WM

Ein Stück Genugtuung

Von Ole Frerks
Vahid Halihodzic kann mit Algerien erstmals als Trainer zur WM fahren
© getty

Vahid Halihodzic hat den Bürgerkrieg in seinem Heimatland überstanden und einen Terroranschlag aus nächster Nähe erlebt. Auch im sportlichen Bereich ist sein Leben äußerst turbulent verlaufen. Nach einer bitteren Enttäuschung im Jahr 2010 hat sich vier Jahre später jedoch endlich ein Traum erfüllt.

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Vahid Halihodzic macht sich Sorgen. Er hat diese Geschichte doch schon mal erlebt, kaum drei Jahre ist es her. Die WM-Qualifikation gut im Griff, als Mitfavorit zum Afrika Cup gefahren - und dort enttäuschend früh nach Hause gefahren.

Damals wurde er trotz nahezu perfekter Bilanz als Coach der Elfenbeinküste entlassen. Zur WM fuhren die Elefanten ohne ihn. Im Anschluss wurde es hässlich. Wiederholt sich die Geschichte nun?

Er kann aufatmen. Die Offiziellen stehen hinter dem Trainer, der Bosnier kann weiter arbeiten. Nicht alle Algerier befürworten diese Entscheidung, doch einige Monate später wird klar, dass sich das Vertrauen gelohnt hat. Die "Wüstenfüchse" qualifizieren sich souverän für die WM in Brasilien.

Der Traum des 61-Jährigen wird mit vier Jahren später also doch noch wahr: Er fährt mit einem Team zur Weltmeisterschaft, das er selbst dort hingeführt hat. So lässt sich mittlerweile auch mit etwas mehr Milde auf die wohl schwärzeste Phase seiner Karriere blicken.

"Ich bin angewidert!"

"Es ist schrecklich, ich bin angewidert! Ich verliere eins von 24 Spielen und werde geopfert. Das war eine rein politische Entscheidung", polterte Halihodzic damals. Dass er von seiner Kündigung per Fax erfahren hatte, machte die Sache natürlich nicht besser.

"Der Präsident der Republik traf diese Entscheidung. Noch am selben Morgen kam der neue Präsident des Fußballverbandes zu mir, um sich im Namen der Spieler und des ivorischen Volkes dafür zu entschuldigen", verriet er später, gab aber auch zu: "Das ist kein Ersatz."

Heute sagt er: "Man lernt nie aus. Das war allerdings eine sehr harte Lektion für mich." An harten Lektionen mangelt es in der Biographie des Vahid Halihodzic allerdings bei weitem nicht.

Enttäuschung als Spieler

Wir schreiben das Jahr 1982, die WM in Spanien steht an. Halihodzic hatte an allen Qualifikationsspielen des damaligen Jugoslawiens teilgenommen und galt als einer der besten Spieler seines Landes. Nur nicht für seinen Coach.

"Der Trainer entschied, seine Taktik zu ändern und mich zum Ersatzspieler zu machen. "Das war eine schlechte Erfahrung, zumal ich danach strebte, Torschützenkönig des Turnieres zu werden", blickt Halihodzic zurück.

Er kommt nie wirklich über die Entscheidung des Trainers hinweg und spekuliert später immer wieder über die Ursachen, nachdem er beim Turnier insgesamt nur rund 60 Minuten eingesetzt wurde. Seine Religion (Halihodzic ist Muslim) habe dabei seiner Meinung nach eine Rolle gespielt.

Als Spieler feiert der Stürmer dennoch einige Erfolge, vor allem auf Vereinsebene. Mit seinem Heimatklub Velez Mostar holt er den jugoslawischen Pokal, später gewinnt er mit dem FC Nantes die französische Meisterschaft und wird zweimal Vize. 1983 und 1985 wird er zudem bester Torschütze in Frankreich.

