"Wir trauern alle sehr"

SID
Abwehrchef Oliver Roggisch sah nach drei Zeitstrafen gegen Schweden die Rote Karte
© Getty

In seiner Kolumne für SPOX spricht Oliver Roggisch über den Tod von Oleg Velyky, der das ganze DHB-Team bei der EM in Innsbruck tief erschüttert hat. Außerdem: Ein Ausblick auf die Hauptrunde (das Spiel gegen Frankreich im LIVE-TICKER, So. 16.15 Uhr).

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Liebe Handball-Fans,

es fällt mir sehr schwer, in Worte zu fassen, was ich im Moment fühle. Eigentlich wollte ich euch berichten, wie gut die Stimmung bei uns ist nach dem Sieg gegen Schweden. Ihr habt ja gesehen, wie erleichtert wir den Erfolg gefeiert haben.

Leider ist die Stimmung nun ins Gegenteil umgeschlagen. Die Nachricht vom Tod von Oleg Velyky, die uns Heiner Brand nach dem Aufstehen überbringen musste, hat uns alle in einen tiefen Schock versetzt. Wir sind erschüttert und trauern alle sehr.

Ich bin in Gedanken bei seiner Familie, der ich an dieser Stelle mein Beileid aussprechen möchte. Ich kannte Oleg aus unserer gemeinsamen Zeit bei den Rhein-Neckar Löwen - er war ein großartiger Mensch und ein großartiger Handballspieler.

"Oleg war ein Jahr älter als ich"

Ich bin mir sicher, dass er so gerne mal bei einem großen Turnier richtig dabei gewesen wäre, er hat in seiner Karriere so ein unglaubliches Pech gehabt. Ich habe gewusst, dass die Krankheit wieder ausgebrochen ist, aber dass er jetzt verstorben ist, ist einfach nur Wahnsinn. In dem Alter. Ich muss die ganze Zeit daran denken, dass er ein Jahr älter war als ich. Mir fehlen wirklich fast die Worte.

Der letzte Kontakt mit Oleg war dabei noch ein lustiger. Ich habe ihn auf Mallorca getroffen, als er mit dem HSV Hamburg dort war. Da ging es ihm relativ gut, es war wohl das erste Mal, dass er wieder ein bisschen feiern war. Es ist ganz gut, ihn so in Erinnerung zu haben.

Wie es jetzt bei der EM weitergehen soll? Wie ich den Bogen zum Sportlichen spannen soll? Ich weiß es nicht. Ich erzähle euch am besten einfach, was mir sportlich zur Vorrunde so einfällt.

Positiv war, dass wir gegen Schweden zum ersten Mal gut aus der Kabine gekommen sind, den Anfang nicht total verbockt haben und eine gute erste Halbzeit gespielt haben. Nicht gut war, dass wir wieder eine Phase im Spiel hatten, in der wir ins alte Muster zurückgefallen sind und zu früh aufs Tor geknallt haben. Deshalb sind die Schweden auch wieder herangekommen.

Ganz schlimme letzte Minuten

Wenn wir noch einen Zahn zulegen und es schaffen, ein Spiel komplett ohne solche Phasen zu überstehen, dann haben wir auch gegen Mannschaften wie Frankreich eine Chance. Und ich sollte versuchen, nicht mit der dritten Zeitstrafe vom Feld zu fliegen. In der Summe war die Rote Karte okay, wobei das zweite Foul nicht ich begangen habe, sondern der Kollege Haaß. Über das letzte Foul kann man dann sicherlich streiten.

Ihr könnt euch denken, wie schlimm es für mich war, die letzten Minuten von draußen anschauen zu müssen. Die österreichischen Delegierten haben mir bestimmt fünfmal gesagt, dass ich hinter der Linie bleiben soll, weil ich immer wieder in Richtung Spielfeld gerannt bin. Es war eine Katastrophe.

Wenn wir verloren hätten, hätte ich mir wahrscheinlich große Vorwürfe gemacht, aber so ist es jetzt auch egal. Holger hat vorne die entscheidenden Dinger rein gemacht, die Jungs haben sich hinten noch einmal zusammengerissen, und Silvio hat grandios gehalten.

