WM

"Es gibt keinen Besseren als Jogi"

Von Interview: Stefan Rommel
Jürgen Klinsmann ist seit Juli 2011 Nationaltrainer der USA
© Imago

US-Nationalcoach Jürgen Klinsmann über die heiße Endphase der WM-Qualifikation, den Aufschwung der Major League Soccer und sein Fazit des DFB-Länderspieljahres 2012. Seinem Nachfolger Joachim Löw stärkt er trotz des verpassten EM-Titels den Rücken.

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Im Rahmen der Hyundai Beach Games in Hamburg traf sich Markenbotschafter Klinsmann mit SPOX zum ausführlichen Gespräch.

SPOX: Her Klinsmann, mit den USA haben Sie die erste Hürde auf dem Weg zur Weltmeisterschaft 2014 gemeistert. Wie fällt Ihr Fazit des Jahres 2012 aus?

Jürgen Klinsmann: Wir haben uns relativ souverän durchgesetzt in der ersten Qualifikationsphase. Zwar hatten wir nach der Niederlage gegen Jamaika einen kleinen Hänger, aber den konnten wir gleich wieder korrigieren. Das Jahr 2012 war inklusive der tollen Freundschaftsspiele gegen große Mannschaften wie Italien, Mexiko oder Russland sehr erfolgreich. Da konnten wir schon ranschnuppern an die ersten Zehn der Welt. Das ist unser Ziel.

SPOX: Dafür müssen Sie aber erst noch die letzte Qualifikationsrunde überstehen, eine Sechsergruppe, in der Jeder gegen Jeden antritt. Wie bewerten Sie die Gruppe und wie schätzen Sie die Chancen Ihrer Mannschaft ein?

Klinsmann: Da geht es schon ans Eingemachte. Mexiko ist ein brutales Kaliber. Mit denen geht es traditionell um die Vorherrschaft in Nord- und Mittelamerika. Dann warten Costa Rica und Honduras, die zuletzt auch immer bei Endturnieren dabei waren. Jamaika ist eine enorm körperbetonte Mannschaft, Panama hat sich in den letzten Jahren sehr gut entwickelt. Es wird richtig rund gehen in dieser Gruppe.

SPOX: Wer oder was dürfte das größte Problem darstellen?

Klinsmann: Definitiv die Auswärtsspiele. Das wird schon knackig werden. In einigen dieser Länder ist gegenüber den USA ein gewisser Sozialneid da, es wird eine Menge Emotionen geben in diesen Spielen. Da müssen wir hinfahren und wenigstens einen Punkt holen. Da müssen wir uns durchboxen. Zu Hause soll dann der Sack zugemacht werden.

SPOX: Wie sehen Sie die Entwicklung Ihrer Mannschaft?

Klinsmann: Wir haben spielerisch sicherlich die Qualitäten, um die Gegner unserer Gruppe zu schlagen. Unsere Topspieler sind alle in Europa aktiv, in Deutschland, England, Italien, Spanien. Da hat sich im Vergleich zu vor zehn, 15 Jahren enorm etwas entwickelt. Aber man muss gegen einige dieser Mannschaften erst den Fight mitgehen. Das müssen wir beherzigen. Aber die Erwartungshaltung ist klar: Die USA müssen zur WM. Alles andere wäre ein Fiasko.

SPOX: Was macht für Sie den besonderen Reiz aus, ein Land zu coachen, das nicht zur absoluten Weltspitze gehört?

Klinsmann: Ich habe die Entwicklung des Fußballs aus nächster Nähe beobachtet, die Entstehung der MLS auch. Ich lebe seit 14 Jahren in den USA, meine Kinder sind mehr Amerikaner als Deutsche. Momentan sind wir etwa auf Rang 20 bis 25 anzusiedeln, aber wir werden weiter wachsen und an die Top Ten heranreichen. Das ist durchaus realistisch. Besonders reizvoll ist es, weil wir die grundlegenden Strukturen noch legen können. Der Verband wird im kommenden Jahr zwar 100 Jahre alt, seine Strukturen sind aber noch nicht so festgefahren wie in den traditionellen Fußball-Ländern. Wir können im Jugendbereich noch vieles formen und in der Trainerausbildung. Das ist spannend und macht mir eine Menge Spaß.

