Darmstadt-Trainer Dirk Schuster im Interview: "Ich bin als Vollidiot dorthin gefahren"

Dirk Schuster ist seit Dezember 2017 wieder Trainer beim SV Darmstadt 98.
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SPOX: Was hat dieses Nachdenken ergeben?

Schuster: Es hat zunächst einen gewissen Zeitraum gebraucht, bis wir als Trainerteam das Geschehene überhaupt richtig einordnen konnten. Wir haben uns ein paar Monate nach dem Aus beim FCA an einen ruhigen Ort zurückgezogen und die Zeit in Darmstadt und Augsburg selbstkritisch aufgearbeitet. Da ging es um den Umgang mit grundsätzlicheren Themen: wie man Konflikte besser löst oder wo wir gegenüber handelnden Personen falsch reagiert haben. Wir haben auch gesehen, dass es uns zum Beispiel gut tat, uns bei der Vorbereitung der Mannschaft auf die Spiele stärker hinsichtlich moderner Hilfsmittel geöffnet und Spielsituationen häufiger vorab visualisiert zu haben.

Dirk Schusters Stationen als Trainer

VereinAmtsbeginnAmtsende
SV Darmstadt 9811.12.2017???
FC Augsburg01.07.201614.12.2016
SV Darmstadt 9828.12.201230.06.2016
Stuttgarter Kickers05.06.200919.11.2012
FC Wilferdingen25.01.200730.06.2008
ASV Durlach18.10.200601.01.2007

SPOX: Wie sind Sie damals mit der Anfrage aus Augsburg umgegangen: Hatten Sie überhaupt genug Zeit, um sich darüber ausreichend Gedanken machen zu können?

Schuster: Es geschah alles wie im Zeitraffer und relativ kurzfristig. Nach dem Klassenerhalt mit dem SVD musste man zügig das Pro und Contra dieser Anfrage abwägen. Wir haben zugesagt, weil wir es als nächsten Karriereschritt gesehen haben, bei einem in der Bundesliga etablierten und besser aufgestellten Verein zu übernehmen. Im Endeffekt hat uns in Augsburg die Zeit gefehlt, alle Strukturen innerhalb des Klubs richtig kennenzulernen und unsere Darmstädter Arbeitsweise dort zu implementieren oder sie sogar umzustellen und anzupassen.

SPOX: Inwiefern haben Sie anschließend gespürt, dass Ihr Ruf in der Branche gelitten hat?

Schuster: Darüber habe ich mir kaum Gedanken gemacht, wobei eine Beurlaubung nie förderlich für den eigenen Ruf und die Aussicht auf einen neuen Job ist. Andererseits hatte ich schon zwei Stunden nach der Bekanntgabe der Trennung in Augsburg einen Verein am Telefon, den ich sofort hätte übernehmen können. Man entscheidet auch immer nach seinem Bauchgefühl, man muss etwas bewegen können. Einfach aus der Hüfte zu schießen ist unsinnig, auch weil es wohl rufschädigender wäre, wenn man zwei Mal kurz hintereinander beurlaubt würde.

Dirk Schuster über Nikosia und Darmstadt

SPOX: Kurz vor dem Anruf von SVD-Präsident Rüdiger Fritsch wollten Sie nach Zypern fliegen, Omonia Nikosia lud Sie ein - ein allenfalls zweitklassiger Verein.

Schuster: Wir waren schon auf dem Sprung zum Flug nach Nikosia. Dort hätten wir die handelnden Personen und den Klub kennengelernt, man hatte auch sehr großes Interesse an uns. Wir waren relativ weit, aber die Sache stand nicht unmittelbar vor dem Abschluss.

SPOX: Hätten Sie dort nicht befürchtet, ein wenig in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden?

Schuster: Das war sicherlich ein Kriterium bei der Entscheidungsfindung. Wir hatten den deutschen Markt natürlich ständig im Auge, doch da entschied man sich bei den offenen Planstellen für andere Kandidaten. Dann stellt sich die Frage: Hat man weiter Geduld, ist länger aus dem Hamsterrad draußen und gerät vielleicht in Vergessenheit oder nimmt man eine Aufgabe an, die vielleicht auf den ersten Blick nicht extrem attraktiv erscheint, aber hinter der sich eine große Herausforderung verbirgt?

SPOX: Was Omonia für Sie gewesen wäre?

Schuster: Das ist ein Verein mit viel Tradition und Fanpotenzial. Es hätte eine sehr reizvolle Aufgabe werden können, dort Aufbauarbeit zu leisten und einen mittelfristigen Plan zu entwickeln, wie man den Klub aus dem Mittelfeld wieder an die Tabellenspitze bringt - inklusive der Aussicht, europäisch zu spielen und selbst auch wieder interessanter für den Markt zu werden. Diese Chance haben wir durchaus gesehen.

SPOX: Insofern war der Anruf von Fritsch dann wohl das Beste, das Ihnen in dieser Situation passieren konnte?

Schuster: So kann man es sagen. (lacht) Darmstadt ist ein Verein, der mir am Herzen liegt. Die damalige Trennung war vielleicht nicht geräuschlos, aber man schätzt sich einfach und weiß, was man hier vorfindet und an den Verantwortlichen und Mitarbeitern hat. In den Gesprächen mit Rüdiger Fritsch merkten wir schnell, dass dies ein idealer Wiedereinstieg für uns werden kann.

Dirk Schuster: "Brauche Ausgleich von diesem Arbeitsstress"

SPOX: Kurz darauf sind Sie 50 Jahre alt geworden. Welchen Effekt hat diese Zahl auf Sie?

Schuster: Gar keinen. Viele haben damit ein Problem, aber mir ist mein Alter egal. Ich fühle mich deutlich jünger.

SPOX: Ihr Kollege Jeff Strasser ist sieben Jahre jünger und erlitt beim Spiel in Darmstadt eine Herzattacke. Wie sehr macht man sich darüber Gedanken in einem Job, der einen fast 24 Stunden am Stück fordert?

Schuster: Ich muss leider sagen, dass man den Gesundheitsaspekt oft und leicht verdrängt. Man rückt Dinge in den Vordergrund, die man als wichtiger erachtet: wie die Mannschaft funktioniert, die taktische Ausrichtung am Wochenende, die Kaderplanung für die neue Saison - all dies fordert sehr viel Zeit und Kraft ein. Ich habe zwar auch schon einmal eine Krankheit nicht ideal auskuriert, aber wir sind im Trainerteam sportlich sehr aktiv. Den Ausgleich von diesem Arbeitsstress brauche ich auch. Im November bin ich den New-York-Marathon gelaufen und in unter fünf Stunden durchgekommen. Da dachte ich mir: 50 bin ich noch nicht. An den Spieltagen laufen wir gemeinsam immer eine 18-Kilometer-Strecke. In Hamburg klingelte deshalb zum Beispiel um 5 Uhr der Wecker und um 5.15 Uhr liefen wir los, damit wir um 8 Uhr wieder pünktlich beim Frühstück mit der Mannschaft waren. (lacht)

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