Der THW war nur mal kurz weg

Von Felix Götz
Der HSV Hamburg gewann in der vergangenen Saison erstmals die Meisterschaft
© Getty

Der 24:23-Sieg der Kieler im Supercup gegen Hamburg hat noch nichts wirklich Aufschlussreiches gezeigt. Dass diese beiden Teams fast gleichauf sind und die Meisterschaft in der am Samstag beginnenden Saison unter sich ausmachen dürften, wusste man schon vorher. SPOX hat gemeinsam mit Christian Schwarzer ein Favoriten-Ranking aufgestellt. Das Resultat: Der THW wird nach einem Jahr Abstinenz auf den Thron zurückkehren.

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Eine Prognose für eine Handball-Saison abzugeben, war bis jetzt immer eine dankbare Aufgabe. Zumindest, wenn es darum ging, wer denn die Meisterschaft gewinnen wird. Der THW Kiel, ist doch ganz klar. Und Hamburg schaut in die Röhre. Der HSV kündigte in schöner Regelmäßigkeit Großtaten an, versagte, wenn es wichtig wurde, dann aber jämmerlich. Und in Kiel lachte man sich ins Fäustchen.

Seit der vergangenen Saison stellt sich die Situation etwas anders dar. Der HSV hat den THW in beeindruckender Manier entthront, erstmals waren die Hamburger auch in den wichtigsten Spielen nervenstark. 30 Siege, zwei Unentschieden, zwei Niederlagen und sieben Minuspunkte weniger als Kiel - Wahnsinn! Dennoch wäre es völlig verkehrt, den THW abzuschreiben.

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SPOX wagt gemeinsam mit dem Weltmeister von 2007, Christian Schwarzer, einen Ausblick auf den Kampf um die Plätze eins bis fünf.

1. THW Kiel

Die letzte Saison hat das Selbstverständnis des THW ins Wanken gebracht. Nach sechs Jahren Jubel flog am Ende einer Saison erstmals nicht den Kielern das Konfetti für den Sieger um die Ohren. Nein, die Sektkorken knallten in Hamburg. Von einer Wachablösung im deutschen Handball ist seitdem häufiger die Rede.

Warum eigentlich? Ohne die überragende Leistung des HSV schmälern zu wollen, muss man doch sehen, was für ein unglaubliches Pech das Team von Coach Alfred Gislason hatte. Daniel Narcisse, Christian Zeitz, Marcus Ahlm oder Kim Andersson - die Verletzungsproblematik war enorm.

"Etwas mehr Glück könnte nicht schaden", sagt Gislason deshalb zu Recht, wenn er auf die kommende Saison vorausblickt. Der Isländer will viel rotieren, um die Belastung für einzelne Spieler nicht zu groß werden zu lassen.

Er kann sich das erlauben, denn der THW hat ein eingespieltes Team. Nur Jerome Fernandez zog es nach Toulouse. Ansonsten ist alles beim Alten. Mit dem Unterschied, dass diesmal voraussichtlich alle Mann an Bord sind.

Im Tor haben die Kieler mit Thierry Omeyer, der den Klub 2013 verlassen wird, nach wie vor das Beste, was es gibt. Und vor allem Narcisse, der aufgrund eines Kreuzbandrisses in der Vorsaison nur acht Spiele absolvieren konnte, wird den Kielern einen enormen Qualitätsschub verleihen. Über Filip Jicha muss man nicht viel sagen und der erst 21-jährige Aron Palmarsson wird sich weiter steigern. Kiel hat insgesamt wohl den besten Rückraum der Welt.

Christian Schwarzer sagt bei SPOX: "Es wird unglaublich eng, aber ich lege mich fest: Kiel ist eine kleine Nasenspitze vor dem HSV. Der THW hatte in der vergangenen Saison Verletzungspech und am Ende sprang mit dem Pokalsieg 'nur' ein Titel heraus. Für den THW eigentlich zu wenig. Deshalb bin ich überzeugt, dass sie voll angreifen werden, die sind heiß. Ein Vorteil ist, dass Gislason eine komplett eingespielte Mannschaft zur Verfügung steht."

THW-Lineup: Omeyer/Palicka (Tor), Klein/Lundström (LA), Jicha/Ilic/Kubes (RL), Narcisse/Palmarsson (RM), Zeitz/Andersson (RR), Sprenger/Reichmann (RA), Ahlm/Dragicevic (KM)

Prognose: "Nächstes Jahr ist die Schale wieder hier", sagte Omeyer bereits am Ende der vergangenen Saison. Der THW hat die Herausforderung angenommen. Nie war die Motivation, es ganz Handball-Deutschland und vor allem dem HSV zu zeigen, größer. Die Kieler werden beweisen, dass sie nur mal kurz weg waren. Es wird zwar verdammt eng, aber am Ende wird der THW zurück auf dem Thron sein.

2. HSV Hamburg

"Nach oben zu kommen ist schwierig, oben zu bleiben noch schwieriger", sagte Mimi Kraus im SPOX-Interview. Der 27-Jährige traf damit den Nagel auf den Kopf. Nach dem Titelgewinn sind die Erwartungen noch einmal gestiegen. Es gilt nun, die Leistung zu bestätigen.

Die Gefahr, auch nur um ein Prozent nachzulassen, ist nach so einer Saison nicht wegzudiskutieren. Erst wenn die Hamburger den Titel verteidigen, könnte man tatsächlich von einer Wachablösung reden.

