1860 München: Schon reif für den Aufstieg?

Von Daniel Reimann
Grigoris Makos ist einer der sechs Neuzugänge bei 1860 München
© Imago

Finanzielle Sicherheit, konsequente Transferpolitik und ein konkurrenzfähiger Kader: 1860 München mausert sich zu einem ernstzunehmenden Aufstiegskandidaten und wittert die "historische Chance". Zwar stehen hinter vielen Neuzugängen noch Fragezeichen - doch im Zweifelsfall greift ein altbewährtes Prinzip.

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30 Gesichter, die auf Kommando lächeln. Akkurat stehen sie in Reih und Glied, umgeben von Sponsoren-Bannern, eingehüllt in einen brandneuen Satz Vereinsgarderobe: Auf den ersten Blick ist das Mannschaftsfoto von 1860 München eines wie jedes andere. Doch wer die XXL-Druckversion aus einem Münchner Boulevardblatt genauer unter die Lupe nimmt, kommt ins Stutzen.

Unten im Kleingedruckten, wo jeder Spieler namentlich aufgelistet wird, finden überlicherweise noch die beim Fototermin abwesenden Spieler Erwähnung. Dort heißt es: "Nicht dabei: Grigoris Makos und ein Stürmer". Makos war der jüngste Löwen-Neuzugang, der sich zur Zeit des Shootings um die Auflösung seiner Wohnung in Athen kümmern musste. So weit, so gut - doch wer ist dieser ominöse Stürmer?

Wie sich fünf Tage später herausstellte, ist es Ismael Blanco, der am 16. Juli als Neuzugang präsentiert wurde. Doch zum Zeitpunkt des Fototermins war man von einer Einigung mit dem Argentinier noch weit entfernt. Dass der Zusatz "und ein Stürmer" dennoch wie selbstverständlich unter dem Mannschaftsfoto landete, ist beispielhaft für die neue Planungssicherheit der Löwen - und für die souveräne Arbeit der sportlichen Leitung.

Konsequente Transferpolitik

Ende der zurückliegenden Saison, als 1860 bereits mangelnde Aktivität auf dem Transfermarkt vorgeworfen wurde, offenbarte Sportdirektor Florian Hinterberger seine Pläne und listete auf: Zusätzlich zu Defensivallrounder Grzegorz Wojtkowiak sollten noch ein Verteidiger, ein defensiver Mittelfeldmann, ein Flügelspieler und zwei Stürmer kommen.

Knapp zwei Monate später konnte Hinterberger fünf Häkchen auf seinem Notizzettel machen - denn sie alle kamen, gemäß seiner Ankündigung.

Weder eine solch klar strukturierte Transferpolitik noch das Erreichen selbst gesteckter Ziele war seit dem Abstieg 2004 üblich bei 1860. Zu hoch waren die Ansprüche von Fans, Medien und so manchem Vereinsfunktionär im Vergleich zum geringen finanziellen Spielraum. Der nämlich war es, der auch vergangene Saison den Löwen-Fans Tränen in die Augen trieb.

Millionenschwere Finanzspritze aus Jordanien

Mit Moritz Leitner und Kevin Volland wurden abermals zwei große Talente aus dem bewährten 1860-Nachwuchs viel zu früh zu Spottpreisen abgegeben, um der drohenden Insolvenz zu entgehen. Hinzu kam der Abschied von Stefan Aigner, der infolge eines beinahe eskalierten Streits zwischen Vereinspräsidium und Investor Hasan Ismaik dem chaotischen Alltag in München entfliehen wollte und bei Eintracht Frankfurt unterschrieb.

"Mir war immer die Perspektive wichtig", bekundete Aigner im Nachhinein. "Ich dachte, bei 1860 entwickelt sich etwas. Aber dieses Gefühl hatte ich in letzter Zeit nicht mehr. Die Perspektive hat nicht mehr gestimmt." Doch entgegen seiner Befürchtung legte sich der Streit zwischen Präsident Dieter Schneider und Ismaik, die sich seitdem öffentlich mit Freundschaftsbekenntnissen abwechseln.

Viel wichtiger als der romantische Zusammenhalt war jedoch die jüngste Finanzspritze des jordanischen Investors. Mit Hilfe eines fünf Millionen Euro schweren Darlehens im April 2012 wurde ein Zwei-Millionen-Loch in der Bilanz der vergangenen Saison gestopft, das Monate zuvor übersehen wurde. Die restlichen drei Millionen Euro standen der sportlichen Leitung für den Spieleretat zur Verfügung.