Was übrigens überhaupt nicht überraschend war. Bei der WM 2007 hat Henning Fritz auch ein überragendes Turnier gespielt, obwohl er in Kiel teilweise nur auf der Tribüne saß. So ein Turnier ist für einen Keeper immer auch eine Chance, sich in einem anderen Umfeld in Form zu bringen. Er hat gespürt, dass der Trainer ihm vertraut und die Mannschaft total hinter ihm steht.

Wieder mal eine Turniermannschaft

Wir wussten alle, dass Silvio - genauso wie Jogi Bitter - ein Weltklasse-Torhüter ist. Es freut mich riesig für ihn, dass er so eine sensationelle Leistung gebracht hat und ich denke, dass es nach dem ganzen Trubel um seine Person bei ihm jetzt wieder bergauf geht.

Unsere Torhüter haben uns in der Vorrunde häufig gerettet, zumal ich als Abwehrchef sagen muss, dass wir es noch nicht geschafft haben, ein Bollwerk hinzustellen. Die Abstimmung war nicht so gut, wie sie sein könnte. Da wir sehr viel gewechselt haben, war es aber auch nicht ganz einfach. Wenn wir in der Deckung so weitermachen wie in der zweiten Halbzeit gegen Schweden, in der wir nur elf Tore zugelassen haben, werden wir auch Erfolg haben.

Die erste Halbzeit gegen Slowenien war ein Rückschritt, aber grundsätzlich haben wir uns bislang in jedem Spiel gesteigert und bestätigt, dass wir die Turniermannschaft sind, von der immer alle sprechen.

Wir wissen außerdem, dass wir ohne unseren Kampfgeist keine Spiele gewinnen können. So gut sind wir noch nicht. Diese Einsatzbereitschaft zeichnet uns auch aus. Jeder muss sehen, dass wir uns zerreißen, dann glaube ich, dass uns die Leute auch nicht böse sind, wenn wir es nicht ins Halbfinale schaffen sollten.

Gegen Frankreich muss alles passen

Wie schwer es wird, unter die Top 4 zu kommen, ist ja offensichtlich. Es gab viele Leute, die uns schon total abgeschrieben hatten. Wir werden jetzt nicht den Fehler machen und uns unter Druck setzen und sagen, dass wir in der Hauptrunde alle drei Spiele gewinnen werden. Das wäre vermessen. Wir können aber an einem guten Tag jeden überraschen und wollen das Turnier bestmöglich beenden.

Ich habe von der Parallelgruppe noch nichts gesehen, aber es ist klar, dass wir auf drei starke Mannschaften treffen. Da gehören auch die Tschechen dazu, die mit Filip Jicha einen überragenden Spieler in ihren Reihen haben, den wir alle aus der Bundesliga gut kennen. Die Spanier, bei denen Iker Romero bombastisch in Form zu sein scheint, sind eine körperlich robuste Truppe und spielen einen ganz schnellen Handball.

Obwohl Spanien die Gruppe gewonnen hat, denke ich aber nach wie vor, dass Frankreich der größte Brocken ist. Weil es individuell einfach die stärkste Mannschaft mit den stärksten Einzelspielern ist. Wenn wir gegen die Franzosen gewinnen wollen, muss alles passen.

Wir werden alles geben. Für Oleg noch ein paar Prozent mehr als sonst.

Bis zum nächsten Mal

Euer Oliver Roggisch

Oliver Roggisch, 31, spielt seit 2007 bei den Rhein-Neckar Löwen. Der 1,99 m große Kreisläufer und Abwehrspezialist startete seine Karriere beim TuS Schutterwald, bevor es ihn zu Frisch Auf Göppingen zog. Weitere Stationen waren TuSEM Essen und der SC Magdeburg. Mit der Nationalmannschaft wurde er 2007 Weltmeister. Mehr Infos zum SPOX-Kolumnisten gibt's unter http://www.oliver-roggisch.de/.

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