Die wichtigste Änderung gibt es auf dem Trainerposten. Per Carlen übernahm für Martin Schwalb, der in die Geschäftsführung wechselte und Andreas Rudolph als Präsident ablöste. Die Umstellung muss schnell gelingen, Ausrutscher kann man sich in der HBL kaum erlauben, wenn man am Ende ganz oben stehen möchte.

Krzystof Lijewski (RN Löwen) und Per Sandström (Melsungen) haben den HSV verlassen, mit Keeper Dan Beutler und Oscar Carlen wurden gute Leute aus Flensburg geholt. Dem Trainer-Sohn und Domagoj Duvnjak gehört die Zukunft beim HSV, der in der vergangenen Saison das älteste Team der Liga stellte.

Beide sind erst 23 Jahre alt, aber längst auf einem unglaublich hohen Niveau. Der Verjüngungsprozess hat begonnen. Das Problem: Carlen wird nach einem Kreuzbandriss erst im Oktober wieder fit sein. Bis dahin muss der mittlerweile fast 34-jährige Marcin Lijewsk, der den Klub eigentlich gerne verlassen hätte, noch richtig ran.

Christian Schwarzer sagt bei SPOX: "Ich befürchte, dass beim HSV nach dem Titelgewinn ein gewisses Sättigungsgefühl eintreten könnte. Zudem ist ein neuer Trainer da, darauf muss sich die Mannschaft erst einstellen. Das braucht wahrscheinlich ein wenig Zeit. Zeit, die man nicht hat. Der Saisonstart wird für Hamburg enorm wichtig. Sollte der gelingen, ist wahrscheinlich alles möglich."

HSV-Lineup: Bitter/Beutler (Tor), Jansen/Flohr (LA), Hens/Lackovic (RL), G. Gille/Duvnjak/Kruas/Schliedermann (RM), Carlen/Lijewski (RR), Lindberg/Schröder (RA), B. Gille/Vori (KM)

Prognose: Ganz klar: Auch Hamburg kann sich vom Potenzial her erneut den Titel holen. Der HSV muss sich aber in diesem Jahr erstmals jagen lassen und beweisen, dass er die Situation meistern kann. Das wird nicht sooo gut gelingen. Sorry HSV, aber diesmal bleibt nach einem tollen Jahr nur der Blick in die Röhre.

3. Rhein Neckar Löwen

Mit Olafur Steansson, Gudjon Valur Sigurdsson (beide Kopenhagen), Grzegorz Tkaczyk und Torhüter Slawomir Szmal (beide Kielce) haben die Löwen echte Typen verloren. Zudem fehlt Ivan Cupic nach seiner Schulterverletzung voraussichtlich noch bis Dezember, auch Goran Stojanovic (Bandscheiben-OP) ist noch nicht ganz fit. Und dann noch das Drama um Bjarte Myrhol, dessen Rückkehr nach der Diagnose Hodenkrebs noch ungewiss ist.

Die Erwartungshaltung an die Löwen ist in dieser Saison deshalb nicht ganz so groß, mit der Meisterschaft werden die Badener wie jedes andere Team außer dem HSV und dem THW nichts zu tun haben. Die Löwen haben in den vergangenen Jahren unglaublich viel Geld investiert, sind aber den Erwartungen eigentlich nicht ansatzweise gerecht geworden.

Die jetzige Situation könnte deshalb eine Chance darstellen. Ohne großen Druck endlich mal eine gute Saison hinlegen. Der mit nur 13 Feldspielern kleine Kader ist nämlich trotz der Ausfälle und Abgänge stark besetzt. Wer im Rückraum Karol Bielecki, Zarko Sesum und Krzystof Lijewski aufbietet, kann nicht so schlecht sein.

Eine ganz entscheidende Rolle wird nach dem Abgang von Szmal - und bis Stojanovic wieder bei 100 Prozent ist - Henning Fritz einnehmen. Der 36-Jährige stand in der vergangenen Spielzeit nicht allzu oft zwischen den Pfosten, zeigte aber immer wieder, dass er es noch drauf hat. Die Frage wird sein, ob der frühere Nationaltorhüter auch konstant gute Leistungen abliefern kann.

Christian Schwarzer sagt bei SPOX: "Die Löwen kommen normalerweise nicht an Kiel und Hamburg ran. Aber sie können der erste Verfolger sein. Die Frage ist, ob es endlich mal gelingt, konstante Leistungen zu zeigen. Es reicht nicht, nur phasenweise Topleistungen abzurufen, das sollte möglichst über 34 Spiele so sein. Sicher ist: Das Potenzial ist da, trotz der aktuellen Verletzungssorgen."

Löwen-Lineup: Fritz/Stojanovic/Svensson (Tor), Gensheimer/Ruß (LA), Bielecki/Sesum (RL), Lund/Schmid (RM), Lijewski/Müller (RR), Groetzki/Cupic (RA), Gunnarsson/Myrhol/Roggisch (KM)

Prognose: Bei den Löwen ist ein kleines bisschen Bescheidenheit eingekehrt, und das wurde nach den vergangenen Jahren, in denen viel angekündigt aber wenig gehalten wurde, auch höchste Zeit. Mit Gudmundur Gudmundsson haben die Löwen einen hervorragenden Trainer, der dank einer vernünftigen Vorbereitung eine schlagkräftige Truppe zusammenstellen wird, die endlich mal nicht enttäuscht - trotz Platz drei.

Hier geht es zu den Plätzen vier und fünf