WM

Vom Kolonialherren verraten

Von Andreas Lehner
Roberto Baggio verwandelte 1994 den entscheidenden Elfmeter im Achtelfinale gegen Nigeria
© Getty

Nigeria hatte bei der WM 1994 in den USA als erstes afrikanisches Team reelle Chancen auf das Finale. Aber ein Trainer, der die Mentalität der Mannschaft ignorierte und mit den Spielern nur Geld machen wollte, machte diesen Traum zunichte.

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Die WM 1994 in den USA endete mit einem versteinerten Roberto Baggio. Der italienische Mittelfeldkünstler verschoss im Finale gegen Brasilien den entscheidenden Elfmeter. Links über den Knick. Sein Fehlschuss machte Brasilien zum vierten Mal zum Weltmeister.

Kein rechter Trost für Nigeria, dessen WM ebenfalls mit einem Elfmeter Baggios zu Ende ging - mit einem verwandelten. Halbhoch an den linken Innenpfosten und ins Tor. Es war der entscheidende Treffer im Achtelfinale, das Italien schließlich durch Baggios Tor in der 108. Minute mit 2:1 nach Verlängerung gewann.

Besser als Kamerun 1990

Dabei sah alles bis zur 89. Minute noch so gut aus für die Afrikaner. Nigeria war durch ein Tor von Emmanuel Amunike früh in Führung gegangen, Italiens Gianfranco Zola nach einer Tätlichkeit eine Viertelstunde vor Schluss vom Platz geflogen. Aber dann lief plötzlich alles schief.

Mit Offensivfußball hatten die Super Eagles die Zuschauer bei ihrer ersten WM-Teilnahme begeistert. Bulgarien und Griechenland wurden quasi vom Platz gefegt, nur gegen Argentinien gab es eine unnötige Niederlage.

Trotzdem waren sich die Experten einig, dass diese nigerianische Mannschaft noch weiter kommen könnte als Kamerun, das vier Jahre zuvor mit dem um die Eckfahne tänzelnden Roger Milla nur unglücklich im Viertelfinale an England gescheitert war.

Westerhof ein Kolonialherr

Doch der Traum vom ersten afrikanischen Halbfinalisten oder gar Weltmeister wurde rasch beendet. Die Spieler machten den Trainer für das Scheitern verantwortlich. Der Trainer die Spieler.

Es passte einfach nicht zwischen den technisch herausragenden Freigeistern aus Schwarzafrika um Jay-Jay Okocha und dem Disziplin und Defensive predigenden Niederländer Clemens Westerhof, den "Voetbal International" später einen Kolonialherren nennen sollte.

Abfällige Bemerkungen

Westerhof machte die Dummheit seiner Spieler für das Aus verantwortlich und sagte, ihr Verhalten auf dem Platz sei typisch gewesen für Afrikaner, der Schwarze wolle sich dem Weißen immer überlegen fühlen.

Es ist ein Wunder, dass Westerhof überhaupt fünf Jahre Trainer der Nationalmannschaft gewesen ist und später sogar noch einmal als Jugendkoordinator engagiert wurde.

Immer wieder machte er abfällige Bemerkungen über sein Team und die Afrikaner im Allgemeinen. Beispiel: "Sie essen fettig, vergnügen sich mit ihren oder anderen Frauen und haben sich nicht unter Kontrolle."

Yekini: "Ich war immer gegen diesen Trainer"

Was ihn im Amt hielt, waren seine Erfolge. 1990 wurde Nigeria Zweiter beim Afrika Cup, 1992 Dritter und 1994 holten die Super Eagles den Titel. Der Verband war zufrieden mit den Ergebnissen und damit auch mit Westerhofs Arbeit, übersah aber, dass es zwischen den Führungsspielern im Team und dem Trainer einen tiefen Graben gab und die Erfolge vor allem der Qualität der Spieler zu verdanken waren.

Es war eine Befreiung für die Spieler, als sie ihren Trainer nach dem Ausscheiden aus dem Teamhotel warfen. Stürmer Rashidi Yekini sagte hinterher: "Ich war schon immer gegen diesen Trainer. Es ist kein Geheimnis, dass ich ihn nicht mag und er mich nicht."

Yekini verteufelte auch Westerhofs Rückzugsplan nach dem Führungstreffer gegen Italien. "Je mehr wir angreifen, desto besser können wir verteidigen. Das ist unser Spiel." Bis auf den Stürmer sollten aber alle verteidigen und damit eigentlich gegen ihre Mentalität und ihre eigentliche Stärke spielen. Die Italiener bestraften dieses Verhalten gnadenlos.

Westerhof wollte Geld machen

Einen ebenso schweren Vorwurf machte Emeka Ezeugo. Der Mittelfeldspieler, der bei der WM nur einmal zum Einsatz kam, unterstellte Westerhof, seine eigenen Interessen über die des Teams gestellt zu haben.

Denn Westerhof war nicht nur Trainer, sondern gleichzeitg auch Manager einiger nigerianischer Spieler. Also wollte er das Schaufenster Weltmeisterschaft nutzen, um mit seinen Spielern wie Sunday Oliseh und Emmanuel Amunike im Anschluss an das Turnier Geld zu machen.

"Ich gebe Westerhof die Schuld am Ausscheiden, weil er Spieler einsetzte, die dem Standard der Partie noch nicht gewachsen waren", sagte Ezeugo. "Er dachte, er könnte seine Jungs immer bringen. Aber das Spiel gegen Italien war ein Spiel für Männer und nicht für Jungs. Das hat er nicht verstanden." Und Nigeria damit einer einmaligen Chancen beraubt.

Alle Ergebnisse der WM 1990 in Italien