"Wenn wir scheitern, bin ich wohl weg"

Martin Heuberger muss die WM-Quali schaffen, wenn er seinen Job behalten will
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Martin Heuberger durfte zuletzt mit dem Erfolg des DHB-Teams beim Supercup ein Erfolgserlebnis feiern, steht aber nach wie vor mächtig unter Druck. Der Bundestrainer spricht im großen SPOX-Interview über seine Zukunft sowie die Probleme im deutschen Handball und kritisiert seine Kritiker. Außerdem spricht der 49-Jährige ganz persönlich über sein Leben abseits des Feldes.

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SPOX: Herr Heuberger, viele wissen gar nicht, dass Sie im Landratsamt für Umweltschutz arbeiteten, bevor Sie die Trainerkarriere einschlugen. Sie sind also ein Grüner, richtig?

Martin Heuberger: (lacht) Nein, nein. Meine politische Gesinnung hat nichts mit dem Job im Landratsamt zu tun. Mir hat diese Arbeit viel Spaß gemacht. Ich war viel draußen unterwegs, ich hatte nette Kollegen - ich war durchaus zufrieden in meinem Beruf. Trotzdem habe ich natürlich keine Sekunde überlegt, als das Angebot kam, als Trainer zu arbeiten. Wenn du die Chance bekommst, dein Hobby zum Beruf zu machen, musst du sofort zuschlagen. Es ist aber schön zu wissen, dass ich die Option hätte, in meinen alten Job zurückzukehren. Und wissen Sie was? Manchmal würde ich mir wünschen, dass einige unserer Spieler das normale Berufsleben erleben würden. Dass sie mal merken, wie es ist, wenn man morgens um 7 Uhr am Schreibtisch sitzen muss. Dann würden sie noch mehr begreifen, wie schön sie es eigentlich haben und dass es ein Geschenk ist, sein Hobby zum Beruf machen zu können. Wenn man das weiß, fallen einem die Unannehmlichkeiten, die auch der Leistungssport manchmal mit sich bringt, etwas leichter.

SPOX: Sie sind als ein Handball-Wahnsinniger bekannt, der eigentlich 24 Stunden am Tag an Handball denkt. Abschalten fällt Ihnen schwer?

Heuberger: Das kann man so sagen. Ich bin Vollbluthandballer - seit ich in den Trainerberuf eingestiegen bin, habe ich Handball im Kopf. Dazu kommt, dass ich als Bundestrainer eine große Verantwortung habe und mir dessen sehr bewusst bin. Es ist schwierig, für sich selbst die nötigen Regenerationszeiten zu finden. Es kommt öfter vor, dass ich mit Freunden unterwegs bin und mich selbst dabei erwische, dass ich mit meinen Gedanken beim Handball bin - und auf keinen Fall am Tisch. Manchmal kriege ich auch von meiner Frau einen Stoß in die Seite, nach dem Motto: 'Hallo, hier sind wir.' (lacht) Aber auf der anderen Seite kannst du nur erfolgreich sein, wenn du die absolute Leidenschaft für deine Arbeit mitbringst.

SPOX: Ihr ehemaliger Co-Trainer Frank Carstens hat ja bei Turnieren nichts unversucht gelassen, um für etwas Ablenkung zu sorgen. Erzählen Sie...

Heuberger: Frank ist großer Dschungelcamp-Fan. Bei der WM in Spanien hat er sich zusammen mit unserem Psychologen jeden Abend das Dschungelcamp angeschaut und wollte, dass ich mich doch anschließe. Ganz ehrlich: Das war ja nett gemeint mit der Ablenkung, aber dann lege ich mich lieber aufs Bett und ruhe mich aus, als dass ich mir diesen 'Müll' anschaue, bei dem ich mich eh nur geärgert hätte. Nein, Dschungelcamp ist nichts für mich. Ich bin mehr der Tatort-Freak. Sonntagabend ist der Tatort gesetzt - und unter der Woche gibt es in den dritten Programmen auch immer wieder gute Ausstrahlungen.

SPOX: Sie werden kaum mehr Zeit für gemütliche Fernsehabende haben, seit Sie von Heiner Brands Co-Trainer zum Chef aufgestiegen sind. Was hat sich für Sie am meisten verändert?