Moritz und Moritz: zwei sichere Wetten

Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Verein seit dem Einstieg des Investors schuldenfrei ist, bietet der erhöhte Spieleretat ein außergewöhnliches Potenzial. Zum ersten Mal seit Jahren ist 1860 wieder in der Lage, in Sachen Transferpolitik mehr als das "Von-der-Hand-in-den-Mund"-Prinzip zu leben und sogar guten Gewissens Ablösen für Neuverpflichtungen zu bezahlen.

Und die Ergebnisse können sich sehen lassen: Moritz Volz kommt mit der Erfahrung von 125 Premier-League-Spielen und soll die vakante Linksverteidiger-Position einnehmen. Moritz Stoppelkamp wurde als Aigner-Nachfolger geholt, darf sich aber ernstzunehmender Konkurrenz durch den in der Vorbereitung erstarkten Maximilian Nicu sicher sein. Klar ist jedenfalls: Die beiden Namensvettern sind eine absolute Verstärkung für 1860, alleine ihre Erfahrung wird den Löwen weiterhelfen.

Doch neben den beiden sicheren Wetten gibt es unter den Neuzugängen auch Fragezeichen. Auf das Team wartet eine enorme Integrationsaufgabe, da vier der sechs Verpflichtungen kaum ein Wort Deutsch sprechen.

Die Wundertüten: Zorro und der Standardspezialist

Zwei von ihnen haben sich der Sprachbarriere zum Trotz bereits in die Stammelf gekämpft: Einer ist EM-Fahrer Woitkowiak, der nach dem Abschied von Antonio Rukavina einen Stammplatz als Rechtsverteidiger vorerst sicher hat. Besonders beeindruckend: Seine spektakulären Einwürfe, die der Pole auch gerne mal tief in den Fünfer schleudert.

Dazu kommt noch der Grieche Makos, Maurers "absoluter Wunschkandidat", der "praktisch keine Schwäche hat". Er ist als ultimativer Balleroberer neben Daniel Bierofka im defensiven Mittelfeld bereits gesetzt.

Bleiben noch zwei Neulinge, genauer gesagt: zwei Wundertüten. Zum einen Marin Tomasov. Er gilt als eines der größten Talente Kroatiens, was die Frage aufwirft, weshalb man vom 24-Jährigen hierzulande bislang nichts gehört hat. Der Offensivallrounder ist technisch hochversiert, ein ruhender Ball wird bei Tomasov gerne mal zum Geniestreich. "Wir werden noch viel Freude an ihm haben", versprach Maurer.

Auch bei Ismael Blanco weiß man nicht so recht, was einen erwartet. Der 29-Jährige wurde in Griechenland zweimal Torschützenkönig, seine Knipserqualitäten sind unbestritten. Doch gerade in der vergangenen Saison bei Legia Warschau ließ seine Torausbeute (vier Tore in 25 Spielen) zu wünschen übrig. Der Verdacht liegt nahe, dass Blanco - Spitzname "Zorro" - seinen Zenit bereits überschritten hat.

Die nächsten Supertalente klopfen an

Es bleibt also abzuwarten, wie effizient sich die Neuzugänge sportlich integrieren, um zur Höchstform aufzulaufen. Doch im Notfall kann 1860 immer noch auf eine offenbar nie versiegende Quelle zurückgreifen: die eigene Jugend.

Vier U-17-Youngster, darunter auch SPOX-Kolumnist Mike Ott, durften im Sommer-Trainingslager Profiluft schnuppern. Ott, der bereits Angebote von den Bayern und weiteren Bundesligisten ausgeschlagen haben soll, hatte zuvor seinen Vertrag bis 2014 verlängert.

Der 17-Jährige gilt als größtes Juwel im Löwen-Nachwuchs, in Sachen Talent steht er seinen Vorgängern Volland, Leitner und Co. in Nichts nach. Doch einen zentralen Unterschied gibt es: Künftig sollen Nachwuchshoffnungen wie Ott nicht mehr im Teenie-Alter zu Schnäppchenpreisen den Verein verlassen.

"Wir schalten jetzt um auf Attacke"

All das macht die neue finanzielle Sicherheit möglich. Und nebenbei sorgt sie auch für ein gewachsenes Selbstvertrauen in der Löwen-Familie: "Wir schalten jetzt um auf Attacke", kündigte Geschäftsführer Robert Schäfer an und legte nach: "Wir haben eine historische Chance."

Diese Chance auf den Aufstieg soll bis 2015 genutzt werden. Gemeinsam mit Investor Ismaik wurde ein Dreijahresplan ausgearbeitet, der den Löwen auch in den kommenden beiden Spielzeiten weitere Finanzspritzen über mindestens fünf Millionen Euro zusichert.

So steigt der Spieleretat proportional zur Flexibilität der sportlichen Leitung - und damit die Wahrscheinlichkeit, dass es künftig sogar alle Neuzugänge rechtzeitig aufs Mannschaftsfoto schaffen.

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