Der Wahnsinn von Belgrad

Von Florian Regelmann / Felix Götz
Sven-Sören Christophersen warf das DHB-Team zum Ausgleich
© Getty

Die deutsche Handball-Nationalmannschaft hat sich zum Hauptrunden-Auftakt in der mit 18.000 Zuschauern nicht ganz gefüllten Belgrad Arena ein 21:21 (7:12) gegen Serbien erkämpft. Damit hat das DHB-Team weiterhin sehr gute Halbfinal-Chancen.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Sven-Sören Christophersen erzielte drei Sekunden vor Ende den Ausgleich. Bester Werfer im Team von Bundestrainer Martin Heuberger war Linksaußen Uwe Gensheimer mit fünf Toren.

Bei den Serben, die ebenfalls um einen Startplatz bei der Olympia-Vorausscheidung kämpfen, traf Kiel-Star Momir Ilic (6) am besten. Im zweiten Hauptrundenspiel trifft Deutschland am Montag auf Dänemark (18 Uhr im LIVE-TICKER).

Und egal, was das DHB-Team gegen Dänemark macht: Gewinnt man zum Abschluss am Mittwoch gegen Polen, steht man auf alle Fälle im Halbfinale.

Das Halbfinale und vor allem die angestrebte Teilnahme an einem der olympischen Qualifikationsturniere im kommenden April ist durch den Punktgewinn weiter in greifbarer Nähe. Neben Deutschland kämpfen noch Serbien, Polen, Mazedonien und Slowenien um die zwei verfügbaren Tickets.

Die Reaktionen:

Martin Heuberger (Bundestrainer): "Diese Mannschaft ist einfach phänomenal, einfach unglaublich. Wir wussten, dass wir nicht viele Chancen bekommen. Wir haben nach der ersten Halbzeit zu Recht fünf Tore zurückgelegen, aber in der Kabine haben wir uns geschworen, dass wir nicht aufgeben. Wir wussten, dass unsere Physis besser ist als die der Serben."

Silvio Heinevetter (DHB-Torwart): "Wir haben heute - auf gut Deutsch gesagt - scheiße gespielt. Mit Kampf und Willen haben wir dann noch einen Punkt geholt - nicht unverdient. Aber auf solche Spiele habe ich keine Lust mehr."

Sven-Sören Christophersen (DHB-Rückraumspieler): "Es war wichtig, dass wir noch den Ausgleich gemacht haben. Das war ein harter Kampf - wir sind die ganze Zeit einem Rückstand hinterhergerannt. Wir sind sehr glücklich, dass wir einen Punkt mitnehmen. Vom Halbfinale werden wir noch nicht sprechen. Wir haben noch zwei Spiele vor der Brust, und darauf konzentrieren wir uns."

Der SPOX-Spielfilm:

Vor dem Spiel: Heuberger hat nach dem überzeugenden Auftritt gegen Schweden keinen Grund, etwas zu ändern, also gibt es auch keine Veränderungen. Heinevetter beginnt im Tor. Kaufmann, Haaß und Glandorf bilden den Rückraum, Gensheimer und Groetzki starten auf den Außenpositionen, dazu Theuerkauf am Kreis. Abwehrchef Roggisch kann trotz Nasenbeinbruch spielen.

5.: Nach wie vor kein Tor für das Team von Coach Heuberger. Glandorf nimmt einen schwierigen Wurf - vorbei. Dann geht es ganz schnell und Manojlovic lässt Heinevetter keine Chance. Was ist das für ein mieser Start? 3:0 Serbien.

19.: Ein tolles Zusammenspiel der Außenspieler. Groetzki passt auf Gensheimer - nur noch ein Tor Rückstand. 6:5 Serbien.

24.: Ist das bitter! Das DHB-Team schafft es trotz Überzahl nicht, eine vernünftige Wurfposition zu erlangen. Es droht ein Zeitspiel, deshalb muss Groetzki einen schwierigen Heber versuchen - an die Latte.

29.: Da hat die deutsche Abwehr geschlafen. Stankovic geht durch und trifft, Gensheimer langt völlig unnötig auch noch hin und muss für zwei Minuten runter. Im Angriff schließt Hens viel zu schnell ab, Serbien macht es clever und wieder macht Ilic das Ding rein. 11:7 Serbien.

36.: Hui, was ist da denn los? Deutschland erobert den Ball und macht es schnell, Roggisch läuft mit und trifft. Aber im Gegenzug schlägt Stankovic zu. 16:10 Serbien.

43.: Sauber! Erst hält Heinevetter, der jetzt stark spielt, gegen Ilic, dann macht Gensheimer aus einem unmöglichen Winkel das Tor. Nur noch ein Treffer Rückstand. Das DHB-Team hat jetzt einen 8:2-Lauf hingelegt. 17:16 Serbien.

53.: Deutschland im Glück. Roggisch holt den Ball mit dem Fuß, aber die Schiris lassen weiterlaufen. Eine fürchterliche Fehlentscheidung. Pfahl nutzt das und verkürzt. Aber leider stellt Stojkovic den Zwei-Tore-Abstand wieder her. 21:19 Serbien.

56.: Tor für die Serben, aber Nikcevic steht im Kreis. Unfassbar: Im Gegenzug leistet sich Haaß einen Schrittfehler. Serbien schließt durch Stankovic schnell ab - Heinevetter hat das Ding. Deutschland hat den Ball.