Heuberger: Im Umgang mit den Medien habe ich mich am Anfang schwerer getan, aber inzwischen ist das auch Alltagsgeschäft geworden. Mir machen Interviews jetzt zum Teil sogar richtig Spaß. Was den Kern angeht, die Arbeit mit der Mannschaft, hat sich für mich gar nicht so viel geändert. Aber selbstverständlich habe auch ich mich seit der Zeit als Juniorentrainer entwickelt.

SPOX: Die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ist natürlich eine ganz andere geworden. Bei großen Turnieren hören Millionen Fans vor dem TV, wie Sie in der Auszeit Ihre Ansprachen machen. Im badischen Dialekt.

Heuberger: Unter Stress falle ich hin und wieder extrem in meinen badischen Slang. Die Mannschaft hat sich aber daran gewöhnt. Und ab und zu werde ich auch eingebremst. Dann fragen die Jungs im Training auch mal nach: 'Hä, wie bitte?' (lacht) Aber das kriegen wir in den Griff, es ist kein Hindernis für die Mannschaft.

SPOX: Nach der verpassten EM-Qualifikation ist naturgemäß viel Kritik auf Sie eingeprasselt. Wie sehr hat Sie diese Kritik getroffen?

Heuberger: Wenn ich sagen würde, dass sie mich nicht getroffen hat, würde ich lügen. Kritik tut einem menschlich immer ein Stück weit weh. Grundsätzlich versuche ich, aus Kritik etwas Positives zu ziehen, aber teilweise wurde auch sehr unsachlich argumentiert. Das stört mich. Ich soll einen Umbruch in der Mannschaft einleiten und gleichzeitig um Medaillen mitspielen, am besten noch den Titel holen - das beißt sich. Eine Mannschaft braucht Zeit und muss in zwei, drei Turnieren Erfahrungen sammeln. Wollen wir einen Umbruch? Oder wollen wir alles versuchen, um Titel zu holen? Da müssen sich die Kritiker schon mal entscheiden. Ich gehe meinen Weg und tue das, was ich für richtig halte. Ich habe einige Anlaufstellen, wo ich gutes Feedback und konstruktive Kritik bekomme, aber die Polemik, die es zuletzt gab, war nicht gerecht. Vor allem war sie nicht gerecht der Mannschaft gegenüber.

SPOX: Wenn Sie mit einem Scheitern wie bei der EM-Quali umgehen, wie oft denken Sie an Sebastian Faißt und seinen tragischen Tod 2009 beim U-21-Länderspiel in der Schweiz?

Heuberger: Sehr oft. Es war einer der schwierigsten Momente in meinem Leben. Ich sehe immer noch seine Mutter vor Augen, wie sie am Ort des Geschehens noch in der Lage war, dem Team Trost zu spenden. Eine Mutter verliert ihren eigenen Sohn und ist so stark, dass sie noch Trost spendet. Das war einmalig. Ich bewundere diese Frau sehr. Wir haben bis heute regelmäßigen Kontakt, wir haben erst vor kurzem wieder miteinander gesprochen. Es ist eine sehr traurige Geschichte, aber sie hat mich extrem geprägt. Ich kann seitdem mit Niederlagen viel besser umgehen. Es ist schade, dass man erst nach solch einem Schicksalsschlag ins Grübeln kommt und erkennt, dass es am Ende doch nur Sport ist.

SPOX: Sportlich gab es jetzt beim Supercup endlich wieder positive Schlagzeilen. Auch wenn es nur ein Freundschaftsturnier war: Wie wichtig war der Erfolg?

Heuberger: Gerade aufgrund der kritischen Stimmung im Vorfeld war es wichtig, dass wir eine gute Leistung abliefern und das repräsentieren, was wir können: nämlich als Team auftreten und einen bedingungslosen Kampf liefern. Dazu haben wir im Angriff auch ein paar sehenswerte Sachen gezeigt. Wenn wir geduldig spielen und so unsere individuelle Qualität zum Tragen bringen, kann man sich das schon anschauen.

