"Das hätte ein Briegel nie gemacht!"

Stefan Kuntz ist seit April 2008 Vorstandschef beim 1. FC Kaiserslautern
© getty

2012 ist der 1. FC Kaiserslautern, der einzige Verein, der als Aufsteiger deutscher Meister wurde, aus der Bundesliga abgestiegen. Seitdem stehen zwei vierte und ein dritter Platz in der 2. Liga zu Buche. Seit über sieben Jahren hautnah mit dabei: FCK-Vorstandschef Stefan Kuntz. Im Interview spricht der Europameister von 1996 über das "Schreckgespenst" Ausgliederung, das für viele Traditionsvereine ein Problem darstellt. Zudem erklärt Kuntz, weshalb sich das Publikum beim FCK nur schwer mit der Gegenwart identifizieren kann.

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SPOX: Herr Kuntz, Sie haben Ihre Karriere bei Dorfvereinen in Ihrer Heimat beendet, kicken selbst noch hin und wieder und besuchen auch häufiger Spiele in Amateurligen. Sehnen Sie sich nach den Wurzeln des Fußballs, die im Profisport immer mehr verloren zu gehen scheinen?

Stefan Kuntz: Ich habe seit jeher eine Sehnsucht nach dem ursprünglichen Fußball, nicht nur deshalb, weil ich nicht alles toll am heutigen Profifußball finde. Ich kam früher von der Schule nach Hause, habe nach dem Mittagessen so schnell es ging die Hausaufgaben hingeschmiert und bin dann den ganzen Tag kicken gegangen. Der Bolzplatz war mein Leben. Kameradschaft, Gemeinschaftsgefühl, trotzdem Ehrgeiz und der Wille zum Sieg - das war Fußball an seinen Wurzeln.

SPOX: Der Sie heute noch wie eh und je packt?

Kuntz: Es ist Fußballspaß pur, vor 50 oder 100 Leuten zu kicken. Ich spiele einmal in der Woche mit meinen Bolzplatzkumpels in der Halle Fußball. Da gibt es Schreiner, die noch voller Holzspäne zum Training kommen oder welche, die erst in der Kabine die Krawatte abnehmen können - aber dann mit voller Leidenschaft zu Werke gehen. Das Gefühl, das ich dabei habe, hilft mir abzuschalten und neue Kraft zu tanken. Meine Frau sagt immer, ich sehe aus wie der glücklichste Mensch auf Erden, wenn ich danach nach Hause komme. Das Aufstehen aus dem Bett am Morgen danach kommentiert sie dann aus Rücksicht auf mein Alter nicht mehr. (lacht)

SPOX: Klassischer Fall von Fußball-Romantiker, oder?

Kuntz: Ja, total. Ich würde lieber zusammen mit meinen Kumpels eine Partie in meinem Heimatdorf spielen, als ein Veteranenspiel gegen ein anderes Land. Mit meiner aktiven Karriere habe ich komplett abgeschlossen.

SPOX: Darf man heute denn noch Romantiker sein oder ist man dann einer der vermeintlich Ewiggestrigen, die alle neuartigen Entwicklungen kritisch sehen?

Kuntz: Ich finde eher, dass das ein Wert ist, den man gerade in der heutigen Zeit auch vertreten sollte. Das beinhaltet ja nicht, dass man einen Verein nicht mit der nötigen Professionalität in der Gegenwart führt.

SPOX: In der Gegenwart ist eine Ausgliederung der Lizenzspielerabteilung Thema beim FCK. Ist das nicht gerade an einem Fußball-Standort wie Kaiserslautern, der eine sehr große Geschichte hat und darauf auch stolz ist, schwer vermittelbar?

Kuntz: Ist es. Nehmen wir einmal dieses vermeintliche Schreckgespenst "Ausgliederung". Hier ist es unsere Aufgabe, den Mitgliedern die Angst vor dem Verlust des Mitspracherechts zu nehmen und aufzuzeigen, welche Vorteile eine Ausgliederung für den FCK bringen könnte. Und zwar aus dem simplen Grund, weil wir so etwas konkurrenzfähiger sein könnten. Es ist doch kein Zufall, dass mittlerweile 13 Traditionsvereine in der 2. Liga spielen. Beinahe wären noch Hamburg und Stuttgart dazugekommen. Dann hätten wir fast die Teams beisammen, die vor zehn Jahren noch in der Bundesliga zugegen waren.

