"Geisterspiele sind keine Lösung"

Von Interview: Jochen Tittmar
Peter Vollmann schaffte in seinem ersten Jahr bei Hansa Rostock den Wiederaufstieg in Liga zwei
© Getty

Nach einem Jahr in Liga drei ist der FC Hansa Rostock wieder zurück in der 2. Liga. Trainer Peter Vollmann schaffte in seinem ersten Jahr den direkten Wiederaufstieg. Im Interview spricht der 53-Jährige über gefährliche Auslandsaufenthalte im Irak, ein geheimes Trainingscamp und erklärt, wie die Welle der Gewalt in Fußballstadien gestoppt werden könnte.

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SPOX: Herr Vollmann, 1993 begannen Sie bei Rot-Weiß Lüdenscheid Ihre Trainerkarriere. Seitdem hat sich Ihr Berufsbild enorm verändert. Könnten Sie heute mit dem Wissen von damals noch bestehen?

Peter Vollmann: Nein, keinesfalls. Das liegt auch daran, dass jede Spielergeneration unterschiedlich zu bewerten und zu behandeln ist. Die Spieler haben heutzutage ganz andere Meinungen und Verhaltensweisen als früher. Früher tat man viele Dinge aus dem Bauch heraus, heute muss man jede Situation vorbereiten, durchorganisieren und einen Plan B in der Tasche haben.

SPOX: Und darüber stets die Öffentlichkeit informieren.

Vollmann: Auch das öffentliche Verhalten hat sich komplett verändert. Dadurch ist der Fokus auf den Trainer, was seine tagtägliche Arbeit angeht, ein anderer geworden. Früher war man eine Stunde vor Trainingsbeginn da. Heute sitze ich ab morgens um 8 im Büro und gehe um 18, 19 Uhr nach Hause.

SPOX: Sie haben mittlerweile schon einige Vereine trainiert, konnten sich aber nie länger als drei Jahre halten. Woran lag das?

Vollmann: Ich bin in meinem ganzen Leben nur dreimal entlassen worden. Wenn ich gesehen habe, dass sich eine Situation aus sportlichen oder wirtschaftlichen Gründen nicht weiterentwickelt, habe ich meist selbst aufgehört oder den Vertrag nicht verlängert. Ich versuche immer, mir rechtzeitig ein ausführliches Bild jedes Klubs zu machen und zu schauen, ob der Klub perspektivisch in der Lage ist, dauerhaft nach vorne zu kommen. Nachdem ich bei Fortuna Köln war, ging nichts mehr. Gleiches gilt für den KFC Uerdingen, Eintracht Trier ist sogar insolvent geworden. In Kiel wurde ich als Herbstmeister entlassen. Heute spielen sie in der Regionalliga.

SPOX: Zwischendurch waren Sie auch bei zwei Teams in Ghana. Was hat Sie denn dorthin verschlagen?

Vollmann: Über Ernst Middendorp habe ich den Chef von "Nokia Afrika" kennen gelernt. Nokia besitzt einige Klubs in Afrika, die Vereine werden über einen Hauptsponsor finanziert. Ich bin bei Real Tamale United in die schwierigste Region Ghanas gekommen, das war an der Grenze zu Burkina Faso. Dort wohnten die Menschen teilweise noch in Lehmhütten mit Wasserstellen. Von 100 deutschen Trainern würden das 99 nicht machen (lacht).

SPOX: Und wieso ausgerechnet Sie?

Vollmann: Ich wollte unbedingt Erfahrungen im Ausland sammeln. Es war sehr interessant, Menschen und Spieler dort genauer kennenzulernen. Nach einem Jahr bin ich in die Hauptstadt Accra gegangen. Dort war es etwas angenehmer, wir hatten bei Heimspielen bis zu 60.000 Zuschauer. Nach zwei Jahren habe ich das Abenteuer letztlich abgebrochen, weil es unheimlich schwierig war, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Meine Frau habe ich in einem Jahr viermal gesehen.

SPOX: Das dürfte Ihre Zeit im Irak, als Sie irakische Fußball-Trainer ausbildeten, noch unterboten haben.

Vollmann: Das stimmt, ich hatte keinen Kontakt nach Hause. Man konnte nicht telefonieren, da dort die Bomben per Handy gezündet werden. Ich war dort mehrmals über drei bis vier Wochen, dazwischen war ich aber wieder daheim.

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SPOX: Wie kam der Kontakt zustande?

Vollmann: Ich habe durch Zufall einen irakischen Verbandstrainer kennengelernt. Der DFB nickte das ab und so habe ich dort die Trainerausbildung gestaltet und Fortbildungslehrgänge durchgeführt. Ich wollte eben unbedingt wieder arbeiten. Ich kann nicht zu Hause herumsitzen. Für mich persönlich war der deutsche Markt damals abgeschlossen, es kam nichts mehr Entscheidendes. Ich habe versucht, ein Netzwerk im Ausland aufzubauen, war auch in Tansania und Südafrika.

