WM

Stürmer Jo: Home sweet Home

Von Jan Dafeld
In acht Länderspielen in diesem Jahr konnte Jo fünf Treffer erzielen
© getty

Zwischen all den Superstars in der brasilianischen Nationalmannschaft wirken die Mittelstürmer für einige Beobachter wie eine Fehlbesetzung. Vor allem Angreifer Jo ist den meisten Fans noch als Fehleinkauf in Manchester in Erinnerung. Dabei hat der 26-Jährige in Brasilien eine Entwicklung durchgemacht. Gegen Honduras (Sonntag, 17. November um 1.30 Uhr im LIVE-STREAM FOR FREE) will er dies erneut unter Beweis stellen.

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Rekordweltmeister, Confed-Cup-Sieger, Gastgeber. Für viele ist die brasilianische Nationalmannschaft der Topfavorit auf den Weltmeistertitel 2014 im eigenen Land. Wenn nicht jetzt, wann dann? Selbst Spaniens Trainer Vicente del Bosque, der mit seiner Elf in den letzten fünf Jahren immerhin zwei EM- und einen WM-Titel einheimsen konnte, sah sich und seine Mannschaft vor dem Finale des Confederations Cups 2013 gegen Brasilien als Außenseiter. "Wir sollten uns nicht als Favorit betrachten", so der 62-Jährige, "das ist für mich Brasilien."

Die Auswahl von Trainer Luiz Felipe Scolari präsentiert sich derzeit in einer herausragenden Verfassung. Zehn der letzten elf Länderspiele wurden gewonnen, gerade einmal vier Gegentore ließ man in dieser Zeitspanne zu. Eine Position im brasilianischen Aufgebot führt bei so manchem Beobachter allerdings zu Stirnrunzeln: die des Mittelstürmers.

Costa entscheidet sich für Spanien

Ausgerechnet die Position, auf der Brasilien in der Geschichte des Fußballs immer wieder Spieler von Weltklasseformat hervorbringen konnte, scheint derzeit qualitativ ein wenig abzufallen. Viele Fans vermissen einen echten Goalgetter, wie man ihn in der Vergangenheit in Ronaldo oder Romario hatte. Als sich Diego Costa im Oktober gegen sein Heimatland und für die spanische Nationalmannschaft entschied, löste das bei vielen Fans Entsetzen und Empörung aus. Das fehlende Puzzleteil scheint weiter abhanden zu bleiben.

So bot Luiz Felipe Scolari während des Confed-Cups in allen fünf Spielen eine Mannschaft mit zehn Legionären in der Startaufstellung auf. Die Stars aus Europa, wie Thiago Silva, Oscar oder mittlerweile auch Neymar, zauberten den Fans ein Lächeln auf die Lippen und ließen die brasilianischen Anhänger jubeln. Einzig und allein im Sturmzentrum fehlte dieser Superstar aus dem europäischen Fußballzirkus.

Vor allem die Einsätze des Angreifers Jo sorgten für einige Verwunderung bei den Zuschauern vor ihren Fernsehgeräten. So mancher googelte den Namen des 26-Jährigen vorsichtshalber und fragte sich: "Ist das wirklich DER Jo?" Der Mann, der in England als der personifizierte Fehleinkauf gilt und in den großen Ligen Europas praktisch immer fehl am Platz wirkte?

Star in Russland

So manchem mag das Lachen während des Turniers allerdings im Halse stecken geblieben sein. Sowohl gegen Japan, als auch gegen Mexiko, benötigt der Linksfuß keine zehn Minuten, um den letzten Treffer der Partie zu markieren.

Zumindest Beobachtern der russischen Premier Liga dürfte Jos Auftreten nicht völlig überrascht haben. Mit gerade einmal zwanzig Jahren feiert Joao Alves de Assis Silva, wie er mit vollem Namen heißt, einen Traumeinstand außerhalb Brasiliens. In drei Jahren trifft er für ZSKA Moskau in 61 Spielen 32-mal. Er gewinnt eine Meisterschaft, zweimal den russischen Pokal und zweimal den russischen Supercup. Mit einer Gehaltserhöhung um mehrere Millionen Euro möchte man seinem Stürmerstar einen Verbleib an der Wolga schmackhaft machen, doch Jo zieht es nach England.

