Ein Glanzlicht und viel Harakiri

Von Florian Regelmann
Handball, Hens
© Getty

München - Die Statistik lügt nicht. Ob bei den Torjägern, Vorlagengebern oder Torhütern, unter den Top-Leuten sucht man einen Deutschen vergeblich.

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Wie die Leistung der deutschen Spieler in Norwegen über die Statistik hinaus zu bewerten ist, zeigt die SPOX-Einzelkritik.

Torwart

Henning Fritz

Es war vor der EM klar, dass Deutschland einen Fritz in Glanzform brauchen würde, um den Titel holen zu können. Aber auch Fritz ist menschlich. Auch er kann nicht bei jedem Großereignis überragend spielen. Man war verwöhnt und an Fritz-Heldentaten gewöhnt. Vor der WM war er mit den schlechtesten Voraussetzungen überhaupt zum Turnier gekommen, als dritter Torwart in Kiel, ohne Spielpraxis, ohne Selbstvertrauen. Es folgte eine große WM. Nun waren die Voraussetzungen nach seinem Wechsel zu den Rhein-Neckar Löwen viel besser, aber es folgte eine schlechte EM. Nicht zu erklären. Fritz wehrte nur 40 von 147 Würfen ab: 27 Prozent. Dass er im Halbfinale den entscheidenden Siebenmeter gegen Lars Christiansen nicht parieren konnte, war bezeichnend.

Johannes Bitter

Ohne Bitter wäre Deutschland nicht ins Halbfinale gekommen. Der 25-Jährige kam mit einer überragenden Form ins Turnier und konnte diese über weite Strecken auch bestätigen. Ihn trifft die geringste Schuld daran, dass es nicht für eine Medaille gereicht hat. Im Spiel um Platz drei wurde er total im Stich gelassen. Muss nach momentanem Stand als neue deutsche Nummer eins angesehen werden.

Rückraum

Pascal Hens

Hens nahm während der EM 74 Würfe, davon waren 43 Fahrkarten. Es war ein Turnier zum Vergessen für den deutschen Ego-Shooter. Wenn man auf der Königsposition des Handballs eine Leistung bekommt wie Deutschland von Hens, hat man keine Chance. Nach dem Spiel gegen Schweden dachten viele, der Knoten sei geplatzt, gegen die Dänen ging aber wieder nichts bei Pommes. Was er bei seinen riskanten Harakiri-Anspielen an den Kreis immer wieder denkt, bleibt definitiv sein Geheimnis. 

Holger Glandorf

Deutschlands bester Feldspieler. Mit 36 Toren war Glandorf bester Werfer, er hielt den Weltmeister häufig alleine in der Partie. Hat sich als einer der besten rechten Rückraumspieler der Welt etabliert. Müsste noch viel öfter und besser in Szene gesetzt werden. Ein Fixpunkt für die Zukunft.

Markus Baur

Der Kapitän, der alle Spielzüge nachts beim Schlafwandeln ansagen und durchspielen kann, gab sein Bestes, Regie zu führen. Nicht immer gelang es. Wie gewohnt treffsicher vom Siebenmeter-Punkt, einen sehr wichtigen gegen Dänemark vergab er aber. Nach wie vor unverzichtbar für den deutschen Angriff, obwohl aus dem Spiel wenig Torgefahr von ihm ausgeht. Dafür fehlt es Baur einfach am rechten Bums. Im Moment kann man sich nicht vorstellen, wie es ohne den 37-Jährigen gehen soll. Bei Olympia wird er sicher dabei sein, auch wenn er ab sofort Trainer beim TBV Lemgo ist.

Michael Kraus

Deutschland wurde vor allem auch deshalb Weltmeister, weil Mimi Kraus zum Shootingstar des Turniers avancierte. Aufgrund einer bislang überragenden Saison in der Bundesliga durfte man für die EM viel erwarten, aber sein Können blitzte nur sporadisch auf. Viel zu selten war seine unglaubliche Dynamik zu sehen. Die Quittung bekam er durch die überraschende Ausbootung aus dem Kader.

Christian Zeitz

Nicht fit, wirkte teilnahmslos. Ballerte zu häufig ohne Nachzudenken auf das Tor. Zeitz muss endlich in die Pötte kommen, sonst hat er keine Zukunft mehr in der Nationalmannschaft.

Lars Kaufmann

Erhielt wenig Einsatzzeit. Brand vertraute bis zum Schluss auf Hens, weil Kaufmann offenbar mit den Gedanken woanders war. Wurde wie Kraus und Hermann aussortiert.

Oleg Velyky

Der große Pechvogel. Bereits nach vier Minuten humpelte Velyky im Auftaktspiel gegen Weißrussland vom Feld. Velyky erlitt den zweiten Kreuzbandriss seiner Karriere. Deutschlands große Geheimwaffe stand nicht mehr zur Verfügung. Ganz bitter. Velyky hätte mit seiner Torgefährlichkeit und Spielübersicht die Schwächen von Hens kompensieren können. Wird wohl auch Olympia verpassen.

Rolf Hermann

Der Lemgoer wurde für Velyky nachnominiert. Erst in der zweiten Halbzeit im Spiel um Platz drei konnte man bemerken, dass er tatsächlich in Norwegen angekommen war. Ohne Spielanteile. Wird es zukünftig unter Brand schwer haben, der ihn aus dem Kader geworfen hat.

Frank von Behren

Wurde vor dem Halbfinale nachnominiert. Bekam die undankbare Aufgabe, Roggisch im Mittelblock in der Abwehr zu ersetzen. Versuchte alles, hat aber einfach nicht europäisches Spitzenniveau.

Außen

Florian Kehrmann/Torsten Jansen/Stefan Schröder/Dominik Klein

Mit einer Trefferquote von 67 (Kehrmann) bzw. 68 Prozent (Jansen) war die deutsche Flügelzange gewohnt zuverlässig. Sie litten aber darunter, dass die Außen zu wenig in den deutschen Angriff eingebunden wurden.

Kehrmann, der als einziger Deutscher ins All-Star-Team gewählt wurde, erlitt im Halbfinale eine Muskelzerrung, kam aber zurück ins Spiel. Alles andere hätte nicht seinem Kämpfer-Naturell entsprochen.

Beide bleiben für die Zukunft gesetzt. Für Schröder wird weiter nur eine Bankrolle bleiben. Klein ist hinter Jansen verschenkt. Seine Schnelligkeit täte dem deutschen Spiel gut. Sollte vielleicht auch mal auf der Spielmacher-Position eingesetzt werden.

Kreis

Oliver Roggisch/Sebastian Preiß/Andrej Klimowets

Roggisch war der gewohnte Aggressor, Motivator und Abwehr-Chef. Sein Ausfall nach Muskelfaserriss war nicht zu kompensieren. Preiß und Klimowets sind im Angriff auf europäischem Niveau nicht mehr als Durchschnitt. Der Kreis ist eine der Problem-Positionen im deutschen Team. Jens Tiedtke könnte eine Lösung sein.

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