"Ein Menschenleben ist ein Kunstwerk"

Von Interview: Adrian Bohrdt
Olafur Stefansson will mit den Rhein-Neckar Löwen den THW Kiel angreifen
© Getty

Olafur Stefansson gewann in den letzten beiden Jahren mit Ciudad Real die Champions League und wechselte im Sommer zu den Rhein-Neckar Löwen in die Bundesliga. Der 36-jährige Isländer gehört zu den besten Handballern der Welt - mit den Löwen will er Großes erreichen. Bei SPOX spricht der Handball-Philosoph über Hemingway, politische Eliten und seinen Kultstatus in Island.

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SPOX: Herr Stefansson, schön Sie in Deutschland zu sehen. Immerhin waren sie ja schon fast in der dritten Liga in Dänemark. Warum haben Sie sich dann noch mal anders entschieden und sind zu den Löwen gewechselt?

Olafur Stefansson: Ich wollte eigentlich in Dänemark etwas aufbauen, aber daraus wurde dann nichts. Die Löwen haben mir ein noch besseres Angebot gemacht - und ab diesem Zeitpunkt hat sich mein Kopf sofort wieder umgestellt. Ich wollte wieder auf ganz hohem Niveau spielen. Bei den Löwen will man viel erreichen, das war ein großer Anreiz für mich.

SPOX: In den letzten beiden Jahren haben die Löwen mit einem vierten und einem dritten Platz schon an der Spitze geschnuppert, in der Champions League wurde das Halbfinale erreicht. Was ist in dieser Saison möglich?

Stefansson: Meine Ziele sind so wie die Ziele der Mannschaft. Ich möchte mich nicht auf eine Platzierung oder Titel festlegen, aber eines ist klar: Wir wollen auf jeden Fall einiges erreichen.

SPOX: Gegen die Topteams der Liga, Kiel und Hamburg, setzte es bereits Niederlagen. Was sind denn noch die größten Unterschiede im Vergleich zu den absoluten Topteams?

Stefansson: Wahrscheinlich auch die Geschichte. Vor sechs oder sieben Jahren stand Ciudad Real zum Beispiel auch dort, wo jetzt die Löwen stehen. Unser Job ist es, die Löwen-Trikots wertvoller zu machen. Wir müssen etwas gewinnen und unsere Mannschaft auf ein so hohes Niveau heben, dass die Gegner Angst haben, gegen uns zu spielen. Dafür müssen wir hart arbeiten.

SPOX: Ist der erste Titel vielleicht der schwierigste?

Stefansson: Man kann es mit einem Meilenlauf vergleichen. Als einer zum ersten Mal unter vier Minuten geblieben ist, wurde es für alle leichter. Das ist genau das, was bei uns gerade stattfindet. Wir müssen jetzt etwas gewinnen, dann haben wir das Eis gebrochen. Auch für die zukünftigen Löwen-Teams. Mal sehen, wie lange es dauert.

SPOX: Sie haben mal gesagt, dass Sie bei den Löwen ein Handball-Kunstwerk schaffen und mit den Löwen Kiel stürzen wollen. Was meinten Sie damit genau?

Stefansson: Das habe ich so ausgedrückt, das stimmt. Eigentlich kann man ja das Leben von jedem Menschen mit einem Kunstwerk vergleichen. Ein Kunstwerk hat viele Farben und im Leben gibt es viele Dinge, die passieren. Erfolge und Misserfolge zum Beispiel. Wir wollen mit dieser Mannschaft ein Kunstwerk schaffen und dafür müssen wir uns physisch, sozial und mental 24 Stunden damit beschäftigen. Wenn wir das alles schaffen, dann wird es was. Wenn nicht, dann nicht. Es muss alles zusammenpassen, das ist schon eine schwierige Aufgabe.

SPOX: Ich merke schon, es ist kein Zufall, dass Sie als Handball-Philosoph gelten. Sie haben ja auch mal gesagt: "Ohne das Saure wäre das Süße nicht als süß zu erkennen." Wie kommen Sie überhaupt auf solche Sätze?

Stefansson: (lacht) Den Satz hatte ich aus dem Film Vanilla Sky. Ich habe immer viele Sätze im Kopf und die kommen dann irgendwann raus. Ich habe noch einen für Sie. Hemingway sagt: "Finde einen wahren Satz jeden Tag und du bist schon ein Schriftsteller geworden." Ich versuche immer, wahre, universal gültige Sätze zu finden, die ich dann auch aufschreibe.

SPOX: Im Vereinshandball haben Sie eigentlich alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Was treibt Sie noch an?

Stefansson: Mein Anspruch ist Perfektion. Ich würde sagen, dass nicht nur ich, sondern die ganze Mannschaft Perfektion sucht. Wenn ich dann irgendwann sehe, dass die Mannschaft wie eine Maschine funktioniert, wird das ein schöner Moment für mich sein, das weiß ich. Aber noch sind wir weit davon entfernt. Noch müssen wir unsere Fehler durch Kampfgeist ausgleichen, unsere Struktur finden und uns besser kennenlernen. Aber das kommt mit der Zeit.

SPOX: Was vielleicht nicht alle Leute wissen: Sie sind ein echter Superstar in Island. Ist das vergleichbar mit dem Status eines Fußballers hier in Deutschland?

Stefansson: Der Handball hat schon einen komischen Kultstatus in Island. Er liegt den Leuten in Island sehr am Herzen, das war schon immer so, auch wenn wir verloren haben. Ich bin einfach froh, dass wir mit der Silbermedaille in Peking endlich mal was gewonnen haben. Was die Leute über mich denken, ist eigentlich nebensächlich.

SPOX: Die ganze Mannschaft bekam nach Olympia immerhin das Ritterkreuz verliehen, das muss doch eine große Ehre gewesen sein, oder?

Stefansson: Es war okay, aber mein Problem ist folgendes: Wenn man etwas vom Staat akzeptiert, akzeptiert man eigentlich auch die Regierung und ich zweifele eigentlich immer an den Leuten, die da oben sind - deswegen waren es gemischte Gefühle. Dieses Metall war im Vergleich mit der Medaille selbst und im Vergleich mit dem, was wir zusammen erlebt haben, ganz wenig wert.

SPOX: Nach dem größten Erfolg der isländischen Sportgeschichte: Was sind Ihre Ziele bei der Europameisterschaft im Januar 2010?

Stefansson: Die Ziele sind die gleichen wie immer. Wir wollen eine Medaille holen und wir können auch eine Medaille holen, aber wir können auch Letzter werden. Es kann alles passieren.

SPOX: Sie sind jetzt 36 Jahre alt. Haben Sie bereits Pläne für die Zeit nach der aktiven Karriere?

Stefansson: Nein, ich habe keine konkreten Pläne. Ich werde mich ein bisschen zurückziehen und eventuell ein bisschen studieren. Eine genauere Planung würde jetzt nichts bringen. In Spanien gibt es einen Spruch, der heißt: "Je mehr man plant, desto mehr plant das Schicksal gegen dich."

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