WM

Martin Büchel im Interview: "Feiern Punktgewinne, als gäbe es kein Morgen"

Martin Büchel absolvierte bisher 63 Länderspiele für Liechtenstein
© imago

Eine Woche bevor Martin Büchel mit dem Nationalteam Liechtensteins auf Italien trifft, bekommt er es in der fünftklassigen Bayernliga-Süd mit dem BCF Wolfratshausen zu tun. Büchel spielt mit dem FC Unterföhring in Bayerns Dörfern und mit seinem Land in Europas Fußballtempeln. Ein Gespräch über fußballerische Kontrastprogramme, österreichische Trinkkumpanen, spanische Videoanalysen und seinen kuriosen Amtsantritt in Unterföhring.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

SPOX: In drei Stunden ist Anpfiff zum Spiel Unterföhring gegen Wolfratshausen. Wissen Ihre Gegenspieler eigentlich, mit wem sie es gleich zu tun bekommen?

Martin Büchel: Klar, das weiß die ganze Liga und deshalb muss ich mir auch ab und zu Sprüche anhören.

SPOX: Zum Beispiel?

Büchel: Wenn ich mich beim Schiedsrichter beschwere, dass die Gegner zu hart in die Zweikämpfe gehen, dann sagen die schon: "Du bist Nationalspieler, hör' auf zu jammern."

SPOX: Wie schwer ist es, zwischen Bayernliga-Süd und WM-Qualifikation umzuschalten?

Büchel: Das ist schon sehr schwer, schlimmer ist es aber umgekehrt. Wenn man erst vor 50.000 Fans spielt und dann plötzlich wieder vor ein paar Dutzend, ist es nicht leicht, Motivation zu finden.

SPOX: Ist es ein schöneres Erlebnis mit Liechtenstein vor zehntausenden Fans und gegen Weltstars 0:8 zu verlieren, oder mit Unterföhring 2:0 zu gewinnen?

Büchel: Eine Klatsche mit dem Nationalteam tut richtig weh, das macht definitiv keinen Spaß. Da ist es egal, wenn die Gegner die Besten der Welt sind; da gewinne ich lieber mit Unterföhring. Ich bin nicht der Typ, für den dabei sein alles ist. Ich möchte mit erhobenem Haupt vom Platz gehen können und nicht als Lachnummer. Am schlimmsten ist es, wenn die gegnerischen Fans dann bei jedem Pass "ole" rufen.

SPOX: Wo haben Sie schlechte Erfahrungen mit gegnerischen Fans gemacht?

Büchel: In Osteuropa werden die Fans schnell schadenfroh. Ich habe aber auch schon erlebt, dass uns gegnerische Anhänger Standing Ovations gegeben haben. In Nordirland und Schottland ist es immer richtig cool und vor allem in Österreich. Dort habe ich schon einige lustige Erfahrungen gemacht, auch abseits des Platzes.

SPOX: Erzählen Sie!

Büchel: Einmal war ich mit Freunden in Wien unterwegs. Wir haben ein paar Österreicher kennengelernt und waren mit ihnen etwas trinken. Irgendwann haben sie gefragt, ob ich mir nicht vorstellen könnte, in Österreich zu spielen, und da habe ich halt ja gesagt. Zwei Tage später war ein riesiger Artikel darüber online, dass ich angeblich kurz vor einem Wechsel zu Wiener Neustadt stünde. Einer dieser Bekanntschaften hat als Journalist gearbeitet und meine Aussagen wohl etwas zu ernst genommen. Daraus hat sich aber eine Freundschaft entwickelt, ich habe immer noch Kontakt zu ihnen.

SPOX: Zurück zum Sportlichen. Wie professionell sind die Strukturen im liechtensteinischen Nationalteam?

Büchel: Ich habe den Vergleich zum FC Zürich, wo ich in der Profimannschaft gespielt habe, und das ist sehr ähnlich. Wir betreiben beim liechtensteinischen Nationalteam eine professionelle Spielvorbereitung, übernachten vor Spielen im Hotel und es wird auch auf die Ernährung und Körperpflege geachtet.

SPOX: Denken Sie, Ihre Gegenspieler nehmen die Vorbereitung auf Partien gegen Liechtenstein ähnlich ernst?

Büchel: Das weiß ich sogar. Vor einigen Wochen haben wir gegen Spanien gespielt und ein Teamkollege von mir hat sich mit Morata unterhalten, weil die früher zusammengespielt haben. Morata hat ihm erzählt, dass sie vor dem Spiel eine eineinhalbstündige Videoanalyse über uns gemacht haben. Da merkt man schon, dass sich niemand einen Ausrutscher gegen uns auf die Visitenkarte schreiben lassen will.

Erlebe ausgewählte WM-Qualispiel Live und auf Abruf auf DAZN. Hol Dir jetzt Deinen Gratismonat

SPOX: Sie sind seit zwölf Jahren liechtensteinischer Nationalspieler. Was hat sich in der Zwischenzeit geändert?

Büchel: Als ich ins Nationalteam kam, war die Mannschaft besser, weil es mehr Profis gab. Wir haben seit drei, vier Jahren eine schwierige Phase, weil zuletzt viele wichtige Spieler aufgehört haben. Jetzt sind zwar viele Junge nachgekommen aber nur wenige, die es in den Profifußball geschafft haben. Die Kluft im Team ist viel größer als früher. Jetzt haben wir etwa einen Serie-A-Spieler und einen, der in der vierten Schweizer Liga spielt.

SPOX: Speziell das Training stellt sich da doch sicherlich kompliziert dar.

Büchel: Das stimmt. Technisch sind zwar alle recht gut, aber physisch gibt es große Unterschiede. Manche unserer Spieler trainieren zweimal am Tag, andere dreimal die Woche. Da tut sich unser Trainer schwer, das richtige Maß zu finden, um alle ideal vorzubereiten.

SPOX: Wie stellt Sie der Trainer auf ein Spiel wie das gegen Italien ein?

Büchel: Unser Trainer ist sehr optimistisch. Er sagt vor jedem Spiel explizit, dass wir genau heute etwas holen werden, dass genau heute dieser Tag ist, der alle paar Jahre kommt.

SPOX: Und was passiert nach einem Spiel, in dem tatsächlich eine Sensation gelungen ist?

Büchel: Bei jedem Punktgewinn wird gefeiert, als gäbe es kein Morgen. Vor zwei Jahren haben wir Moldawien auswärts geschlagen. Das war noch dazu an einem Samstag. Da ging richtig die Post ab.

SPOX: Gegen Italien geht es wieder an einem Samstag ...

Büchel: ... das ist dann schon einmal der perfekte Tag, um etwas zu holen.

SPOX: Wenn schon keine Punkte, dann vielleicht ein Trikot?

Büchel: Ich tausche schon gerne, aber ich bin niemand, der vor dem Spiel daran denkt, mit wem ich danach tauschen werde. Wenn wir hoch verlieren, dann will ich nicht noch um ein Trikot betteln, da fühle ich mich komisch. Deswegen bin ich nicht Fußballer geworden. Ich habe aber trotzdem eine ganz gute Sammlung zuhause.

Inhalt: