Ein Hauch von Premier League

Von Interview: Benjamin Sehring
Ein typisches Bild aus England: Der Profi jubelt unmittelbar vor den Fans - ohne hohe Werbebanden
© Getty

Mit der Partie Alemannia Aachen gegen den FC St. Pauli wird der neue Tivoli eingeweiht. Im Interview mit SPOX spricht der Architekt Dr. Stefan Nixdorf über einen bautechnischen Coup, die britische Geometrie in der Mainzer Coface Arena und erklärt, warum der TV-Zuschauer in der Bundesliga oft mehr Beton als Fans sieht.

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SPOX: Am 17. August wird das neue Aachener Stadion mit dem Spiel der Alemannia gegen den FC St. Pauli (20.15 Uhr im LIVE-TICKER und auf SKY) eingeweiht. Worauf kann sich der Fan besonders freuen?

Dr. Stefan Nixdorf: Der neue Tivoli wird vor allem neue Maßstäbe setzen, was die atmosphärische Dichte im Stadion betrifft.

SPOX: Inwiefern?

Nixdorf: Durch einen baukonstruktiven Trick liegt das Dach näher an den Zuschauerrängen. Das heißt, es kommt insgesamt sechs Meter tiefer als üblich an die Zuschauer heran. Somit verläuft sich die gesamte Atmosphäre nicht oben zwischen den Dachträgern, wie man das in vielen anderen Stadion sehen kann. Die Atmosphäre und die Stimmung im Stadion werden also viel dichter.

SPOX: In Mainz haben Sie mit der Coface-Arena ebenfalls ein neues Stadion entworfen. Eine britische Atmosphäre soll dort aufkommen. Wie ist diese zu erkennen?

Nixdorf: Sowohl im Aachener Stadion als auch in der Coface-Arena halten wir uns an die britische Geometrie. Das heißt: eine sehr große Nähe der Sitzplätze zum Spielfeld und kein übertriebenes Anheben der ersten Reihe.

SPOX: Also Stadien wie in England, wo die Fans ganz nah am Spielfeldrand sitzen.

Nixdorf: Genau. Konkret sieht es in Mainz so aus: Wir sind mit den Zuschauertribünen so dicht herangegangen, wie es nur geht. Wir haben die allererste Sichtlinie über die Werbebande gelegt, in der geringsten Höhe, die die Werbebande haben darf. Die erste Reihe ist 85 Zentimeter über dem Rasen und hat eine Brüstung von lediglich 65 Zentimetern. Näher können wir nicht an das Spielfeld heran.

SPOX: Dennoch gibt es in der Bundesliga im Gegensatz zu den Stadien der Premier League oft hohe Begrenzungen am Spielfeldrand. Warum ist das so?

Nixdorf: Das liegt daran, dass alle Stadien zur WM 2006 in Deutschland unter der FIFA-Vorgabe der späten Neunziger gebaut wurden.

SPOX: Was besagt diese FIFA-Vorgabe?

Nixdorf: Keine Zäune im Stadion und folglich eine Anhebung der ersten Reihe auf 2,50 Meter, um die Sicherheit der Fans und der Aktiven zu gewährleisten. Das bedeutet, dass man in diesen Stadien sehr viel Beton hat, bevor die Menschen anfangen.

SPOX: In manchen Stadien wirkt die Anhebung der ersten Reihe aber deutlich höher als 2,50 Meter. Beispielsweise in Rostock oder auf Schalke.

Nixdorf: Also in Rostock finde ich das auch extrem. Aber wie mir ein Verantwortlicher mitteilte, gibt es dort die Möglichkeit, vor der ersten Reihe noch mal zwei, drei Reihen zu ergänzen. Somit ist klar, dass die dritte oder vierte Reihe theoretisch höher liegt.

SPOX: Und auf Schalke?

Nixdorf: In der Veltins-Arena ist es auch nachvollziehbar. Durch den herausfahrbaren Rasen gibt es dort einen Graben, der die Zuschauer vom Spielfeld trennt. In diesem steht eine XXL-Doppelbande, welche im Kamerabild aus zwei Teilbildern ein Großbild erzeugt.

SPOX: Warum sind die Sicherheitsabstände in der Premier League so gering? Dort sitzen die Zuschauer fast schon am Spielfeldrand.

Nixdorf: Das liegt vor allem an den Fans, die - mit Ausnahme der Flitzer - nicht auf das Spielfeld laufen.

SPOX: Das sieht in der Bundesliga anders aus?

Nixdorf: In Deutschland kommt es durchaus vor, dass die normalen Fans versuchen, auf das Spielfeld zu rennen. Das würde in England so nicht vorkommen. Und wenn doch, dann sähen die Stadien dort anders aus.

SPOX: Dennoch haben Sie jetzt Stadien entwickelt, in denen keine hohen Begrenzungen am Spielfeldrand liegen.

Nixdorf: Mittlerweile ist die Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte mit den Vereinen so gut, dass moderne Sicherheitskonzepte das zulassen.

SPOX: Woher kommt diese Entwicklung?

Nixdorf: Durch die Weltmeisterschaft 2006 kam es sicherheitstechnisch zu einer hohen Entlastung. Daher gibt es heutzutage mehr Möglichkeiten, die Sicherheit der ersten Reihe zu regeln, ohne dass man sie nach Entfall des Zaunes jetzt auf 2,50 Meter anheben muss.

SPOX: Sie sprachen davon, dass die Stadien in Mainz und Aachen sich zwar durch die britische Geometrie ähneln, dennoch aber stark unterscheiden.

Nixdorf: Neben den Voraussetzungen wie Sicherheit und Komfort ist das Alleinstellungsmerkmal eines Stadions der wichtigste Aspekt bei einem Neubau. Die wesentlichsten Unterscheidungsmerkmale sind das Dach und die Fassade des Stadions. Denn: Wenn alle Fans in einem Stadion stehen, kann man nicht mehr so gut erkennen, ob es jetzt polygonal, kreisförmig, oder rechteckig gebaut ist. Das verschwimmt alles sehr stark im atmosphärischen Bild der Kamera.

SPOX: Auf welche weiteren Unterscheidungsmerkmale achten Sie?

Nixdorf: Bei den Fans spielt die Farbe eine große Rolle, wenn es um die Identifikation mit ihrem Klub geht. In Mainz werden Sie das mit dem roten Band der Tribünenbögen erkennen und in Aachen an der farbigen Eindeutigkeit von schwarz-gelb. Weithin sichtbar und für jeden sofort erkennbar. Letztendlich ist es unser Ziel, dass bei der Schaltung der "Sportschau" sofort klar ist, in welchem Stadion man ist, noch bevor der Name des Vereins erscheint.

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