Joe Zinnbauer im Interview: "HSV? Rein fußballerisch ist das nicht zu erklären"

Joe Zinnbauer ist seit Mai 2017 vereinslos.
© imago
Cookie-Einstellungen

Wie erklären Sie sich den verpassten Wiederaufstieg?

Zinnbauer: Erster in der Hinrunde, 16. in der Rückrunde - rein fußballerisch ist das nicht zu erklären. Für mich ist das nur Kopfsache. Die Angst vor dem Nicht-Aufstieg in die Bundesliga dürfte ähnlich groß gewesen sein wie die Angst in den vergangenen Jahren vor dem Abstieg aus der Bundesliga. Ich bin mir sicher, dass jeder HSV-Spieler Profi genug ist und den Willen hat, in einem Spiel wie gegen Paderborn alles zu geben. Aber wenn im Kopf alles blockiert ist, geht mit dem Ball am Fuß nichts mehr. Dann verspringen die einfachsten Bälle.

Trainer Hannes Wolf soll vor dem Aus stehen. Wie groß ist sein Anteil am Absturz?

Zinnbauer: Ich bin nach wie vor überzeugt, dass Hannes Wolf ein guter Trainer ist. Aber mit dieser zum Großteil von außen hereingetragenen Hektik, die in diesem Verein herrscht, zurecht zu kommen, ist unglaublich schwierig. In diesem Jahrzehnt war noch kein einziger Trainer wirklich erfolgreich beim HSV - da nehme ich mich nicht aus. Keiner hat es geschafft, den HSV aus dieser scheinbar unendlichen Abwärtsspirale herauszubekommen. Aber immer wieder nur dem Trainer die Schuld zu geben, das ist zu einfach. Viel zu einfach.

1860 München 2.0? Joe Zinnbauer warnt den HSV

Der Aufstieg war von den Verantwortlichen fest eingeplant. Wie groß ist der finanzielle Schaden, noch mindestens ein weiteres Jahr in der 2. Liga bleiben zu müssen?

Zinnbauer: Von nur einem kleinen Betriebsunfall kann man jetzt zumindest nicht mehr sprechen. Nächstes Jahr wird es auf dem Papier wahrscheinlich noch schwieriger werden, aufzusteigen. Was das finanziell genau bedeutet, wird man in den nächsten Wochen sehen. Ich wünsche dem HSV von ganzem Herzen, dass es ihm mittelfristig nicht ergeht wie anderen großen Traditionsvereinen wie Kaiserslautern oder 1860 München, bei denen die Verantwortlichen auch erst dachten, der Abstieg in die 2. Liga war nur ein Ausrutscher und dann von Jahr zu Jahr immer größere finanzielle Schwierigkeiten bekamen.

Man hat beim HSV das Gefühl, dass die meisten Spieler schlechter werden anstatt sich weiterzuentwickeln. Beispiel Filip Kostic. Beispiel Michael Gregoritsch.

Zinnbauer: Da gibt es viele weitere Beispiele. Luca Waldschmidt oder Matti Steinmann sind noch so Riesentalente, die den Durchbruch beim HSV nicht geschafft haben und mittlerweile woanders spielen. Waldschmidt gefällt mir sehr gut. Man sieht, dass er das vollste Vertrauen in Freiburg spürt. Junge Spieler wie er können sich beim HSV kaum entwickeln, weil es ständig um Abstieg oder Aufstieg geht, weil der Klub einen Existenzkampf führt. Als Trainer sind dir die Hände gebunden. Du musst in solchen Ausnahmesituationen zwangsläufig auf erfahrene Spieler setzen und kannst gar nicht auf die mentale Verfassung der Jungs eingehen, die sich noch am Anfang Ihrer Entwicklung befinden.

Joe Zinnbauer rät Jann-Fiete Arp zu einer Leihe

Mit dem 19 Jahre alten Jann-Fiete Arp kehrt im Sommer ein weiteres Talent dem HSV den Rücken und wechselt zum FC Bayern.

Zinnbauer: Ich denke, das Beste für ihn wäre, sich noch ein oder zwei Jahre ausleihen zu lassen. In München würde er kaum von Anfang an spielen. Ein junger Spieler wie er braucht so viele Einsatzminuten unter Wettbewerbsbedingungen wie möglich.

Sie gelten als Motivationskünstler. Wie wichtig ist Mentalität im Fußball und wie viel Wert legen Sie auf Taktik?

Zinnbauer: Eines ist klar: In einem Existenzkampf, wie ihn der HSV seit mehreren Jahren führt, brauchst du als Trainer nicht mit Taktik anzufangen. Klar, taktische Flexibilität ist die Voraussetzung für Erfolg, deine Mannschaft muss Ballbesitz genauso können wie Konter-Umschaltspiel. Aber wenn du zu viel mit Taktik erklären willst, hast du den Fußball nicht richtig verstanden. Du musst mental schwächere Spieler unter deine Fittiche nehmen, regelmäßig und individuell mit ihnen sprechen. Wenn du sie alle dazu bringst, dass sie für dich spielen und marschieren, kannst du an taktischen Abläufen feilen. Das Schöne am Fußball ist, dass da auch nur Menschen mit Gefühlen auf dem Rasen stehen und keine Roboter. Deshalb gibt es auch kaum ein starres taktisches System, das erfolgreich ist. Jede Mannschaft ist unterschiedlich, weil jeder Spieler unterschiedlich ist.

Die Stationen von Joe Zinnbauer als Profitrainer

VereinAmtsantrittAmtsaustrittPosition
VfB Oldenburg1. Juli 200530. Juni 2010Trainer
Karlsruher SC1. Januar 201126. März 2012Co-Trainer/Scout
Karlsruher SC II27. März 201230. Juni 2014Trainer
Hamburger SV II1. Juli 201415. September 2014Trainer
Hamburger SV16. September 201422. März 2015Trainer
Hamburger SV II1. Juli 201516. September 2015Trainer
FC St. Gallen17. September 20154. Mai 2017Trainer
Inhalt:
Artikel und Videos zum Thema