragend gestarteten Göppinger werden so nicht ewig weitermachen können.

Bleiben wie erwartet die Rhein-Neckar Löwen. Die Badener präsentieren sich bislang insofern als Spitzenmannschaft, dass sie zwar nie über 60 Minuten konstant auf hohem Niveau spielten, ihre Aufgaben aber trotzdem erfüllten (8:0 Punkte).

Ein Schlüsselspiel auf dem Weg zur 20. deutschen Meisterschaft steht für den THW demnach am 25. Oktober an, wenn es in die SAP-Arena geht. Spätestens dann wird allen klar sein: Vielleicht dauert es noch ein paar Monate, am Ende kann es nur einen Champion geben - den THW.

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