SPOX: Greifen Sie dabei auch auf Hilfe und Erfahrungswerten aus anderen Ländern zurück?

Klinsmann: Wir haben uns in den letzten Monaten auf verschiedenste Weise fortgebildet. Jetzt geht es darum zu schauen, was für unseren Verband umsetzbar ist. Nicht alles, das anderswo funktioniert, muss gut sein für den Fußball in den USA.

SPOX: Ein Problem bleibt sicherlich noch die Erfassung aller Talente in einem derart großen Land?

Klinsmann: Der Unterbau nimmt langsam Formen an. Zig Millionen Kinder und Jugendliche spielen Fußball. Viele davon vielleicht auch, um später an ein Stipendium zu kommen. Die Größe des Landes ist ein Problem, und wir haben auch keine 360 Stützpunkte wie der DFB. Aber mittlerweile haben wir Leute, die im Fußball gewachsen sind, die das Spiel selbst schon gespielt haben. In dieser Generation haben wir reine Fußballer und keine Personen mehr, die ursprünglich vom American Football, Basketball oder Baseball kommen. Das gibt uns eine ganz andere Qualität in der fundamentalen Arbeit.

SPOX: Sie gehen sehr offen mit der Option um, Spieler mit doppelter Staatsbürgerschaft für die USA gewinnen zu wollen.

Klinsmann: Wir beobachten Spieler auf der ganzen Welt, unter anderem Andi Herzog kümmert sich um den europäischen Bereich. Da haben wir ein Auge drauf, dieses Netzwerk müssen wir pflegen. Wir signalisieren den jungen Spielern, dass wir Interesse haben. Aber wir machen keinen Druck. Die Entscheidung muss immer beim Spieler und dessen Familie liegen. Es ist mittlerweile auch so, dass einem Spieler, der sich für die USA entscheidet, nach der aktiven Kariere in den Staaten fast alle Türen offen stehen.

SPOX: Mit welchem Spieler aus Deutschland hatten Sie zuletzt Kontakt?

Klinsmann: Das werde ich nicht verraten. Das wollen wir nicht, der Junge bekommt sonst in Deutschland sofort das Echo in den Medien um die Ohren.

SPOX: Haben Sie sich mit Robin Dutt schon ausgetauscht, seit der Sportdirektor beim DFB ist?

Klinsmann: Bis jetzt noch nicht, aber das wünsche ich mir noch. Es würde Spaß machen, diverse Themen mit ihm zu diskutieren. Wir als Amerikaner schauen auf Deutschland als ein Land, das uns in vielen Dingen noch weit voraus ist. Es gibt noch unglaublich viel zu lernen für uns. Und wir haben auch gar kein Problem damit, das auch zuzugeben.

SPOX: Mittlerweile spielen unter anderem einige Deutsche in der MLS. Ist das ein Zufall oder ein Trend?

Klinsmann: Das ist schon ein wichtiger Trend. Es sind ja nicht nur deutsche Spieler oder solche, die nur zum Ende ihrer Karriere dahin gehen. Die Liga hat eine Faszination: Wenn man jetzt da spielt, baut man etwas Großes mit auf. Da ist ein gewisses Pionierdenken dabei, wenn immer mehr Europäer in die MLS kommen.

SPOX: Haben Sie sich Ihren Job eigentlich so vorgestellt, wie er sich jetzt in den ersten knapp anderthalb Jahren darstellt?

Klinsmann: Ich bin prinzipiell jemand, der sich auch mal in ein Abenteuer wirft und sich dann den Dingen anpasst. Im Groben habe ich das bekommen, was ich erwartet habe. Besonders hatte ich gehofft, dass der Verband voll mitzieht, Dinge mit anpackt. Dieser Hoffnung wurde voll entsprochen. Ich habe einen super Draht zu meinem Präsidenten. Manchmal genügt ein Anruf und dann werden Dinge umgesetzt. Das ist dann auch typisch amerikanisch: Da wird nicht lange geplappert oder Politik gemacht. Sondern angepackt. Das gefällt mir.

