"Der Aufstieg ist greifbar"

Von Interview: Stefan Moser
Fabio Morena will die gute Ausgangsposition des FC St. Pauli in der Rückrunde nicht ungenutzt lassen
© Getty

Fabio Morena wird die Hinrunde der laufenden Saison vermutlich nicht so schnell vergessen: Zunächst sicherte sich der Kapitän des FC St. Pauli einen unrühmlichen Rekord im deutschen Profifußball, dann setzte ihn eine schwere Erkrankung monatelang außer Gefecht. Nun will der 28-Jährige in der Rückrunde wieder angreifen und sich als Leitwolf der jungen Wilden einen lang ersehnten Wunsch erfüllen.

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Im SPOX-Interview berichtet der seit 2003 beim Kiez-Klub unter Vertrag stehende Abwehrspieler unter anderem wie er die Diagnose Hirnhautentzündung erlebt hat, wieviel Kult im Verein St. Pauli tatsächlich noch steckt und ob der Aufstieg innerhalb der Mannschaft in dieser Saison ein Thema ist.

SPOX: Herr Morena, Sie wissen sicher, dass Sie einen Rekord im deutschen Profifußball halten...

Fabio Morena (lacht): Ja, das weiß ich! Den bekomme ich ja auch immer wieder aufs Brot geschmiert...

SPOX: Sie haben 2008 im Spiel gegen Fürth nach 93 Sekunden den schnellsten Platzverweis aller Zeiten kassiert: Glückwunsch!

Morena: Ja, ja, danke! Aber ich denke, dass ich, wenn ich mal aufhöre mit Fußball, mit einem Schmunzeln auf die Sache zurückblicken werde. Lieber einen negativen Rekord als gar keinen, oder?

SPOX: Wenn Sie das sagen. Aber mal zu einem ernsteren Thema: Sie mussten letztes Jahr im Herbst mit schweren Kopfschmerzen ins Krankenhaus. Die Diagnose war: Hirnhautentzündung.

Morena: So eine Diagnose reißt einen zunächst mal total raus aus der Gegenwart und viele Dinge werden plötzlich vollkommen nebensächlich. Ich war erstmal total geschockt. Es gehen einem die schlimmsten Befürchtungen durch den Kopf, wenn man hört, dass das eigene Gehirn erkrankt ist.

SPOX: Aber Sie hatten Glück im Unglück...

Morena: Ja, die Blutwerte schlossen eine bakterielle Form der Meningitis aus. Ich hatte die virale Form, die in der Regel harmloser verläuft. Ich musste also auch nicht in abgedunkelten Räumen liegen. Den Höhepunkt der Kopfschmerzen hatte ich eigentlich schon am Tag der Einlieferung. Und die Ärzte haben die Sache zum Glück relativ schnell in den Griff bekommen, nachdem sie mir gleich noch am ersten Tag eine volle medikamentöse Breitseite verpasst haben.

SPOX: Und nach einer Woche durften Sie das Krankenhaus schon wieder zeitweise verlassen...

Morena: Von der Hirnhautentzündung selbst habe ich mich relativ schnell  erholt. Langwierig waren aber die Folgen der vielen Medikamente. Ich habe noch mehrmals täglich Infusionen mit Antibiotika bekommen. So wurde die komplette Magen-Darm-Flora aus dem Gleichgewicht gebracht. Ich hatte immer wieder Infekte, so dass in der Hinrunde nicht mehr an ein Comeback zu denken war, weil mein ganzer Körper einfach zu sehr ausgezehrt war.

SPOX: Man sagt, dass die Erfahrung einer schweren Krankheit vieles verändert. Auch für Sie?

Morena: Ich konnte mir damals unter viral und bakteriell ja gar nichts vorstellen. Ich war geschockt, dachte im ersten Moment nur an das bekannte Risiko von irreparablen Schäden am Gehirn. Ich will nicht sagen, dass das Narben hinterlassen hat, aber es hat doch einige Dinge im Alltag relativiert, man sieht gewisse Dinge anders. Und man braucht sicher Zeit, um das zu verarbeiten.

SPOX: Wie wichtig ist es in diesem Zusammenhang, dass Sie am Freitag endlich wieder in einem Pflichtspiel auf dem Platz stehen können?

Morena: Für mich war es das erste Mal, dass ich länger ausgefallen bin, insofern also auch neu für mich. Und jetzt spüre ich vor allem eine große Vorfreude. Ich kann es kaum erwarten, dass es wieder zur Sache geht, vor vollen Rängen zu spielen - und auch um Punkte. Deshalb weiß ich mittlerweile auch die intensiveren Trainingsphasen zu schätzen - ich weiß, wofür ich mich quäle.

SPOX: Wie ist die Mannschaft mit der Situation umgegangen?