Probleme in England

Bei Manchester City nagt er zwar nicht am Hungertuch, nimmt allerdings finanzielle Einbußen in Kauf. Der Wechsel kommt ihm sehr gelegen, da er bei ZSKA des Öfteren unter rassistischen Anfeindungen zu leiden hat. "Einmal aßen wir bei McDonals und plötzlich warf ein Russe seinen Kaffeebecher nach uns, weil er Schwarze nicht mochte", erinnert sich der Brasilianer. "Auf der Straße machten viele Leute ein Kreuzzeichen, wenn sie mich sahen."

Seine Situation auf dem Platz verschlechtert sich auf der Insel allerdings drastisch. In seiner ersten Saison für die Citizens trifft der 24-Millionen-Euro-Mann nur sechsmal. Seine Tore erzielt er ausschließlich bei ungefährdeten Kantersiegen. Darüber hinaus gilt seine Arbeitseinstellung nicht als besonders professionell. Einmal meldet er sich krankheitsbedingt vom Training ab. Kurz danach tauchen Fotos von ihm aus der Nacht davor in einem Klub auf.

Manchester verleiht ihn nach Liverpool zum FC Everton, wo mit David Moyes ein Fan des Jo aus Moskauer Tagen auf der Trainerbank sitzt. Es folgt allerdings kein einziges Ligator für die Toffees. Als er über Weihnachten ungefragt seine Familie in Brasilien besucht, ist dies ein gefundenes Fressen für Moyes, seine Leihe vorzeitig beenden zu können.

Flucht in die Heimat

Nach einem erfolglosen Gastspiel in Istanbul und einer weiteren enttäuschenden Halbserie in England hat Roberto Mancini genug gesehen. Drei Jahre nachdem er für eine klubinterne Rekordsumme verpflichtet wurde, geht Jo ablösefrei zurück nach Brasilien.

In Moskau glaubt man immer noch an das Talent Jos, doch der damals 24-Jährige entscheidet sich für eine Rückkehr in seine Heimat. "Nach sechs Jahren zurückzukehren bereitet mir immense Freude. Ich muss mich auf nach Brasilien machen." Dass ihn dieser Wechsel fünf Jahre nach seinem letzten Einsatz für die Selecao wieder in den Kreis der Nationalmannschaft bringen könnte, hätte er sich damals wohl selbst nicht träumen lassen.

Zweiter Frühling mit 25 Jahren

Doch an der Seite von Ronaldinho erlebt Jo scheinbar seinen zweiten Frühling - mit 25 Jahren. 2013 gewinnt Atletico Mineiro zum ersten Mal in seiner Vereinsgeschichte die Copa Libertadores. Bester Torschütze des Wettbewerbs? Jo. Der schlaksige Angreifer wirkt spritziger und explosiver als je zuvor. Mit dem Spieler, der in England als der vielleicht technisch schwächste Brasilianer aller Zeiten bekannt ist, hat er nur noch wenig gemein.

Nach dem Ausfall von Fred kämpft Jo mit Alexandre Pato um einen Platz in der Startaufstellung im Testspiel gegen Honduras (Sonntag, 17. November um 1.30 Uhr im LIVE-STREAM FOR FREE). Alle drei Angreifer haben sich nach einem mehr oder weniger langen und erfolgreichen Gastspiel in Europa für eine Rückkehr in ihr Heimatland entschieden. Pato schlug in diesem Sommer ein Millionenangebot von Tottenham aus.

Brasilien ist für die Stürmer keine Notlösung. Ihre Form hat in der Heimat nicht gelitten. In den letzten zehn Länderspielen der brasilianischen Nationalmannschaft erzielen Jo und Fred zusammen elf Treffer. Den Status eines Weltstars verkörpert keiner der Stürmer der Selecao, mit ihrer Effizienz müssen sie sich dagegen vor niemandem verstecken.

Jo im Steckbrief

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