"Heute würd' ich zu Fuß nach Barcelona laufen"

Von Interview: Anant Agarwala
Baldo di Gregorio spielt bei Rot Weiss Ahlen in der Innenverteidigung oder im defensiven Mittelfeld
© Imago

Er galt als Franz Beckenbauer Hessens, war gefragt beim FC Liverpool und Barcelona. Heute steckt Baldo di Gregorio im Zweitliga-Abstiegskampf mit Rot Weiss Ahlen. Der 25-jährige Defensivspieler lebte zwei Jahre als Fußball-Nomade, über den Umweg Bulgarien hat sich das ehemalige Eintracht-Frankfurt-Talent als Profi etabliert.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Steigt Ahlen im Sommer ab, hat er jedoch keinen Vertrag mehr. Im SPOX-Interview spricht di Gregorio über Gemeinsamkeiten mit Andres Iniesta und Gedanken ans Karriere-Ende.

SPOX: Herr di Gregorio, googlen Sie sich manchmal selbst?

Di Gregorio: Ja, das habe ich schon mal gemacht. Das ist aber ein paar Jahre her. Seit ein, zwei Jahren nicht mehr.

SPOX: Man findet da eine Liste aus dem englischen Fußballmagazin "Fourfourtwo" aus dem Jahr 2001, auf der die 100 größten Talente des Weltfußballs aufgelistet sind. Dort stehen Namen wie Kaka, Ibrahimovic, Essien oder Torres. Direkt neben Iniesta stehen Sie. Was ist bei Ihnen seitdem schiefgelaufen?

Di Gregorio: Also von dieser Liste weiß ich gar nichts. Aber ich hatte sehr viele Angebote von Topklubs aus dem Ausland. Zum Beispiel vom FC Barcelona und dem FC Liverpool, auch von Hochkarätern aus Italien. Ich war da 15, 16 Jahre alt. Aber ich brauchte meine Familie und wollte nicht weg.

SPOX: Bereuen Sie es, solche Angebote nicht angenommen zu haben?

Di Gregorio: Klar, im Nachhinein schon. Wenn man zurückschaut, denkt man, man hätte einfach nach Barcelona fliegen und seinen Zwei- oder Dreijahres-Vertrag unterschreiben sollen. Dann hätte man mit solchen Namen wie Iniesta gespielt und wäre jetzt vielleicht schon weiter. Aber ich hab' mich ja berappelt und spiele immerhin 2. Liga, das ist ja nicht so schlecht.

SPOX: Sie kommen aus der Jugend von Eintracht Frankfurt, stießen dann zu den Profis. Ist es als Eigengewächs leichter oder schwieriger?

Di Gregorio: Ich denke schon, dass es schwieriger war, Fuß zu fassen, da mehr auf die Spieler, die von außerhalb kommen, geschaut wird. Dazu hatte ich mit Willi Reimann einen Trainer, der nicht auf mich stand. Ich glaube, der hat mich vom ersten Tag an nicht gemocht, keine Ahnung warum.

SPOX: Ganz generell: Wie ist es, als junger Spieler in einen Profikader zu kommen? Wird man gut integriert oder fürchten die Etablierten um ihren Platz?

Di Gregorio: In diesem Spiel geht es um viel Geld. Da geht es hart zur Sache. Wenn man nicht von Anfang an dagegen hält, hat man keine Chance.

SPOX: Sie spielen jetzt  Ihr viertes Jahr in Ahlen. Gemessen an Ihrer Karriere, ist das eine lange Zeit. Sie wechselten vorher ja im Sechs-Monats-Rhythmus den Verein. Wie haben Sie diese Zeit der ständigen Umzüge erlebt?

Di Gregorio: Ich war kurz davor, meine Schuhe an den Nagel zu hängen und zu sagen 'Okay, ich mach was anderes'. Gott sei Dank hatte ich meine Freundin an meiner Seite, die mich immer unterstützt und gesagt hat, ich solle nicht aufgeben. Deswegen habe ich weiter hart gearbeitet und bin irgendwann bei Ahlen gelandet.

SPOX: Wie ist es zu den vielen Wechseln gekommen?

Di Gregorio: Meine erste Station war Schweinfurt, bei denen hatte ich unterschrieben, da waren sie noch in der Regionalliga. Aber dann bekamen Sie die Lizenz nicht und ich fand mich auf einmal in der Oberliga wieder, weil ich einen Vertrag unterschrieben hatte, der nicht an die Liga gebunden war. Dann hab ich mit Schweinfurt eine Insolvenz mitgemacht.

SPOX: Wie ging es dann weiter?

Di Gregorio: Nach einem zerschlagenen Deal mit einem italienischen Klub wurde ich von SpVg Hamms Manager Joachim Krug kontaktiert. Er sagte: ‚Bevor du arbeitslos bist, komm für ein halbes Jahr in die Verbandsliga, dann schauen wir weiter.' Ein Glücksfall für mich. Krug hat nämlich später auch den Kontakt nach Ahlen hergestellt.