SPOX: Kaiserslautern ist nicht der einzige Klub, der sich um seine Wettbewerbsfähigkeit sorgt. Wäre es mit der Identität des FCK überhaupt vereinbar, eines Tages einen Investor mit ins Boot zu holen?

Kuntz: Wer einen konkurrenzfähigen und modernen Traditionsverein haben möchte - und wir möchten das -, der braucht überdurchschnittliche Vermarktungseinnahmen oder einen strategischen Partner, der am FCK und seiner Weiterentwicklung interessiert ist. Die Entscheidung darüber wäre bei uns auch ganz einfach: Wenn die Mehrheit der Mitglieder dagegen ist, dann wäre das Thema schnell vom Tisch.

SPOX: Viele Vereine knüpfen zahlreiche Bedingungen an einen möglichen Investor: Er soll aus der Region kommen, wenig Mitspracherecht einfordern und perfekt zur Identität des Klubs passen. Das könnte mit den strukturellen Gegebenheiten in der Pfalz schwierig werden.

Kuntz: Ja, aber nicht unmöglich. Wichtig ist in erster Linie, dass wir nahezu schuldenfrei sind und somit ein interessanter Partner wären. Wir brauchen kein Investorengeld zur Tilgung, sondern könnten es direkt in Projekte oder die Mannschaft stecken.

SPOX: Wie sähe in einer Wunschwelt das ideale Investment in den FCK für Sie aus?

Kuntz: Ein Investor, der Hauptsponsor wird und gleichzeitig in das Nachwuchsleistungszentrum sowie die Mannschaft investiert.

SPOX: Soll das Thema Ausgliederung bei der JHV auch gleich angesprochen werden?

Kuntz: Ja. Wir wollen die Vor- und Nachteile einer Ausgliederung darstellen, aber ohne Druck auf die Mitglieder auszuüben, sich sofort dafür oder dagegen entscheiden zu müssen. Es geht darum, eine Stimmung aufzunehmen, ob die Leute einen solchen Weg mitgehen würden oder nicht.

SPOX: Ohne Investor ist wirtschaftlich vieles auf Kante genäht. Mit jedem weiteren Jahr in der 2. Liga muss der Gürtel enger geschnallt werden, was man durch den Verkauf von Leistungsträgern abfedert. Inwiefern ist das eine Art Teufelskreis, der es dem Verein erschwert, auf natürliche Weise zu wachsen?

Kuntz: Gelingt uns der Aufstieg nicht, trifft das wie beschrieben zu. Ein Aufstieg würde helfen, andererseits könnte er nicht per se alle wirtschaftlichen Unterschiede ausgleichen. Wir könnten zwar angenehmere Gehälter bieten, die Konkurrenz würde aber dennoch das Zwei- oder Dreifache zahlen. Es würde sich also nur minimal verschieben. Aber: Wir hätten einen Spieler wie Dominique Heintz halten können, da es sein großer Traum war, mit dem FCK in der Bundesliga zu spielen.

SPOX: Sie haben selbst schon einige Vorschläge gemacht, wie man den Erhalt von Traditionsklubs im heutigen Fußball gewährleisten könnte. Warum ist es aber kaum realistisch, dass darüber eine ernsthafte Diskussion geführt wird?

Kuntz: Weil jeder am Ende nur an sich denkt. Fußball ist auch Egoismus, Solidarität bleibt in einigen Bereichen Wunschdenken.

SPOX: Dennoch hatten Sie wie auch bereits BVB-Boss Hans-Joachim Watzke beispielsweise bei der Verteilung der Fernsehgelder angeregt, die Faktoren Tradition und Fanpotenzial einfließen zu lassen. Wird diese Nachhaltigkeit von Traditionsvereinen bei Zuschauerzahlen oder im Merchandising gar nicht als ausschlaggebend betrachtet, damit die Bundesliga boomt?

Kuntz: Genau das ist entscheidend: Ist diese Form der Nachhaltigkeit wichtig für den deutschen Fußball oder nicht? Wenn sich die Mehrheit der Vereine dagegen ausspricht und den Fokus eher auf das Thema Werbebotschaften und Auslandsvermarktung legt, um mit den besten Ligen in Europa zu konkurrieren, dann wird es dahingehend keine Besserung geben - und noch mehr Traditionsvereine werden hinten runterfallen.

Seite 1: Kuntz über Schreckgespenst Ausgliederung & Probleme von Traditionsklubs

Seite 2: Kuntz über Identifikationsprobleme beim FCK-Publikum & Orbans Wechsel