WM

Garrincha und seine Peggie

Von Uwe Morawe
Garrincha (l.) schoss Brasilien 1962 fast im Alleingang zur Titelverteidigung
© getty
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WM-Ball? Arschlecken!

Jahre später bekam Mario Americo Post von der FIFA. Der Weltverband forderte ihn auf, den Spielball des WM-Finales 1962 zurückzugeben. Americo sagte Arschlecken und schickte einen anderen Lederball identischen Fabrikats in die Schweiz. Das Original behielt er bis an sein Lebensende und vermachte ihn anschließend dem brasilianischen Verband. Er selber ging in den 70ern in die Politik.

Das Schicksal von Transistorradio Peggie war da schon trauriger. Kurz nach der WM spielte Brasilien ein Freundschaftsspiel in Japan. Als das Team in Tokio gelandet war, machte Garrincha sein Radio an und hörte - welch Wunder - japanische Musik. Garrincha war entsetzt ob der fremden Klänge, glaubte Peggie sei verhext und warf das Radio schweren Herzens in den Mülleimer.

Garrincha selber zog sich nach dem Karriereende in sein Heimatstädtchen 50 Kilometer von Rio entfernt zurück. Keine gute Entscheidung. Er verarmte und starb wie sein Vater an den Folgen seiner Alkoholsucht. Mit 49 Jahren. Die brasilianische Öffentlichkeit war entsetzt, dass sie ihren einstigen Liebling so hatten vergessen können. Über eine Million Menschen säumten die Strecke, die der Leichenwagen von Rio in seine Heimatstadt fuhr.

Garrincha hält bis heute eine Weltrekord. Er blieb in seinen ersten 49 Länderspielen ungeschlagen. Erst sein 50. und letztes gegen Ungarn bei der WM 1966 endete mit einer Niederlage. Dass das WM-Stadion in der Hauptstadt Brasilia nach ihm benannt wurde, geschenkt. Mit Brasilia hatte Garrincha nie was zu tun. Aber auch die Heimkabine im Maracana, in der sich Brasilen umzieht, trägt seinen Namen.

Was sonst noch wichtig war

  • Zwei Jahre zuvor erschütterte das stärkste bis heute gemessene Erdbeben das WM-Gastgeberland Chile. Die Infrastruktur war weitestgehend zerstört. Trotzdem unternahmen die Chilenen alles, um die WM auszuführen. Gespielt wurde lediglich in vier Stadien. Die Touristen blieben aus. 14 der 32 WM-Spiele hatten weniger als 10 000 Zuschauer.
  • Kurz vor dem Turnier lud Sepp Herberger den längst zurückgetretenen Fritz Walter zu sich nach Hause. "Fritz, ich habe sie bei den Alten Herren in Kaiserslautern gesehen. Ich könnte Sie immer noch gebrauchen. Einige schnelle Leute um Sie herum, da müssten Sie gar nicht so viel laufen." Der fast 42jährige schuftete knapp zwei Monate für den Geheimplan eines Comebacks - und sagte Herberger dann doch ab. Das Szenario für den Fall des Scheiterns war ein zu mächtiges Damoklesschwert.
  • Herbergers fatalste Entscheidung fiel einen Tag vor dem ersten deutschen Spiel. Statt des bewährten Hans Tilkowksi, der alle Quali-Spiele absolviert hatte, nominierte er den unerfahrenen Wolfgang Fahrian vom SSV Ulm als Nummer 1. Sicherlich kein schlechter Keeper - aber diese Maßnahme konnte ein Großteil der Mannschaft nicht nachvollziehen. Tilkowski zerschlug noch in der Nacht das Mobiliar auf seinem Zimmer. War nicht schade drum: die Deutschen waren in einer spartanischen Militärschule untergebracht.
  • Das bis heute härteste WM-Spiel der Geschichte fand zwischen Chile und Italien statt, die "Schlacht von Santiago". Unbedingt mal auf Youtube anschauen, unfassbar und wahnsinnig komisch zugleich. Zwei Meter vor den Augen des Schiris Faustschläge, und der der stellt aus nackter körperlicher Angst keinen Platzverweis aus
  • Diese WM war das vierte und letzte Turnier eines der erfolglosesten und zugleich ohnmächtigsten Trainer, dem Engländer Walter Winterbottom. Als Coach hatte er keinerlei Einfluss auf die Kaderauswahl. Der englische Verband bestimmte die Zusammenstellung und achtete darauf, dass alle Spitzenvereine annähernd paritätisch verteilt waren. Ein echtes Erfolgsmodell! Später wurde Winterbottom zum Ritter geschlagen - wahrscheinlich wegen grenzenloser Selbstgenügsamkeit.
  • Beim Spiel England-Brasilien streunerte ein schwarzer Hund minutenlang über das Spielfeld und konnte nicht eingefangen werden. Erst Jimmy Greaves fand den richtigen Zugang zum possierlichen Köter. Der dankte es ihm allerdings nicht und pinkelte Greaves beim Hinausgetragenwerden aufs Trikot. Fanden die Brasilianer so lustig, dass sie das Tier mit ins Mannschaftshotel mitnahmen und auslosten, wer ihn behalten sollte. Das Los fiel auf, na logo: Garrincha.

Seite 1: Billigschnaps gegen den Hunger und ein kindlicher Hoffnungsträger

Seite 2: Der gestohlene WM-Ball und das traurige Ende von Peggie.