"Tradition ist keine Bürde mehr"

Von Interview: Michael Graßl
Torsten Lieberknecht gibt den Weg vor: Mit ihm spielte Eintracht Braunschweig in der Bundesliga
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SPOX: Wie reagieren Sie auf Aussagen, dass alimentierte Vereine wie Ingolstadt oder Leipzig den Traditionsvereinen die Plätze in der ersten und zweiten Liga wegnehmen?

Lieberknecht: Ich beurteile das aus Trainersicht und aus diesem Blickwinkel wird dort sehr gute Arbeit geleistet. Man hat dort andere finanzielle Möglichkeiten. In Ingolstadt wird schon länger versucht, den Aufstieg zu realisieren. Dieses Jahr sind sie oben dabei, weil die Mannschaft eben seit längerer Zeit in dieser Form zusammengespielt hat. Aber wir arbeiten für uns und versuchen, das sportlich zu lösen. Wir sind auf keinen Fall neidisch.

SPOX: Haben Sie durch den Aufstieg 2013 einen Vorteil gegenüber Ihren Konkurrenten?

Lieberknecht: Wir wissen natürlich, wie schwer es ist aufzusteigen. Der Kopf wird mit so viel Druck überlastet, dass du dich davon erstmal befreien musst. Da spielt auch das Geld keine Rolle mehr. Dies wird man gerade bei Vereinen wie Ingolstadt, Kaiserslautern und Leipzig merken.

SPOX: Also haben auch finanzschwächere Traditionsvereine zukünftig Chancen in der Bundesliga?

Lieberknecht: Erst einmal muss man sich als Verein etablieren und dann sukzessive weiterentwickeln. Bei uns gibt es einen Grundstock, auf dem wir jedes Jahr wieder neu aufbauen. Uns ist es gelungen, mit ganz wenigen Mitteln von der dritten in die erste Liga aufzusteigen. Dies ist mit sehr viel Arbeit und Engagement verbunden. Dass es geht, sieht man aktuell in Darmstadt oder Heidenheim.

SPOX: Was hat sich in Ihrer langen Amtszeit am meisten in Braunschweig verändert?

Lieberknecht: Um das festzustellen, braucht man nur zu uns zu fahren und im Vergleich dazu alte Bilder betrachten (lacht). Man sieht unseren Erfolg am Stadion, an der Geschäftsstelle oder am Nachwuchsleistungszentrum. Vergleicht man all dies mit älteren Aufnahmen, erkennt man, was sich alles getan hat.

SPOX: Eine Leistung, für die Ihnen die Fans sehr dankbar sind.

Lieberknecht: Das stimmt. Was die Fangemeinschaft bei der Eintracht angeht, war schon immer ein großer Zusammenhalt vorhanden. Er ist in dieser Zeit sogar weiter gewachsen, weil die Leute uns mit unserer Art sehr sympathisch finden. Dadurch haben wir einen großen Fanzulauf.

SPOX: Wo wird sich denn die Eintracht in den nächsten Jahren noch besser aufstellen müssen?

Lieberknecht: Wir müssen jedes Jahr aufs Neue versuchen, eine schlagkräftige Mannschaft auf die Beine zu stellen. Wir wollen unter die Top 25 der Bundesliga und uns weiter etablieren, das ist ein erster Ansatz. Wir wissen aber auch, dass der Anspruch wohl von Jahr zu Jahr steigen wird - insbesondere durch das Jahr in der Bundesliga.

SPOX: Sie haben in dieser einen Bundesliga-Saison die Liga mit Ihrer Emotionalität bereichert, sind dabei aber auch immer wieder mit den Schiedsrichtern in Konflikt geraten. Haben Aufsteiger in der Bundesliga generell einen schweren Stand bei kniffligen Entscheidungen?

Lieberknecht: Nein, überhaupt nicht.

SPOX: Ihr Kollege Andre Breitenreiter vom SC Paderborn 07 hat Ihr legendäres Zitat vom "kleinen Pissverein" allerdings aufgenommen und ist der Meinung, dass die Kleinen in der Bundesliga bei engen Entscheidungen benachteiligt werden.

Lieberknecht: Das ist am Anfang einfach eine Wahrnehmung, die man entwickelt. Man muss zum Beispiel nur nach Freiburg schauen, die hatten damit auch zu kämpfen. Ob das am Ende wirklich so ist, weiß ich nicht und glaube ich auch nicht. Diese Wahrnehmung war zwar definitiv da, aber ich denke, wir hatten es insgesamt mit ordentlichen Schiedsrichterentscheidungen zu tun.

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