SPOX: Aber die Zuschauerresonanz war enttäuschend.

Heuberger: Wir haben durch unseren sportlichen Misserfolg sicher Kredit verspielt, dennoch hätte ich mir ein bisschen mehr Zuspruch gewünscht. Ich glaube, dass wir bei den Sportarten nach dem Fußball nach wie vor gut aufgestellt sind, aber wir müssen die Leute wieder mehr für uns begeistern. Das geht nur über das Zugpferd A-Nationalmannschaft. Wir müssen Handball auch mehr in die Schulen bringen, denn nur aus einer guten Breite kann sich eine gute Spitze entwickeln, das ist ganz entscheidend.

SPOX: Es ist ja kein Zufall, dass es sowohl im Handball als auch im Basketball und Eishockey teils ähnliche Probleme gibt. Wo sehen Sie Parallelen?

Heuberger: Es liegt ja auf der Hand, dass in allen Sportarten die Nationalmannschaften Probleme haben. Dennoch müssen wir das Ganze differenziert betrachten. Wir im Handball haben mit der HBL die beste Liga der Welt, in der viele Ausländer unseren deutschen Talenten die Plätze wegnehmen. Auf der anderen Seite müssen sich unsere Talente aber auch durchbeißen, hart arbeiten und die nötige Geduld mitbringen. Da reicht es nicht, nur normal zu trainieren, da muss ich auch für mich fleißig sein, wenn ich ganz nach oben kommen will.

SPOX: Aber die Frage ist, inwieweit dieser Ehrgeiz überhaupt vorhanden ist?

Heuberger: Das ist ein kritischer Punkt. Unsere Jugendlichen lassen sich heute nicht mehr so leicht binden, was ihre Freizeitgestaltung angeht. Dazu kommt enormer Schuldruck bzw. Ausbildungsstress, die Jugendlichen wollen sich nicht verpflichten, jeden Abend um 19 Uhr ins Training zu gehen. Früher gab es auf dem Dorf drei Vereine, einen Fußball-Verein, einen Leichtathletik-Verein und einen Handball-Verein, heutzutage ist das Angebot so vielfältig geworden, dass sie ihren Sport oft nur noch just for fun machen. Das ist im Vergleich zu anderen Nationen, wo nicht so viel geboten wird, ein erhebliches Problem.

SPOX: Einen Punkt, den Sie immer wieder ansprechen, ist die mangelnde Vorbereitungszeit vor wichtigen Spielen. Aber kann das ein Grund sein, warum man an Montenegro scheitert?

Heuberger: Ich möchte nichts beschönigen und es soll auch keine Ausrede sein, das mal vorneweg. Außerdem möchte ich klarstellen, dass es mir nicht darum geht, mehr Lehrgangstage zu haben. Ich weiß, dass der Terminkalender durch die EHF vorgegeben wird und dass wir in Deutschland weniger Freiräume haben, weil wir uns eine 18er Liga leisten, das ist ein Nachteil. Bei uns findet in der Saison ja nur noch Regenerations- und Taktiktraining statt, das individuelle Training wird vernachlässigt, aber gerade das ist für junge Spieler und deren Entwicklung eminent wichtig. Fakt ist, dass wir die verpasste EM-Quali analysiert haben und feststellen mussten, dass wir immer dann Probleme bekommen, wenn wir die Mannschaft nur zwei, drei Tage zusammen hatten. Wir haben zweifelsohne gute Spieler, aber wir haben keine Mannschaft, die die Dinge aus dem Ärmel schütteln kann. Bei uns geht es nur über das Kollektiv - und dafür brauchst du Vorbereitungszeit. Wenn wir Zeit haben, um uns einzuspielen, wie vor der WM in Spanien und wie jetzt vor dem Supercup, dann sieht man ja, dass es funktionieren kann. Wir müssen jetzt die Lehren daraus ziehen, die Lehrgangstage besser verteilen und nicht den gleichen Fehler noch einmal machen. Sonst wären wir ja dumm und würden am Ende wieder Ähnliches erleben, davor habe ich gewarnt.

Seite 2: Heuberger über Typen wie Effenberg, Neid auf Löw und seine Zukunft

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