60.: Ja! Ja! Ja! Ausgleich! Christophersen erzielt als siebter Feldspieler drei Sekunden vor dem Ende den Ausgleich. Und jetzt ist die Partie vorbei.

Serbien - Deutschland: Das komplette Spiel im Re-Live

Der Star des Spiels: Silvio Heinevetter. Ohne den deutschen Keeper wäre das Unentschieden nicht möglich gewesen. Wie Heinevetter in der zweiten Hälfte die Kiste vernagelte, war absolute Weltklasse. Die Serben erzielten in den letzten 6:54 Minuten keinen Treffer mehr. Mehrmals hätten die Serben das Spiel zu ihren Gunsten entscheiden können, scheiterten aber immer wieder an Heinevetter, der die Hexenkessel-Atmosphäre förmlich aufsaugte und sich pushte. Heinevetter gewann ein Keeper-Duell auf ganz hohem Niveau gegen Darko Stanic. Auch stark: Sven-Sören Christophersen. Seit Jahren wartet man auf seinen internationalen Durchbruch, gegen Serbien übernahm er in der heißen Phase Verantwortung und erzielte zwei der letzten drei Tore, darunter den Ausgleichstreffer.

Der Flop des Spiels: Marko Vujin. Der rechte Rückraumspieler sollte eigentlich neben Momir Ilic die entscheidende Figur im serbischen Rückraum sein, aber Vujin spielt ein ganz schwaches Turnier. Schon vor dem Deutschland-Spiel war Vujins Quote schwach (11/30) und nach dem Spiel ist sie noch schwächer geworden. Vujin warf fünfmal aufs Tor, traf aber nichts. Ab der nächsten Saison wird Vujin gemeinsam mit Ilic beim THW Kiel spielen, aber bislang hat er bei dieser EM noch nicht gezeigt, warum ihn der THW unbedingt haben wollte und schon vor einigen Jahren den Vertrag klarmachte. Im DHB-Team schwach: Kaufmann (2/9). Dazu spielt Hens gar keine Rolle mehr. Diesmal stand der Kapitän nur knapp sieben Minuten auf dem Feld. Roggisch hat dreimal so viele EM-Tore auf dem Konto wie Hens (3:1).

Analyse: War die Angriffsleistung in der ersten Halbzeit gegen Schweden noch bärenstark, so war sie in der ersten Halbzeit gegen Serbien miserabel. Das DHB-Team geriet früh mit 0:4 in Rückstand (7.) und brachte in den ersten zwölf Minuten nur ein einziges Tor zustande.

Dass die Serben, die in der Vorrunde in drei Spielen nur 61 Gegentore kassierten, eine knüppelharte Abwehr mit einem überragenden Torwart haben, ist die eine Sache. Aber wie schlecht der deutsche Angriff gegen diese Deckung spielte, ist die andere Geschichte.

Die deutsche Mannschaft machte genau jene Fehler, die sie immer macht, wenn es nicht läuft. Im Angriff wird der Ball nicht laufen gelassen, es wird überhaupt keine Geduld gezeigt und man arbeitet nicht genug, um sich klare Chancen herauszuspielen.

Stattdessen werden viel zu früh und ohne jede Vorbereitung Würfe genommen. Auch die zweite Welle wurde häufig nicht konzentriert zu Ende gespielt. Dazu war gerade das deutsche Überzahlspiel, schon im gesamten Turnierverlauf eine Schwäche, in Halbzeit eins eine Katastrophe.

Da die deutsche Abwehr ihren Job gut machte und die Serben mit ihrem extrem behäbigen Angriffsspiel auch keineswegs überragend agierten und zwischenzeitlich nur ein Tor in zehn Minuten erzielten, kämpfte sich die DHB-Auswahl ins Spiel hinein (6:7).

Vor allem Holger Glandorf wusste mit viel Durchschlagskraft zu überzeugen. Eine ganz schlechte Phase in den Minuten vor der Pause sorgte dann aber dafür, dass sich die Serben, die wahrlich nicht glänzten, wieder auf fünf Tore absetzen konnten (12:7). Die deutsche Quote nach 30 Minuten: 7/20.

Als man zu Beginn der zweiten Halbzeit angesichts eines 7-Tore-Rückstands (8:15) das Spiel schon fast abschreiben wollte, machte es beim DHB-Team plötzlich klick. In acht Minuten warfen die Deutschen acht Tore - mehr als in der kompletten ersten Halbzeit. Sogar Abwehrchef Roggisch traf gleich zweimal (inklusive Heber!) in der zweiten Welle. Deutschland war gegen jetzt verunsicherte Serben wieder auf einen Treffer dran (16:17).

Nachdem Christoph Theuerkauf den Ausgleich erzielt hatte (18:18), bekamen die Serben wieder das Momentum auf ihre Seite (21:19). Das DHB-Team erkämpfte sich aber in einem brutalen Fight in den letzten Minuten noch das Remis. Und das völlig verdient.

Ja, die Leistung war größtenteils sehr dürftig. Es war die erwartete Abwehrschlacht und nichts für Feinschmecker. Aber das deutsche Team hat einmal mehr bei dieser EM bewiesen, welche enorme Leidenschaft und was für einen überragenden Spirit es hat. Mit diesem Geist und einem außerirdischen Heinevetter scheint alles möglich. Das Halbfinale. Und die Quali für ein Olympia-Quali-Turnier erst recht.

Handball-EM: Alle Ergebnisse

Artikel und Videos zum Thema