Morena: Die Mannschaft hat gezeigt, dass sie den Ausfall kompensieren konnte. Grundsätzlich aber haben mich die Kollegen immer unterstützt. Der eine oder andere wird schon dabei sein, der sich über meine Rückkehr freut (lacht). Ich denke, ich kann der Mannschaft helfen.

SPOX: Immerhin sind Sie der Kapitän und gelten als eine Art "Leitwolf" für die jungen Wilden. Eine besondere Qualität von Ihnen?

Morena: Ich war auch in jungen Jahren eigentlich schon immer der ruhigere Typ, vielleicht auch seriöser als andere. Das versuche ich auch, in die Mannschaft mit einzubringen, zumal ich als Kapitän größeren Einfluss auf die anderen Spieler habe. Aber wichtig bleibt doch, dass eine Mannschaft verschiedene Charaktere hat. Ich übernehme da gerne den Leitwolf, so war ich immer als Typ. Allerdings muss ich dafür erst wieder die Leistung bringen.

SPOX: Und wie sehr braucht St. Pauli tatsächlich einen seriösen Leitwolf? Oder ist der Anarcho-Charme mittlerweile nur noch ein Klischee?

Morena: St. Pauli ist  definitiv noch etwas Besonderes - es ist einfach der "etwas andere" Klub. Der Kulteffekt ist hier noch deutlich zu spüren, und das wird meiner Meinung nach auch immer so bleiben. Dafür ist der Verein einfach zu stark mit dem Stadtteil verwoben - eine Konstellation, die so in Deutschland sicher einmalig ist.

SPOX: Trotzdem scheint der Verein "gereift" zu sein.

Morena: Sicher hat sich im Vergleich zu den wilden 90er Jahren doch einiges verändert. Auch die Mannschaft hat nicht mehr ganz so die extremen Typen wie früher. Es gibt kaum noch Spieler, die nachts ausbüchsen und auf dem Kiez durchfeiern. Ich habe da von früher schon die eine oder andere Anekdote mitbekommen, aber diese Anarchie hat sich inzwischen doch zurückentwickelt.

SPOX: Klingt fast ein wenig wehmütig.

Morena: Man muss einfach sehen, dass in den letzten Jahren intern die Strukturen geschaffen wurden, die vermutlich wohl einfach nötig sind, um im Profibereich zu überleben. Auch die Anforderungen an die Spieler haben sich ganz einfach verändert. Das ist einfach so.

SPOX: Sie selbst sind nun im sechsten Jahr in Hamburg. Sie scheinen nach Ihrer Ausbildung in Stuttgart und einem Jahr in Alicante hier Ihre Heimat gefunden zu haben.

Morena: Als ich hier angekommen bin, wusste ich eigentlich gar nicht, was mich bei St. Pauli erwartet. Aber der Verein ist mir über die Jahre sehr ans Herz gewachsen. Ich würde hier am liebsten noch ein paar Jahre mitwirken, um auch meinem Traum zu erfüllen: die Bundesliga.

SPOX: Aber Ihr Vater ist Italiener - nie von der Serie A geträumt?

Morena: Durch mein Jahr in Spanien und den Aufschwung der Premier League hat sich meine Liebe zum italienischen Fußball etwas relativiert. Aber ich war immer Fan des SSC Neapel: Mein Vater stammt aus der Region und als ich ein Kind war, war Napoli sehr erfolgreich - und Maradona war auch da. Neapel und der VfB Stuttgart haben beide einen Platz in meinem Fußball-Herz. Aber mein Traum ist, mit St. Pauli in der Bundesliga zu spielen.

SPOX: Und wie stehen die Chancen, dass sich dieser Traum schon in der laufenden Saison erfüllt?

Morena: Der Aufstieg ist greifbar, ganz klar. Wir haben gesehen, was möglich ist, und haben in der Hinrunde noch nicht einmal die optimale Punktausbeute aus unseren Möglichkeiten geholt. Unser Ziel wollen wir schon in diesem Jahr verwirklichen, denn man weiß nie, wann die Ausgangsposition wieder so günstig ist. Wir wollen unsere Chance nicht ungenutzt lassen. Wir setzen uns bewusst dieses hohe Ziel, alles andere wäre in der jetzigen Konstellation Fehl am Platz. Man sollte nie mit dem Erreichten zufrieden sein, sondern versuchen, das noch einmal zu toppen.

SPOX: Und wo müssen Sie im Vergleich zur Hinrunde noch zulegen? Torhüter Mathias Hain kritisierte nach 10 Gegentoren in drei Testspielen das Defensivverhalten...

Morena: Ich nehme die Kritik von einem so erfahrenen Spieler wie Mathias Hain gerne an und werde auch versuchen, das Thema in der Mannschaft noch präsenter zu machen. Wir müssen da tatsächlich noch entschlossener werden, wenn wir wirklich aufsteigen wollen. Nicht umsonst heißt es: Der Sturm gewinnt Spiele, die Abwehr gewinnt Meisterschaften.

Der 18. Spieltag im Überblick