"Wenn wir scheitern, bin ich wohl weg"

Martin Heuberger muss die WM-Quali schaffen, wenn er seinen Job behalten will
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SPOX: Am Rande des Supercups wurde eine Kooperation zwischen DHB und HBL bekannt gegeben, was erhoffen Sie sich davon?

Heuberger: Ich muss der Liga ein großes Lob zollen für das, was sich in der Nachwuchsförderung in den letzten Jahren getan hat. Woran es bei uns krankt, ist die Anschlussförderung. Während die Junioren in anderen Ländern mit 18, 19 Jahren Leistungsträger in ihren Vereinen sind und die Spiele entscheiden, sitzen sie bei uns oft nur auf der Bank. In den anderen Ländern ist die Liga nicht so stark wie bei uns, aber sie bekommen die Verantwortung übertragen, darauf kommt es an. Es ist unsere wichtigste Aufgabe, dass wir für das Problem der Anschlussförderung Lösungen finden, in diesem Bereich verschleudern wir noch Talente. Gute Ansätze gibt es. Nehmen wir zum Beispiel Berlin: Die Füchse versuchen immer wieder, Jungs aus dem eigenen Nachwuchs in die erste Mannschaft einzubauen, und haben gleichzeitig den Anspruch, ganz oben mitzuspielen. Das ist vorbildlich. Ich hoffe, dass in Zukunft immer mehr Vereine den gleichen Weg einschlagen.

SPOX: Wie sieht es mit der Identifikation der Spieler mit der Nationalmannschaft aus? Wenn man manche Absagen mitbekommen hat, konnte man den Eindruck gewinnen, dass es da durchaus Luft nach oben gibt...

Heuberger: Alle Spieler, die auch jetzt wieder im Kader standen, waren mit Herzblut, Begeisterung und Euphorie dabei. Wenn Sie auf die Absagen von Jogi Bitter oder Christan Zeitz anspielen, muss man mal überlegen, woher das kommt. Es hat damit zu tun, dass ihnen die Belastung zu groß geworden ist, sie auch von Verletzungen gebeutelt waren und dass sie sich darauf konzentrieren wollen, wo sie ihr Geld verdienen und das noch möglichst lange. Im Klub. Jetzt kann man sagen, dass sie aber nur durch die Nationalmannschaft überhaupt so groß geworden sind und sich ihre Namen gemacht haben, aber es ist ihre Entscheidung, die es zu respektieren gilt. Ich werde sicher niemanden überreden, für Deutschland zu spielen. Nur wer mit totaler Hingabe dabei ist, bringt uns auch weiter.

SPOX: Jedes Mal, wenn es im DHB-Team nicht läuft, kommt auch sofort die Führungsspieler-Debatte auf. Nervt Sie die Diskussion?

Heuberger: Ehrlich gesagt ja. Ich bin dieses Thema einfach leid. Und ich muss dieser These, dass wir keine Führungsspieler hätten, strikt entgegen treten. Wir haben einen Oliver Roggisch, einen Michael Haaß, einen Silvio Heinevetter, einen Steffen Weinhold, der für mich inzwischen auch eine Leitfigur geworden ist. Es ist mir fast zu blöd, darüber zu sprechen, weil die Diskussion nicht sachlich geführt wird. Von irgendwelchen Leuten, die überhaupt keine Ahnung haben, wie es bei uns im Team abläuft, wird dann behauptet, wir hätten eine flache Hierarchie. Wir haben eine Hierarchie - ob die flach ist oder nicht, spielt für mich keine Rolle. Für mich als Trainer ist jeder Spieler wichtig - egal, ob er ein 18-jähriger Neuling oder ein gestandener Spieler ist. Ich weiß, dass die Jungs das Thema auch nervt, sie werden in der Debatte ja degradiert zu irgendwas, was ihnen gar nicht gerecht wird.

SPOX: Allgemeiner gefragt: Sind Führungsspieler, wie sie es früher gab, heute überhaupt noch denkbar?

Heuberger: Leute wie Effenberg würden doch heute gar nicht mehr durchkommen. Wenn du heute ein kritisches Interview gibst, so wie Heinevetter zuletzt mit seiner Schiedsrichter-Kritik, bekommst du sofort einen Maulkorb verpasst. Man will auf der einen Seite mündige Spieler haben, aber auf der anderen Seite bestraft man sie sofort und gibt ihnen eins drüber, wenn sie nach einem Spiel sofort ein Mikro vor die Nase gehalten bekommen und mal ihre Meinung äußern.

SPOX: Egal wie man die Führungsspieler-Debatte sieht: Nächstes Jahr steht die Do-or-Die-WM-Quali auf dem Programm. Es darf nicht schief gehen...

Heuberger: So wie es gegen Montenegro auch schon nicht schief gehen durfte. Dort hing das Damokles-Schwert auch schon über uns und durfte nicht runterfallen. Trotzdem ist es passiert. Wir werden alles tun, um uns zielstrebig auf die Aufgabe vorzubereiten. Wenn wir Pech haben, kann es uns bei der Auslosung hart treffen. Wir werden auf eine Mannschaft treffen, die bei der EM zwischen Rang 4 und 12 landet. Das kann im schlimmsten Fall Frankreich sein, das kann Dänemark sein. Aber egal wie der Gegner heißt, müssen wir uns so vorbereiten, dass wir im Sommer eine optimale Leistung abrufen und das große Ziel WM-Quali auch erreichen.

