"Ich will nicht wie ein Topmodel aussehen"

Von Interview: Andreas Lehner / Daniel Reimann
Gabor Kiraly steht seit 2009 bei 1860 München im Tor
© Getty
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SPOX: Mit 36 Jahren können Sie gelassen an die Sache herangehen und auf eine bewegte Karriere zurückblicken. Was ist Besonderes hängen geblieben?

Kiraly: Meine Karriere bisher war überragend. Ich habe neue Kulturen, zwei neue Sprachen und viele Menschen kennengelernt. Das sind ganz besondere Erinnerungen und Erfahrungen. Außerdem durfte ich die Lebensqualität in England und Deutschland genießen.

SPOX: Es gab auch Tiefen in Ihrer Laufbahn. Sie wechselten 2004 zu Crystal Palace, nachdem in Deutschland fälschlicherweise über Depressionen berichtet wurde. Sie waren aber weder in psychologischer Behandlung noch haben Sie Medikamente genommen. Wie wichtig war es für Sie, diese Phase ohne Hilfe von außen gemeistert zu haben?

Kiraly: Ich bin ein Sturkopf, will alle meine Fehler selbst korrigieren. Das geht nicht immer. Aber ich wusste, dass ich das hinkriege. Ich habe mich damals etwas zurückgezogen und auch die Presse gebeten, mir etwas Zeit und Ruhe zu gewähren. Die Berliner Medien haben das akzeptiert. Das war sehr wichtig. Es gab eine Entwicklung, an deren Ende ich zwei Tage in ein richtiges Loch gefallen bin. Das war in der Winterpause, es fand in der Zeit also kein Spiel statt. Ich habe die Zeit genutzt, um mich neu zu orientieren und meine Gedanken zu sammeln.

SPOX: Wie merkt man, dass man in diese mentale Krise schlittert?

Kiraly: Die psychische Belastung hat sich auf den Körper ausgewirkt, ich wurde anfälliger für Verletzungen. In Hannover habe ich mir beim Torjubel einen Muskelfaserriss geholt. Nachdem ich wieder fit war, bin ich auf meine Schulter gefallen und konnte meine Hand nicht mehr bewegen. Man fragt sich: Als Torwart falle ich im Training so oft auf meine Schulter, was ist los? Diese Probleme waren alle mental bedingt. Der Kopf blockiert und der Körper reagiert.

SPOX: Verschärft die Position des Torhüters dieses Problem?

Kiraly: Natürlich haben wir eine Sonderrolle im Fußball. Peter Disztl, ein berühmter ungarischer Torwart, hat einmal gesagt: "Der Torhüter steht immer in der Verantwortung. Feldspieler können die Schuld auf andere schieben."

SPOX: Der Druck auf Sie hat sich nicht verändert, wie kommen Sie jetzt damit klar?

Kiraly: Um den richtigen Umgang mit diesen Situationen zu lernen, muss man diese Erfahrungen machen. Ich weiß jetzt, was ich in der Vor- und Nachbereitung der Spiele zu beachten habe. Mir ist heute bewusst, dass ich nicht perfekt sein kann. Das muss ich akzeptieren. Das heißt nicht, dass ich viel verändert habe, ich bin einfach ruhiger und distanzierter geworden.

SPOX: Wie haben Sie auf den Tod von Robert Enke reagiert?

Kiraly: Ich war sehr traurig, weil ich gedacht hatte, er schafft das.

SPOX: Sie wussten vorher davon?

Kiraly: Nein, das nicht. Aber jeder Torhüter hat mit Krisen zu tun. Auch Oliver Kahn und Jens Lehmann werden solche Tiefs durchlaufen haben. Man muss da durch, entweder mit oder ohne Hilfe. Robert hat gekämpft, aber irgendetwas hat leider gefehlt.

SPOX: Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Ihnen besonders geholfen hat?

Kiraly: In England gehen die Leute etwas lockerer mit Fußball um, das fehlt mir in Deutschland ab und zu. Die Zeit in Burnley war eine wichtige Erfahrung für mich, weil ich im zweiten Jahr nur die Nummer drei war. Der Verein wollte mich verkaufen, mein Akku war leer. Die Zeit im Hintergrund war genau richtig, um ihn wieder aufzuladen. Ich hatte nicht ständig diesen Druck, diesen Stress, mich im Training und im Spiel immer beweisen zu müssen. Es reichte im Training Spaß zu haben und der Mannschaft mit meiner Persönlichkeit zu helfen. Der Trainer wollte mich deshalb bei jedem Spiel bei der Mannschaft haben, obwohl ich als dritter Torhüter immer auf der Tribüne saß. Wenn man immer nur das nächste Spiel im Kopf hat und an nichts anderes denkt, als an "arbeiten, arbeiten", dann verlierst du irgendwann die Motivation.

SPOX: Auch Ihre Familie spielte eine wichtige Rolle. Wie wichtig ist Ihnen die Bindung zur Heimat?

Kiraly: Das Heimweh ist über die Jahre nicht weniger geworden. Meine ganze Familie und viele Freunde sind in Szombathely, ich habe täglich Kontakt in die Heimat. Auch meine Kinder wollen später in Ungarn leben, obwohl sie auch in Deutschland und England aufwachsen und sich immer sehr wohl gefühlt haben. Aber die ungarische Mentalität ist sehr durch die Familie geprägt.

SPOX: Sie haben in Ihrer Heimatstadt auch ein Sportzentrum gegründet.

Kiraly: Die Erfahrungen, die ich im Ausland gesammelt habe, will ich an die Menschen in meiner Heimat weitergeben. Ich will ihnen zeigen, was sie in ihrem Leben erreichen können. Die Leute können sich auf meine Unterstützung und meinen Rat zählen. Vielleicht kann ich so dem ungarischen Fußball etwas zurückgeben - nicht nur sportlich, sondern auch menschlich. Ich will einen Teil der deutschen Mentalität nach Ungarn bringen.

Gabor Kiraly im Steckbrief