Kaymers intelligente Aggressivität

Von Florian Regelmann
Martin Kaymer hat sich in der Weltrangliste schon auf Rang elf vorgearbeitet
© Getty

Martin Kaymer geht mit zwei Erfolgen im Rücken als Siegkandidat in die British Open. SPOX sagt, warum der Deutsche in Turnberry seinen großen Triumph feiern könnte.

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1. Sein Talent: Es gibt zwei Sorten von Major-Siegern: Da sind die einen, die sich in ihrer Karriere alles erarbeiten müssen und quasi als Belohnung mal mit einem Überraschungscoup belohnt werden. Die klassischen "One-Hit-Wonder". Gerade bei den British Open haben wir sie schon häufiger erlebt. Man denke an Ben Curtis oder Todd Hamilton. Bei allem Respekt: Der Erfolg dieser Jungs hatte mit purem Talent nicht viel zu tun. Sollte einer von ihnen jemals wieder ein Major gewinnen, wäre es ein Schock.

Und dann gibt es eben die anderen, die so viel Begabung haben, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie eines der vier großen Turniere gewinnen. Immer vorausgesetzt, dass auch sie hart arbeiten. Talent allein reicht bekanntlich nicht. Martin Kaymer arbeitet ungemein hart an seinem Spiel und ist ungemein talentiert. "He has game", würde der Amerikaner sagen. Er hat es einfach drauf.

Wenn es um das reine Ballstriking geht, wenn man nach den Spielern sucht, die den  besten Ball spielen vom Abschlag bis zum Grün, ist Kaymer auf jeden Fall unter den Top-Leuten anzusiedeln. Genauso wie beispielsweise Sergio Garcia. Turnberry ist in erster Linie ein Driver-Platz. Wer den Abschlag lang und gerade Mitte Bahn spielt, wird vorne mit dabei sein. Kaymers größte Stärke sind seine Drives. Genug gesagt.

2. Sein Putter: Wer ein Major gewonnen hat, war am Ende der Woche fast immer auch der beste Putter im Feld. Diese entscheidenden Zwei-Meter-Putts, von denen man bei einem Major eine Unmenge lochen muss, sind der Schlüssel. Manche scheitern daran (Hallo Sergio), bei anderen (Hallo Tiger) hat man den Eindruck, sie würden in ihrem ganzen Leben nie mehr einen Putt vorbeischieben.

Kaymer hatte in seiner bisherigen Karriere schon "Garcia-esque" Ansätze, aber in erster Linie neigt der 24-Jährige einfach dazu, auf den Grüns sehr streaky zu sein. Wenn er mal heiß läuft, locht er alles. So wie in den letzten beiden Wochen. Wenn der Putter auch in Turnberry so kooperiert, dann ist Kaymer kaum zu schlagen.

3. Seine Ruhe: Wer Kaymer auf seiner Runde beobachtet, der ist vor allem von seiner unglaublichen Ruhe beeindruckt. Egal, ob er ein Eagle spielt oder ein Triple-Bogey, bei Kaymer tut sich nichts - er ist die Ruhe selbst. Wie er bei SPOX schon mal erzählte, hat er noch nie in seinem Leben einen Schläger kaputt gemacht. Wie macht er das nur? Bewundernswert.

4. Sein Umfeld: Die Bilder, als Kaymer im letzten Jahr die BMW International Open gewann, sind unvergessen. Er hatte das Turnier unter großer psychischer Belastung für sich entschieden und widmete den Sieg seiner Mutter, die kurze Zeit später verstarb. Er wird auch in dieser Woche wieder viel an sie denken.

Sein Umfeld hatte immer einen großen Anteil an seinem Erfolg. Sein Bruder Philip war gerade in der schwierigen Anfangszeit auf der Tour ein wichtiger Rückhalt - und nebenbei noch sein Caddie. Auch sein langjähriger Coach Günter Kessler, sein Caddie Justin Grenfell-Hoyle, sein Manager Johan Elliot und Fanny Sunesson sind wichtige Bezugspersonen. Sunesson, die lange die Tasche von Nick Faldo trug und jetzt für Henrik Stenson arbeitet, berät Kaymer vor allem in Sachen Course Management.

5. Seine Einstellung: Kaymer hat nicht nur die Schläge eines Stars, er hat vor allem auch den Kopf eines Stars. Ein Beispiel: Gerade bei den British Open wissen wir, dass das Wetter eine große Rolle spielt. Wenn man Pech hat, stürmt und regnet es so heftig, dass man als Spieler durchdrehen könnte. Nicht so Kaymer. Der Deutsche mag es sogar, bei schlechtem Wetter zu spielen. Auch weil er weiß, dass es viele Spieler gibt, die er mit dieser positiven Einstellung schon geschlagen hat.

Nicht nur in dieser Beziehung hat Kaymer ein kleines Tigerchen in sich. Irgendeinen Spieler auf dieser Welt mit Tiger Woods zu vergleichen, ist nicht gestattet. Punkt. Dennoch kommt man nicht umher festzustellen, dass Kaymers Art und Weise, wie er Turniere gewinnt, bemerkenswert ist. Wenn er einmal vorne liegt, hat er den Killerinstinkt und lässt sich den Sieg nicht mehr nehmen. Kaymer macht nicht immer gute Schläge, er haut mal da einen Drive weg oder lässt da einen Chip zu kurz. Aber er hat dieses gewisse Etwas, voll da zu sein, wenn es darauf ankommt. Bernhard Langer sagte es einmal am besten: "Er ist intelligent und aggressiv. So wie Tiger und Phil Mickelson."

SPOX-Prognose: Bei einer British Open kann alles passieren. Jean Van de Velde 1999 in Carnoustie sollte als Stichwort reichen. Wenn das Wetter will, sind ganz hohe Scores möglich. Garcia spielte mal eine 89 (!), Tiger zerlegte es mit einer 81 in Muirfield auch schon. Es kommen mindestens 30 Spieler für den Sieg in Frage.

Der sicherste Tipp ist, na klar, Tiger. Woods liebt Links-Golf und ist in einer bestechenden Form. Zu der Favoriten-Gruppe dahinter gehört auf jeden Fall Kaymer. Dass er in den USA auf mancher Sportseite nicht mal zu den Top-25 gehört? Ein Witz. Was gegen Kaymer spricht, ist einzig die Logik. Es ist eigentlich völlig unmöglich, die beiden Turniere vor einem Major und dann das Major selbst zu gewinnen.

Wobei Kaymers dritter Sieg in drei Wochen immer noch wahrscheinlicher ist, als ein dritter Open-Sieg in Folge von Padraig Harrington. Der Ire ist völlig außer Form. Kurzum: Kaymer kann gewinnen, aber um ihn nicht zu verhexen, setzt SPOX auf jemand anderen: Geoff Ogilvy. Der Australier hat schon einen Major-Titel (US Open) auf dem Konto, der zweite wäre jetzt mal fällig. Lasst die Open Championship beginnen!

Stephan Gross exklusiv bei SPOX vor seinem Major-Debüt