SPOX: Wenn Sie die WM verpassen, sind Sie nicht mehr Bundestrainer.

Heuberger: Wenn wir scheitern, bin ich wohl weg. Aber was soll ich mir darüber den Kopf zerbrechen? Ich werde alles geben, um das zu verhindern.

SPOX: Mit dem neuen Präsidenten Bernhard Bauer ist frischer Wind in den deutschen Handball gekommen. Macht das Mut?

Heuberger: Durch Bernhard Bauer und Bob Hanning ist eine gewisse Euphorie entfacht worden, die uns guttut. Das Wichtigste war natürlich, dass sie es geschafft haben, die WM 2019 zusammen mit Dänemark nach Deutschland zu holen. Dadurch lässt sich viel bewegen, das war ein ganz wichtiger Impuls für den deutschen Handball. Die neue Führung hat auch ihre eigene Philosophie und ihre eigenen Ideen. Es sind die richtigen Leute am Werk, um perspektivisch den Handball wieder nach vorne zu bringen. Sie machen einen super Job.

SPOX: Hanning hat den Olympia-Sieg 2020 als Vision ausgerufen.

Heuberger: Ein Olympia-Sieg 2020 ist eine gute Vision. Es muss Ziele geben, an denen wir uns hochhangeln können. Einfach nur in den Tag rein zu leben, kann nicht die Marschroute sein. Hoffentlich können wir es ein Jahr vorziehen und schon 2019 bei der WM eine so schlagkräftige Truppe beisammen haben, dass wir um die Medaillen mitspielen können. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Umso wichtiger ist, dass wir die richtigen Maßnahmen ergreifen und die guten Rahmenbedingungen nutzen, um in Deutschland etwas für den Handball zu bewegen.

SPOX: Sind Sie manchmal neidisch auf Joachim Löw? Er kann aus einem ganz anderen Spieler-Reservoir schöpfen.

Heuberger: Neidisch bin ich insofern, als dass er ein ganz anderes Kader-Potenzial zur Verfügung hat. Meine Möglichkeiten sind da schon begrenzt, auch wenn wir in der Breite im Vergleich zu anderen Nationen gut aufgestellt sind. Der Fußball hat den Vorteil, dass es dort ein junges Talent ungleich einfacher hat, den Sprung in die Bundesliga und die Nationalmannschaft zu schaffen als im Handball, wo eine ganz andere körperliche Präsenz nötig ist. Bei uns muss ein 18-Jähriger gegen einen zehn Jahre älteren 110-Kilo-Koloss bestehen.

SPOX: Haben Sie Joachim Löw mal getroffen?

Heuberger: Obwohl wir nicht weit auseinander wohnen, habe ich ihn bislang erst einmal kurz getroffen, das war vor zwei Jahren zufällig im Zug. Da haben wir ein bisschen Small Talk gemacht, ich würde mich gerne mal intensiver mit ihm austauschen, wenn es der Terminkalender zulässt. Jogi hat einen super Job gemacht in den letzten Jahren. Ich hoffe, dass er nächstes Jahr in Brasilien endlich belohnt wird. Es wäre an der Zeit, dass er die Ernte einfahren darf.

SPOX: Im Fußball heißt das In-Thema Torlinientechnologie, auch im Handball wird über neue Dinge philosophiert. Was halten Sie von der Einführung einer Shot Clock wie im Basketball?

Heuberger: Für mich ist die Idee mit der Shot Clock nicht konsequent zu Ende gedacht. Den Angriff auf 30 Sekunden zu beschränken, würde die Sportart grundsätzlich verändern. Es ginge nur noch darum, aufs Tor zu knallen. Die spielerische Komponente würde völlig vernachlässigt werden. Und was passiert, wenn es zwei Sekunden vor Ende einen Freiwurf gibt? Anstatt sich darüber Gedanken zu machen, sollten wir überlegen, wie wir Handball für den neutralen Zuschauer transparenter machen. Wir müssen sehen, dass Handball schon eine schwierige Sportart ist, weil es so viele Entscheidungen gibt, die nicht leicht nachvollziehbar sind, selbst für mich als Trainer nicht.

SPOX: Abschließend, in der HBL deutet mal wieder vieles auf einen Titelgewinn des THW Kiel hin. Oder sehen Sie einen Gegner?

Heuberger: Ich dachte, dass Flensburg Kiel ernsthaft Paroli bieten können würde, aber jetzt zieht der THW offenbar doch trotz kleiner Anlaufschwierigkeiten wieder seine Kreise. Man hat zum Beispiel im Spiel gegen die Löwen wieder eindrucksvoll gesehen, wie in der entscheidenden Phase ein Filip Jicha oder Aron Palmarsson die Akzente setzen und das Spiel für Kiel gewinnen. Diese Qualität, dieses Format an Spielern, diese Genialität hat in der HBL nur der THW. Früher gab es noch Nikola Karabatic oder Daniel Narcisse, aber die haben eben auch in Kiel gespielt. Die anderen Klubs haben zu viele Wellentäler in ihrer Leistung - das nutzt der THW dann aus.

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