"Das Ende der Fahnenstange ist erreicht"

Von Interview: Felix Götz
Ex-Nationalspieler Stefan Kretzschmar sieht das DHB-Team auf dem Scheideweg
© imago

Nach der verpassten EM-Qualifikation hat Stefan Kretzschmar Angst um den deutschen Handball. Im SPOX-Interview kritisiert der frühere Nationalspieler Bundestrainer Martin Heuberger und die fehlende Intensität der DHB-Verantwortlichen in der Aufarbeitung der Krise. Große Hoffnungen setzt Kretzsche in Bob Hanning.

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SPOX: Herr Kretzschmar, unmittelbar nach dem Verpassen der EM haben Sie von einem Fiasko für den deutschen Handball gesprochen. Beurteilen Sie die Situation mit etwas Abstand gelassener?

Stefan Kretzschmar: Ganz im Gegenteil! Ich mache mir viele Gedanken darüber, wie negativ sich das auf unsere Sportart auswirken wird. Das ist ja noch nicht abzusehen. Es ist deshalb eine Frustration zu spüren, Ratlosigkeit und Angst, was die Entwicklung unserer Sportart betrifft.

SPOX: Das Interesse am Handball lässt in Deutschland gefühlt schon seit einiger Zeit stetig nach. Durch eine EM ohne deutsche Beteiligung wird es wohl nicht besser, oder?

Kretzschmar: Die Wahrnehmung der deutschen Mannschaft in der Öffentlichkeit war in letzter Zeit nicht gut, die Außendarstellung des Verbandes ließ zu wünschen übrig. Der Erfolg der Nationalmannschaft ist zu großen Teilen ausgeblieben. Und dass die Nationalmannschaft erfolgreich ist, ist für den deutschen Handball existenziell wichtig. Jetzt wurden mit Olympia und der EM zwei große Turniere nicht erreicht. Da ist das Ende der Fahnenstange erreicht.

SPOX: Menschen, die keine eingefleischten Handball-Fans sind, bekommt man nur durch Erfolge der Nationalmannschaft vor den Fernseher. Haben Sie den Eindruck, dass dies der ein oder andere Verantwortliche nicht verstanden hat?

Kretzschmar: Also das kann ich mir einfach nicht vorstellen. Die Frage ist nur, ob ich die Courage habe, in der jetzigen Situation zu reagieren.

SPOX: Und da gibt es ein großes Problem: Erst im September gibt es mit Bernhard Bauer einen neuen Präsidenten. Bis dahin tut sich wahrscheinlich wenig...

Kretzschmar: Das ist für mich in der Tat das Hauptproblem. Man muss verstehen, dass wir uns am absoluten Tiefpunkt befinden. Man hat sich jetzt aber einmal zusammengesetzt und eigentlich beschlossen, dass es erstmal so weitergeht wie bisher.

SPOX: Bundestrainer Heuberger hat nach der Analyse der Niederlage in Montenegro gesagt, dass ihm nicht viel eingefallen sei, was man hätte anders machen können. Was sagen Sie dazu?

Kretzschmar: Ich verstehe nicht, wie man das noch irgendwie schönreden kann. Es tut mir leid, aber da ist für mich ein bisschen mehr Selbstkritik angebracht. Natürlich ist es nicht so, dass man jetzt den Trainer entlässt und dann ist alles andere geregelt. Aber wenn ich Verantwortlicher in einem solchen Verband bin und es wurde so ein Ziel nicht erreicht, dann muss ich alles andere von der Agenda streichen. Urlaub oder was auch immer. Da muss ich mich eine Woche einschließen, die Zukunft beraten und zusehen, wie ich aus diesem Dilemma wieder herauskomme. Mir fehlt ein bisschen die Intensität in der Aufarbeitung der jetzigen Krise.

SPOX: Heuberger wird als Fachmann angesehen, doch bringt er das auch rüber?

Kretzschmar: Heuberger ist ohne Zweifel ein Fachmann. Aber es gibt viele Fachleute, die aus unterschiedlichen Gründen bei bestimmten Mannschaften scheitern, obwohl sie vorher große Erfolge hatten. Es geht im Leistungssport letztlich um Erfolg oder Misserfolg. Die Frage ist immer, wie ich abrechne. Wenn ich zwei von drei Turnieren nicht geschafft habe, dann kann ich der größte Fachmann der Welt sein. Dann muss man sich überlegen, ob das das Richtige ist.

