Wir sind nicht besser

Von Für SPOX in Schweden: Florian Regelmann
Das DHB-Team spielt bei der WM in Schweden nach der Norwegen-Pleite nur noch um Platz elf
© Getty

Der deutsche Handball ist bei der WM in Schweden an einem Tiefpunkt angekommen. Vieles konzentriert sich auf Heiner Brand, aber der Bundestrainer ist nur Gefangener eines unhaltbaren Zustands. Schuld trägt auch die Bundesliga. Ein Kommentar von Florian Regelmann.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Wie ein Häufchen Elend saß Heiner Brand nach der aberwitzigen Vorstellung des DHB-Teams gegen Norwegen auf der Pressekonferenz und musste vier Jahre nach dem großen Triumph mit dem WM-Titel im eigenen Land einen absoluten Tiefpunkt in der deutschen Handball-Geschichte kommentieren.

Auf die schlechteste EM aller Zeiten vor einem Jahr hat Deutschland jetzt noch die schlechteste WM aller Zeiten oben draufgepackt. Dieses Fazit steht schon vor dem abschließenden Höllenspiel gegen Argentinien, das absolut niemand mehr braucht, fest. Einzig 1997 war man in gewisser Weise noch schlechter, denn damals war man nicht mal dabei. Was bekanntlich zur Folge hatte, dass Brand das Bundestrainer-Amt übernahm.

Nun muss die lebende Legende, Mister Handball himself, 14 Jahre später mit der größten Enttäuschung seiner Trainer-Karriere fertig werden. Und er hatte es auch noch geahnt. Es war bemitleidenswert, einen resigniert wirkenden Brand erzählen zu hören, wie er schon seit Dezember nicht mehr gut schlafen konnte. Wie er den Druck spürte. Nicht, weil er sich über ein mögliches Verpassen des Halbfinals Gedanken machte. Nein, er machte sich ernsthaft Sorgen, gegen Tunesien und Ägypten überhaupt die Vorrunde zu überstehen.

Weltklasse nur noch im Tor

Die Vorrunde überstehen? Deutschland? Im Handball? Ja, genau so sieht es nämlich aus. Es wird höchste Zeit, dass der Letzte kapiert, wo der deutsche Handball international steht. Wir sind nicht besser, als es diese WM gezeigt hat. Nur weil man die beste Liga der Welt hat und eine Handball-Nation ist, heißt das noch lange nicht, dass man sich automatisch in der Weltspitze wiederfindet. Realismus ist angesagt. Nüchterner Realismus. So bitter er auch sein mag.

Und dieser Realismus sagt einem, dass die letzten beiden Auftritte zwar nicht passieren durften, aber dass der Verlauf des Turniers und das Endergebnis nicht völlig überraschend kommen. Es ist das Ende einer Entwicklung, die sich seit längerem angedeutet hat. Diese deutsche Mannschaft ist nicht besser. Sie verkörpert Weltklasse-Format im Tor, aber damit hat es sich dann auch schon. Mal abgesehen von Uwe Gensheimer, der sich mit zunehmender Dauer von der Unsicherheit der Kollegen anstecken ließ. Aber Gensheimer spielt auf Linksaußen - und das ist nun mal keine zentrale Position.

Große Not im Rückraum

Auf den zentralen Positionen im Rückraum befindet sich Deutschland auf einem erschreckenden Niveau. Woher soll es auch kommen? Die Rückraum-Stars der Bundesliga heißen nicht Hens, Glandorf oder Kraus. Sie heißen Jicha oder Lackovic. Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob ich in der Bundesliga ganz gut mitspiele, oder ob ich der Mann bin, der in den entscheidenden Situationen Verantwortung trägt.

Das erklärt auch das riesige Vakuum an echten Spielerpersönlichkeiten mit Leader-Fähigkeiten im deutschen Team. Früher gaben Baur, Stephan und Schwarzer den Ton an. Da wurden auf dem Feld klare Anweisungen gegeben, die Hierarchie war extrem ausgeprägt vorhanden. Es hilft aber nichts, vergangenen Zeiten nachzutrauern, es geht um diese Mannschaft.

Bessere Spieler hat Deutschland nicht

Und um auf den realistischen Blick zurückzukommen: Es war die bestmögliche Mannschaft, die Deutschland in ein Turnier schicken kann. Ohne jeden Zweifel. Bevor man anfängt, sich Gedanken zu machen, wer jetzt aus der Nationalmannschaft geschmissen werden könnte, sollte jeder mal tief in sich gehen und überlegen, wen Brand denn bitte sonst hätte nominieren sollen. Ja, wen er hätte nominieren können. Bis auf den Streitfall Torsten Jansen wird man auf niemanden kommen, außer man ist vielleicht glühender Anhänger von Christian Zeitz... Wir haben keine anderen. Das sind die Besten.