SPOX: Wie gefährlich war es dort unten?

Vollmann: Beim ersten Anflug auf Bagdad ging plötzlich das Licht in der ganzen Maschine aus, man konnte nichts mehr sehen. Es bestand immer die Gefahr, dass irgendjemand das Flugzeug abschießt. Da habe ich schon geschwitzt.

SPOX: Und an Land?

Vollmann: In Bagdad selbst sind die Sicherheitsmaßnahmen verrückt. Ich hatte drei bis an die Zähne bewaffnete Bodyguards in drei Autos und musste jeden Kilometer in ein anderes Auto steigen, damit man nicht erahnen konnte, wo ich mich aufhielt. Für fünf Kilometer brauchten wir zwei Stunden.

SPOX: Im vergangenen Jahr öffnete sich der deutsche Markt wieder für Sie. Als Sie in Rostock ankamen, wurde der Verein auf fast allen Ebenen umgewälzt. Wie würden Sie den neuen FC Hansa skizzieren?

Vollmann: Bernd Hofmann, der als neuer Vorstandsvorsitzender antrat, hat diese Entwicklung eingeleitet. Er hat Stefan Beinlich als Manager eingestellt. Die beiden haben es verstanden, die richtigen Impulse zu setzen und alten Filz abgeschnitten. Das Ziel unserer Kaderplanung war die Stabilisierung in der 3. Liga. In der letzten Saison hat alles gepasst, die Mannschaft trat sehr geschlossen auf. Das war der Schlüssel zum Erfolg.

SPOX: Ihr Team steckt derzeit mitten in der Vorbereitung. Viele Zweitligisten beschweren sich vehement über den frühen Saisonstart, die DFL betont dabei das Alleinstellungsmerkmal der Liga an den ersten drei Spieltagen. Auf welcher Seite stehen Sie?

Vollmann: Der Zeitpunkt ist schon sehr, sehr früh gewählt, da haben die meisten Kollegen natürlich recht. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass die Spieler grundsätzlich die Möglichkeit haben, sich drei Wochen komplett auszuruhen. Auch wenn die 2. Liga zu Beginn mehr im Fokus stehen wird, ist die Erholungsphase der Spieler keinesfalls ideal.

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SPOX: Sie haben wie schon im Vorjahr für drei Tage ein Geheim-Camp angeordnet. Wie lief es dort ab?

Vollmann: Wir waren in einem Selbstversorgerhaus, abgeschieden und weit weg von der Zivilisation. Die Mannschaft musste sich komplett selbst organisieren, um das Haus in einwandfreiem Zustand zu verlassen - inklusive Betten beziehen, Kochen und Fegen. Sie musste mit gewissen Mitteln eine sichere Brücke über einen Fluss bauen, zusammen über einen Strick gehen, der an Bäumen befestigt ist und sich gegenseitig stabilisieren. Nur an einem Abend haben wir zusammen gegrillt und uns in der Lagerfeuer-Romantik aufgehalten.

SPOX: Romantik wird es am 2. Spieltag der neuen Saison wohl kaum geben. Hansa trifft da auf Dynamo Dresden, Krawalle werden befürchtet. Wie sehen Sie die Problematik mit sogenannten Problem-Fans, die ja nicht nur Ihren Verein betrifft?

Vollmann: Der Thematik muss aktiv begegnet werden, sonst wird sie eskalieren - wenn sie nicht schon eskaliert ist. Ich habe dafür kein Patentrezept. Die Vereine, die DFL und der DFB müssen gemeinsam mit Politik und Rechtsprechung daran arbeiten, den Fußball noch mehr in den Mittelpunkt zu rücken. Aus meiner Sicht ist das in den letzten Jahren nicht aktiv genug angegangen worden. Geldstrafen oder Geisterspiele sind keine Lösung. Damit bestrafe ich ja nicht die "Problem-Fans", sondern nur den Klub.

SPOX: Wenn ich Ihnen eine Wette anbieten würde, wonach es zwischen Hansa und Dynamo zu Krawallen kommen wird, mit welchen Argumenten würden Sie dagegen halten?

Vollmann: Das ist leider ein gesamtgesellschaftliches Problem geworden und kann nicht auf einzelne Spiele umgelegt werden. Diese kleinen Gruppen Einzelner haben eine große Wirkung. Im Vorfeld arbeiten alle Beteiligten gemeinsam daran, dass das von Ihnen angesprochene Spiel ohne Zwischenfälle über die Bühne geht. Man sollte nichts dem Zufall überlassen. Der Fußball muss endlich wieder im Mittelpunkt stehen.

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