SPOX: Fakt ist, dass Heuberger sicher nicht der Alleinschuldige an der Situation im deutschen Handball ist. Seit Jahren geht es bergab und der DHB sowie die HBL schieben sich immer gegenseitig die Schuld in die Schuhe. Was kann man jetzt machen?

Kretzschmar: Es gibt verschiedene Ansätze. Sicher hat der DHB Recht, wenn er beispielsweise von den Vereinen fordert, mehr Mut zu haben und junge Spieler einzubauen.

SPOX: Ist die HBL als beste Liga der Welt in dieser Hinsicht für die Nationalmannschaft sogar ein Fluch?

Kretzschmar: Nein. Dass Superstars in der Liga spielen ist nicht das Problem. Grundsätzlich wäre es aber richtig, weitsichtiger zu denken. Lieber auf ein Talent setzen, anstatt einen mittelklassigen ausländischen Spieler in seinen Kader zu holen.

SPOX: Zuletzt wurde immer wieder über eine Ausländerbeschränkung gesprochen. Wäre das ein Ansatz?

Kretzschmar: Darüber kann man nachdenken. Vielleicht macht man das nur alibimäßig, in dem man die hinteren Positionen im Kader mit deutschen Spielern auffüllt? Das ist auch die Frage.

SPOX: Besonders Kiel und Hamburg wurden in der Vergangenheit vom Verband angegriffen, weil sie angeblich zu wenig auf junge deutsche Spieler setzen. Verständlich?

Kretzschmar: Diese Kritik würde ich nicht unbedingt gelten lassen. Sie sind international auf Vereinsebene unsere Aushängeschilder. Kiel und Hamburg sind keine Ausbildungsmannschaften. Sie haben die Möglichkeit, gestandene Nationalspieler zu kaufen. Das ganz große Problem ist meiner Meinung nach ein anderes.

SPOX: Nämlich?

Kretzschmar: Es ist ganz wichtig, dass es Trainingszentren gibt, in denen Nachwuchsspieler an ein paar Punkten in Deutschland zusammengezogen werden und mindestens einmal am Tag trainieren können. Wenn ich sehe, dass Jugendspieler in manchen Vereinen zwei Mal die Woche trainieren - was soll denn aus denen werden? Da kommt man nicht weiter. Ein weiteres Problem ist die Qualität unserer Nachwuchstrainer.

SPOX: Was ist damit?

Kretzschmar: Ich will das Engagement dieser Leute nicht schmälern. Aber teilweise sind es Hobbytrainer. Da kann ich nicht davon ausgehen, dass das die besten Trainer sind, die man bekommen kann. Die müssen dann natürlich auch angemessen bezahlt werden.

SPOX: Eine gute Jugendarbeit wird bei den Füchsen Berlin geleistet. Manager Bob Hanning wird demnächst beim DHB Bauer unterstützen. Sie haben bereits gesagt, dass Sie das positiv sehen. Was erwarten Sie von ihm?

Kretzschmar: Ich erwarte von ihm - und dafür steht Bob Hanning - dass er 24 Stunden am Tag Handball lebt. Das wäre schon mal ein Fortschritt, denn das machen die wenigsten Leute beim DHB. Demzufolge hat Hanning Visionen, Träume und Ziele. Ich gehe davon aus, dass er den deutschen Handball strukturell auf einen guten Weg bringt. Ich wünsche mir Hanning als eine Art Anschieber.

SPOX: Ihr Name fällt auch immer wieder, wenn es um irgendwelche Posten beim DHB geht. Wie sieht es da aus?

Kretzschmar: Ich befinde mich mit ein paar Leuten im Austausch, von denen ich hoffe, dass sie das Ruder in die Hand nehmen. Mein Engagement beim DHB wäre nicht von einem bestimmten Posten abhängig. Das müsste auch nicht in vorderster Front sein.

Der HBL-Spielplan im Überblick