SPOX: Dabei sind die räumlichen Distanzen enorm: Der Verband sitzt in Chicago, der Präsident in New York, Sie und das Leistungszentrum in Los Angeles.

Klinsmann: Die Aufarbeitung der Spiele erfolgt immer unmittelbar am Tag danach zwischen allen Beteiligten. Natürlich müssen wir viel telefonieren oder neuere Medien nutzen. Aber es ist alles machbar.

SPOX: In Europa sorgt die Bundesliga für Furore. Überrascht Sie das gute Abschneiden der deutschen Klubs im bisherigen Europapokal?

Klinsmann: Überhaupt nicht. Die Bundesliga gibt derzeit ein super Bild ab, das weltweit registriert wird.

SPOX: Dortmund hat seine Gruppe in der Champions League ziemlich aufgemischt. Es werden schon erste Stimmen laut, die dem BVB diese Saison ganz Großes zutrauen. Was sagen Sie?

Klinsmann: Es würde mich freuen, wenn sie die Konstanz halten können und durchmarschieren bis zum Halbfinale oder sogar ins Finale. Das wäre fantastisch. Die Problematik einer jungen Mannschaft ist aber, die Konstanz zu halten. Nur Jürgen Klopp kann wissen, wie reif und selbstbewusst die Truppe ist. Aber was sie bis jetzt abgeliefert haben, ist sensationell.

SPOX: Letzten Freitag wurde Nationaltrainer Mano Menezes in Brasilien entlassen.

Klinsmann: Das ist für mich überhaupt nicht nachvollziehbar. Da haben einigen Herren die Nerven gezappelt. Für mich kam das doch ziemlich überraschend.

SPOX: Der Deutsche Fußball Bund wird Sie und Ihre Mannschaft im kommenden Sommer besuchen.

Klinsmann: Das ist für uns eine gigantische Sache, dass der DFB an unserem Geburtstag zu uns kommt.

SPOX: Haben Sie nicht die Befürchtung, dass Deutschland auf Grund möglicher Abstellungen für DFB-Pokal- und Champions-League-Finale mit einer besseren B-Mannschaft anreisen wird?

Klinsmann: Die Problematik ist ja nicht neu, da muss man sich anpassen. Die "zweite Garnitur" beim DFB hat es ja auch in sich. Da hat sich einiges getan in den letzten Monaten...

SPOX: Wie haben Sie das Jahr der deutschen Nationalmannschaft und von Joachim Löw gesehen?

Klinsmann: Durchweg positiv. Deutschland hat eine klasse Europameisterschaft gespielt, bis zum Italien-Moment. Dort hat die Mannschaft die Grenzen aufgezeigt bekommen - wie wir 2006. Aber dann durch die Quali-Runde hinweg wieder sehr konstant und erfolgreich. Am Ende noch mit einem kleinen Schluckauf mit dem 4:4 gegen Schweden. Ich finde das von außen betrachtet eigentlich amüsant: Wenn du so ein Spiel erleben darfst, müsstest du ein T-Shirt drucken "Ich war dabei!".

Aber bei uns haben sich anscheinend ein paar Leute zu sehr darüber aufgeregt. Klar ärgert man sich im ersten Moment, wenn man ein Spiel hergibt, das man eigentlich schon gewonnen hat. Aber wir müssen ein klein wenig lockerer werden. Generell macht Jogi die Arbeit klasse. Es gibt keinen Besseren. Was er in den letzten Jahren aufgebaut hat und wie er das durchzieht, wie viele Spieler durchkommen aus den Klubs, ist schön zu sehen und einfach toll. Das ist eine hohe Anerkennung an die Bundesliga und die Leistungszentren, an Jogi und den DFB und dessen Jugendarbeit. Deswegen ist Deutschland, wo es ist: Unter den Top Drei der Welt. Davon können wir in Amerika noch lange träumen.

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