Brands fast schon sarkastische Antwort auf die Frage, ob er sich gewünscht hätte, jemanden zuhause gelassen zu haben: "Man muss ja 16 Spieler mitnehmen." Das sagt eigentlich alles. Wenn der Bundestrainer an erweiterten Aufgeboten bastelt, muss er übertrieben gesagt schon jeden einzelnen Bundesliga-Kader durchforsten, um zu schauen, wer denn überhaupt in Frage kommt. Wieder übertrieben formuliert: Bei einem fiktiven 35er Kader kann er eigentlich gleich jeden nominieren, der einen deutschen Pass hat und einen Pass geradeaus werfen kann.

Bundesliga lässt deutsche Talente versauern

Die Bundesliga trägt eine große Mitschuld an diesem Desaster. Es wird höchste Zeit, dass einige Herren aufwachen und von ihrem hohen Ross herunter kommen. Statt auf Brands berechtigte, immer wiederkehrende Aufforderung, mehr auf den deutschen Nachwuchs zu setzen, mit polemischer Gegenkritik zu antworten, sollten die Liga und die Vereine begreifen, dass auch sie von einer erfolgreichen Nationalmannschaft abhängig sind. Man muss sich nur wieder die Einschaltquoten bei der WM anschauen - wenn die Nationalmannschaft dauerhaft keinen Erfolg hat, wird das auch der Bundesliga wehtun.

Dass Brand mit seinem Team genau sieben volle Trainingseinheiten hatte, wo in anderen Nationen schon einen Monat vor der WM der Spielbetrieb ruhte, darf nicht sein. Genauso wenig dürfen die deutschen Talente auf der Bank versauern - eine Quote muss kommen. Wie kann es sein, dass Deutschland Junioren-Weltmeister wird, aber nicht einen Rückraum-Spieler hat, der auch nur ansatzweise ans Tor zur A-Mannschaft klopft? Wie kann es sein, dass dafür aber die Franzosen (William Accambray, Xavier Barachet) oder auch die Norweger (Espen Lie Hansen) junge Rückraum-Spieler aus dem Hut zaubern, die Deutschland vor Neid erblassen lassen?

Auch in der Trainingsmethodik muss sich etwas ändern, wenn man sieht, wie physisch überlegen die Karabatics und Accambrays dieser Welt den deutschen Spielern sind. Im Duell Mann gegen Mann war die DHB-Auswahl in Schweden gegen die guten Gegner absolut chancenlos.

Mehr als wenige Highlights sind nicht drin

All diese realistischen Einschätzungen heißen nicht, dass man alles schlecht sehen muss. Wer den Halbfinal-Teilnehmer Schweden schlägt, wenn auch nur in der Vorbereitung, wer gegen den Halbfinal-Teilnehmer Spanien nach 50 Minuten klar vorne liegt und wer den Olympia-Zweiten Island schlägt, der kann an guten Tagen nicht so weit von der Weltspitze entfernt sein, wie es ein elfter oder zwölfter Platz am Ende aussagen wird. Das Problem: Man ist eben nur an guten Tagen mal in der Lage mitzuhalten.

Es sind Momentaufnahmen. Das deutsche Team muss ungeheuer viel investieren, wenn es auf dem Top-Level mitspielen will. Das hat aber nichts mit der wahren Leistungsfähigkeit zu tun. Konstant sind solche Kraftakte nicht zu bewältigen. Es ist wie ein Mittelklasse-Tennisspieler, der mal einen Top-Ten-Spieler heraushaut, nur um dann in der nächsten Runde gegen einen vermeintlich schlagbaren Gegner mit einer Packung vom Platz zu gehen. Weil er die Qualität schlicht und ergreifend nicht hat. Nicht wirklich.

Schmeißt Brand die Brocken hin?

Genauso verhält es sich mit dem DHB-Team. Diese WM ist kein Ausrutscher. Auch perspektivisch gesehen gibt es keinen Grund, warum diese Mannschaft zu einem Top-Team in der Welt reifen sollte. Das weiß auch Brand. Es müssen sich grundlegende Dinge ändern im deutschen Handball.

Es wird deshalb höchst spannend sein, ob Brand noch Bundestrainer ist, wenn im März die nächsten EM-Quali-Spiele gegen Island auf dem Programm stehen. Übrigens: An mögliche Szenarien, wie man sich bei der EM 2012 in Serbien ja doch noch für ein Quali-Turnier für die Olympischen Spiele qualifizieren könnte, sollte man aktuell keine großen Gedanken verschwenden. Erst mal muss man zur EM kommen und nicht mal das ist in der Gruppe mit Island und Österreich ein Selbstläufer.

Brand kündigte an, erst einmal Abstand gewinnen zu wollen, bevor er sich über seine persönliche Zukunft Gedanken macht. Wer ihn nach dem Norwegen-Albtraum gesehen hat, konnte den Eindruck gewinnen, dass er sehr mit sich ringt. Es gibt Momente, in denen man alles am liebsten einfach hinschmeißen würde. Für Brand könnte nach dieser WM so ein Moment gekommen sein - und man könnte es ihm nicht verdenken, wenn er es tatsächlich tut. Hinschmeißen.

DHB-Debakel gegen Norwegen: "Das habe ich noch nie erlebt"

Artikel und Videos zum Thema