Verwundet und vertrieben

Nach seiner Spielerkarriere dauert es nur drei Jahre, bis Halihodzic sich erstmals als Trainer versucht. Zurück in Jugoslawien, heuert er in neuer Rolle bei Mostar an. Allerdings bricht während dieser Zeit der Balkankrieg aus; sein Haus wird niedergebrannt, er selbst verletzt. "Menschen wurden zu Tieren. Auf einmal wurden selbst Nachbarn von mir blutdurstig", sagt er.

Traumatisiert geht er zurück nach Frankreich. Zunächst besucht er viele Klubs, um sich die Methoden verschiedener Trainer wie Marcelo Lippi und Fabio Capello anzuschauen. Er schläft derweil im Auto.

Seine erste wichtige Station als Cheftrainer wird Raja Casablanca. Mit dem größten marokkanischen Klub gewann er binnen zweier Jahre die Meisterschaft sowie die afrikanische Champions League. Es sind nicht nur seine ersten Erfolge als Trainer, sondern auch die ersten Erfahrungen mit dem Kontinent Afrika, mit dem er im Laufe der Jahre eine waschechte Hassliebe aufbaut.

Die Hassliebe

"In Afrika geht es immer zuerst jedem um sich selbst, erst danach ums Team. Es gibt keinen Teamgeist und deshalb ist es unmöglich, Siegerteams aufzubauen", sagt er später. Kaum zu glauben, dass er nach diesem Statement überhaupt noch einmal dort arbeitet.

Sein Verhältnis mit Medien und Spielern ist ebenfalls ambivalent: Während die einen ihn als ehrliche Haut schätzen, verleitet seine autoritäre Art andere dazu, ihm den wenig schmeichelhaften Spitznamen "der Diktator" zu geben.

Vielleicht hält er es deshalb nur zwei Jahre in Casablanca aus, bevor er zurück nach Frankreich geht. Dennoch zieht es ihn in seiner späteren Karriere immer wieder dorthin zurück.

Terror beim Afrika Cup

Nach Casablanca beginnt eine Karriere als Wandervogel, zu der unter anderem drei weitere Stationen in Afrika gehören. Sein Ansehen nimmt zu, an neuen Angeboten mangelt es nie. Laut Eigenaussage will ihn auch Chelsea holen, er lehnt "wegen der Sprachbarriere" jedoch ab.

Es ist dann der Afrika Cup 2010, der ihn beinahe zum Aufhören treibt. In Angola wird ein Terror-Anschlag auf die togolesische Nationalmannschaft verübt, fortan fühlt sich niemand mehr sicher. Die Spieler möchten das Land unbedingt verlassen, doch die Verbände bleiben hart.

Die Situation ist extrem schwierig, das Nervenkostüm von Spielern und Trainer liegt blank. Vor diesem Hintergrund kein Wunder, dass die Mannschaft im Viertelfinale kurz vor Schluss kollabiert und einen Vorsprung noch herschenkt.

Für den Präsidenten ist Halihodzic jedoch Schuld am Kollaps. Er wird geschasst und durch Sven-Göran Eriksson ersetzt, der wenige Monate später in der WM-Vorrunde ausscheidet. Halihodzic schwört sich, keine afrikanische Mannschaft mehr zu übernehmen, und geht zurück nach Europa.

Endlich am Ziel

Nach einer Double-Saison mit Dinamo Zagreb folgt Halihodzic 2011 jedoch erneut dem Ruf aus Afrika - diesmal ist es Algerien. "Die Aufrichtigkeit beim ersten Kontakt hat mich davon überzeugt, weiterzumachen. Mit aufrichtigen Menschen kann man immer etwas machen", erklärt er.

Die Reise war kompliziert, aber am Ende kann sich der Trainer doch noch seinen Traum erfüllen. Nach dem Triumph über Burkina Faso in den Playoffs sieht man den normalerweise stoischen Coach aufgelöst wie noch nie: Er tanzt noch auf dem Spielfeld, feiert und weint sogar.

"Es war eine Mischung aus Erleichterung und Stolz", blickt er später auf seinen Ausbruch zurück, "das ist unbezahlbar. Das lässt sich mit nichts kaufen. Da sind Jahre des Leidens auf einen Schlag vergessen."

Die WM 2014 im Überblick