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Von Florian Regelmann
Golf, Marcel Siem
© Getty

München - In Zeiten, in denen berechtigterweise das große Martin-Kaymer-Fieber ausgebrochen ist, vergisst man es gerne, aber es gab eine Zeit, da sollte ER der neue Bernhard Langer im deutschen Golfsport werden.

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Da sollte ER viele Turniere gewinnen, bei Majors eine Rolle spielen und sich für den Ryder Cup qualifizieren. ER war das Riesentalent. ER - das war Marcel Siem.

Im Alter von 23 Jahren - so alt wie Kaymer heute - gewann Siem Anfang 2004 bei der Dunhill Championship in Südafrika sein erstes Turnier auf der European Tour.

Großer Absturz nach World-Cup-Sieg

Für alle Experten war klar: Dieser junge coole Deutsche mit dem Pferdeschwanz würde ein Großer werden.

Ein Star kann Siem zwar immer noch werden, aber in den vergangenen Jahren musste er schwere Zeiten überstehen.

"Das war teilweise schon alles sehr deprimierend für mich. Nicht so schlimm, dass ich ans Aufhören gedacht hätte, dafür macht es mir viel zu viel Spaß, aber es war schon hart", gibt Siem im Gespräch mit SPOX.com zu.

Der große Absturz begann ausgerechnet Ende 2006, nachdem er auf dem Weg schien, ganz oben anzugreifen.

Siem konnte einige Top-Platzierungen verbuchen (Scandinavian Masters, Omega European Masters, Volvo Masters) und gewann als Höhepunkt zusammen mit Langer für Deutschland den World Cup auf Barbados.

Aufwärtstrend klar erkennbar

Wie schnell es im Golf in die andere Richtung gehen kann, zeigte die nächste Saison. 2007 lief bei Siem nichts zusammen.

Während des ganzen Jahres konnte er keine einzige Top-Ten-Platzierung einfahren. Die logische Konsequenz: Siem verlor seine Tourkarte und musste sich dem stellen, was alle Profi-Golfer so fürchten, der Qualifying-School.

Dort bewies er Charakter und sorgte dafür, dass er auch 2008 in der höchsten Golf-Liga Europas mitspielen kann.

Nun ist er wieder so weit, um sonntags des öfteren mit einer realistischen Chance auf den Sieg aufzuteen. Bei der Italian Open im Mai landete er auf einem glänzenden vierten Platz und auch in den Wochen danach bestätigte er seinen Aufwärtstrend.

"Ich weiß, was ich kann"

Dass er zuletzt bei den BMW International Open, seinem erklärten Lieblingsturnier, am Cut scheiterte, war bitter, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass Siem im Kommen ist. Er will zeigen, dass nicht nur Kaymer für deutsche Erfolge sorgen kann.

"Ich bin absolut zufrieden mit der Saison bis jetzt. Mein Ziel ist es wieder, Turniere zu gewinnen. Ich weiß, was ich kann", macht Siem deutlich.

Aktuell liegt er in der Order of Merit auf Rang auf Rang 95 (171.417 Euro). Der ganz große Existenz-Druck der letzten Jahre ist weg. Noch ein, zwei solide Resultate sollten reichen, um die Spielberechtigung für 2009 zu sichern.

Aus der Daly-Schule 

Die Gründe für die wieder gefundene Form sind vielschichtig. Da wäre zum einen die Umstellung, die Siem an seinem Schwung vorgenommen hat. Statt eines Draws (Rechts-Links-Kurve) spielt er nun einen Fade (Links-Rechts-Kurve). Es scheint sein Spiel konstanter zu machen.

Denn Siems größtes Problem waren immer die dicken, fetten Zahlen, die man auf seiner Scorekarte finden konnte. An Birdies mangelte es nicht, aber zwischendrin stand da häufig eine 6, auch mal eine 7 oder gar Schlimmeres. Nicht nur hier ist er ganz das Gegenteil von Kaymer.

"Martin kommt einfach aus der Langer-Schule. Das heißt, eben mehr auf Sicherheit zu spielen, viele Fairways und Grüns zu treffen. Ich komme mehr aus der John-Daly-Schule", meint Siem.

Mentaltrainer Hambüchen hilft

Daly-Schule - damit bezieht sich Siem ausschließlich auf die extrem aggressive Spielweise, nicht auf die Eskapaden außerhalb des Platzes, für die der Amerikaner John Daly bekannt ist.

"Mittlerweile habe auch ich gelernt, wann ich etwas defensiver spielen muss. Früher hatte ich so viel Selbstvertrauen in mein Putten, dass ich den Ball einfach volles Rohr vors Grün hauen konnte, ihn irgendwie drauf gespielt habe und dann immer den Putt gelocht habe", erklärt Siem.

Um dieses Vertrauen zurückzugewinnen, arbeitet Siem seit nun schon geraumer Zeit auch mit Bruno Hambüchen zusammen. Seines Zeichens Onkel von Turnstar Fabian Hambüchen und von Beruf Mentaltrainer.

Er hat sicher einen Anteil an Siems Aufschwung, aber wie sehr der 27-Jährige gereift ist, zeigt eine kleine Veränderung, die er von sich aus vorgenommen hat.

Mit Kopfhörer auf der Range

Früher konnte man Siem häufig beobachten, wie er auf der Driving Range mit seinen Kollegen Small-Talk hielt.

Mittlerweile sieht man einen völlig fokussierten Siem, der Kopfhörer aufhat und nur eines im Sinn hat: sich konzentriert auf seine Runde vorzubereiten.

"Das ist schön laute Musik, die ich mir da anhöre. Viel House vor allem", so Siem, der sich dann wie in einem Tunnel befindet. In seiner Welt.

Wenn er mit dieser Einstellung seinen Weg weitergeht, dann wird es nicht lange dauern, und er könnte wie Kaymer bei den größten Turnieren der Welt auftauchen.

"Bis jetzt war ich immer zu blöd, mich für ein Major zu qualifizieren. Aber natürlich will ich da hin, ganz klar."

Und wer weiß, auch wenn es momentan schwer vorstellbar scheint, vielleicht gibt es eine Woche, an der ER wieder der Mann ist, über den alles spricht.

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