SPOX: Vorher waren Sie aber unter anderem noch bei Slavia Sofia in Bulgariens erster Liga. Wie hat sich das ergeben?

Di Gregorio: Mein alter Co-Tainer von der Eintracht, Petar Hubtchev wurde dort Trainer und fragte mich und einen Freund von mir [Giovanni Speranza, Anm. d. Red], ob wir nicht mit ihm nach Sofia kommen wollten. Ich dachte mir, schlimmer als Verbandsliga kann es eh kaum werden, und dann sind wir da hin. Es ist auch leichter, einen Verein in der Regionalliga beziehungsweise der jetzigen 3. Liga zu finden, wenn man sagt, man kommt von einem Erstligisten.

SPOX: Auch dort sind Sie nach nur einem halben Jahr direkt weitergezogen...

Di Gregorio: Petar Hubtchev wurde entlassen und mir fehlte die Bezugsperson, mit der ich reden konnte. Deswegen hab ich mich entschieden, wieder nach Deutschland zu wechseln.

SPOX: Nach einem kurzen Abstecher zu Eschborn sind Sie dann in Ahlen gelandet. Wie schätzen Sie die Lage zurzeit ein?

Di Gregorio: Wenn man auf die Tabelle schaut, sieht man, dass zurzeit nicht alles passt und dass es schwierig wird. Aber ich bin der Meinung, dass wir eine gute Truppe haben und nur auf den Relegationsplatz gucken müssen. Dann haben wir noch einmal die Chance, uns zu beweisen und in der 2. Liga zu bleiben. Von den drei Mannschaften, die unten stehen, sind wir die beste.

SPOX: Würden Sie sagen, dass die starke letzte Saison über Schwächen hinweg getäuscht hat?

Di Gregorio: Nein. Man sagt ja nicht umsonst, dass das verflixte zweite Jahr schwerer wird. Die Aufstiegseuphorie ist weg, das ist dann was ganz anderes. Klar, man gibt auch Gas, aber die Euphorie ist nicht mehr da.

SPOX: Es kamen und gingen im Sommer viele Spieler...

Di Gregorio: Die Mannschaft muss sich erst finden, aber in den letzten Wochen ist es unter dem neuen Trainer [Christian Hock, Anm. d. Red] schon besser geworden. Er macht einen guten Job. Sein Training ist super und er findet deutliche Worte. Das hilft dem einen oder anderen. Seit er da ist, haben wir ja  auch schon ein paar mehr Punkte mehr geholt als unter den anderen Trainern (lacht).

SPOX: Dennoch: Abgänge wie Reus, Großkreutz oder Naki konnten offenbar nicht adäquat ersetzt werden...

Di Gregorio: Klar, dass sind super Fußballer, aber es ist für Ahlen nicht leicht, wieder solche Spieler zu finden. Dafür ist das Geld nicht da. Die Neuen sind sicher nicht so gut wie die Genannten, haben aber genug Qualität, in der 2. Liga eine gute Rolle zu spielen. Wir sind guter Dinge, dass es für uns in der Rückrunde besser läuft und auch unsere Stürmer wieder treffen.

SPOX: Beschäftigen Sie sich mit der schwierigen Situation auch abseits des Fußballplatzes, nehmen Sie die Probleme mit nach Hause?

Di Gregorio: Ja klar, wenn man nicht weiß, wie die Zukunft aussieht, wo man nächste Saison spielt, und ich vielleicht in Ahlen, wo ich schon recht lange spiele, die Koffer packen muss, macht man sich schon Sorgen. Wo geht es nächstes Jahr hin? Ist es so gut wie in Ahlen oder schlechter? Über diese Fragen macht man sich zuhause Gedanken.

SPOX: Wie sieht ihre Zukunftsplanung aus?

Di Gregorio: Erstmal ist natürlich der Klassenerhalt das Ziel. Früher oder später ist es aber natürlich mein Traum, in der Bundesliga zu spielen. Oder bei einem Aufstiegskandidaten, wie dieses Jahr Kaiserslautern oder Bielefeld.

SPOX: Wenn man bedenkt, dass sie früher als so großes Talent galten: Bereuen Sie irgendetwas, außer dem ausgeschlagenen Angebot aus Barcelona, haben Sie den Fußball irgendwann mal aus dem Fokus verloren?

Di Gregorio: Klar, irgendwann lernt man Frauen kennen, aber den Fokus habe ich eigentlich nie wirklich verloren. Mein größter Fehler war einfach Barcelona. Wenn ich noch einmal diese Chance hätte, würde ich sogar zu Fuß dorthin laufen. Damals habe ich es nicht gemacht. Aber man kann die Zeit nicht zurückdrehen. Jetzt ist man da, wo man ist und muss weiter Gas geben. Vielleicht geht es dann ja noch mal eine Etage höher.

Baldo di Gregorio im Steckbrief