WM

Ein Blick auf die Uhr genügt

Von Andreas Allmaier
So sieht er aus, der Chip im Ball: Auf seiner Armbanduhr kann der Schiri sehen, ob der Ball drin war
© cairos

Aufgrund von krassen Fehlentscheidungen bei den WM-Achtelfinalspielen Deutschland - England und Argentinien - Mexiko ist der Ruf nach technischen Hilfsmitteln für Schiedsrichter wieder einmal sehr laut geworden. So laut, dass nun sogar FIFA-Präsident Sepp Blatter - jahrelang überzeugter Gegner solcher Technologien - ein Umdenken angekündigt hat. Doch wie könnte eine technische Lösung genau aussehen?

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Gestenreich vertrat der Star-Gast der Fußballfachmesse "Soccerex" seinen schon unzählige Male vorgetragenen Standpunkt. Die Fehler der Schiedsrichter gehörten genau wie die Fehler der Spieler zum Fußball, das "menschliche Antlitz" des Sports müsse gewahrt werden.

Im Video: So funktioniert der Chip im Ball

Ein anderer Satz Sepp Blatters, mit einer gegensätzlichen Stoßrichtung, ließ die Zuhörer jedoch aufhorchen: "Wenn Torlinien-Technologie präzise funktioniert, werden wir sie akzeptieren."

Torlinien-Technologie - technische Hilfsmittel, mit denen bestimmt werden kann, ob der Ball in vollem Umfang hinter der Linie war oder nicht - hat von allen diskutierten Regel-Änderungen die besten Chancen, im Weltfußball Einzug zu halten. Zwar sind die häufigsten strittigen Entscheidungen wie knappe Abseitssituationen oder Handspiele im Strafraum auch damit nicht zu klären, die wichtigste allerdings schon: Tor oder kein Tor?

"Unsere Technik funktioniert einwandfrei"

Blatters Auftritt fand im Dezember 2009 statt. Ein halbes Jahr später gilt bei der WM in Südafrika bei kniffligen Torszenen nach wie vor die sogenannte Tatsachenentscheidung - und die Aufregung ist nach dem "Wembley-Tor" von Frank Lampard, dem beim 4:1-Sieg der deutschen Nationalmannschaft im Achtelfinale gegen England ein glasklarer Treffer verwehrt worden war, groß.

Hätte das Schiedsrichtergespann ein technisches Hilfsmittel zur Überwachung der Torlinie zur Verfügung gehabt, wäre die peinliche und für England möglicherweise folgenschwere Panne vermieden worden.

Solche Hilfsmittel existieren längst. Warum sind sie trotz Blatters Ankündigung noch nicht im Einsatz? Funktionieren sie nicht zuverlässig genug? Oder hatte der Schweizer bisher in Wahrheit gar nicht vor, sie einzuführen?

"Unsere Technik funktioniert einwandfrei", sagt Christian Holzer, Vorstand der "Cairos technologies AG" aus Ismaning bei München im Gespräch mit SPOX. Seine Firma hat in Zusammenarbeit mit dem Sportartikelhersteller "Adidas" das GLT-System (Goal Line Technology-System) entwickelt, im Volksmund als "Chip im Ball" bekannt.

Erfolgreicher Test bei Klub-WM 2007

15 Millimeter klein ist dieser Chip im Ball und batteriebetrieben. Seine Sensoren vermessen schwache Magnetfelder, die von dünnen, an der Begrenzung des Strafraums und hinter dem Tor in den Rasen verlegten Kabeln erzeugt werden. Diese Messwerte schickt der Chip im Ball verschlüsselt zu zwei Empfangsantennen hinter dem Tor, welche die Werte wiederum an einen Computer weiterleiten. Der Rechner ermittelt anhand dieser Daten, ob der Ball im Tor ist oder nicht.

Der Schiedsrichter bekommt von diesem in Sekundenbruchteilen ablaufenden Vorgang nur das Wesentliche mit: Hat der Computer errechnet, dass der Ball die Torlinie in vollem Umfang überquert hat, funkt er eine entsprechende Meldung an die Armbanduhr des Referees: "GOAL".

"Das System ist bis auf einen Zentimeter genau", erklärt Holzer. "In Anbetracht der Tatsache, dass die Linien teilweise eine Ungenauigkeit von mehreren Zentimetern aufweisen und die Pfosten auch nicht immer gerade stehen, ist unser GLT-System absolut perfekt." Finanzierbar sei es ebenfalls: "Die Kosten belaufen sich auf etwa 25 Prozent der durchschnittlichen Refereekosten, die pro Spiel anfallen." Bei einer Bundesligapartie wären das zirka 2200 Euro.

SPOX-Kommentar: Helft den Schiedsrichtern!

Bei der Klub-WM 2007 wurde das System gestestet, die FIFA attestierte dem Chip im Ball daraufhin auf der eigenen Webseite "hundertprozentige Zuverlässigkeit".

Schiedsrichter machen sich für Hilfssysteme stark

Das GLT-System ist nicht die einzige Torlinien-Technologie, die sofort einsatzbereit wäre. Auch die britischen Entwickler des aus dem Tennis bekannten "Hawk-Eye" (Falkenauge) versuchten die FIFA bereits von den Vorzügen ihres Systems zu überzeugen.

Dabei würden sechs spezielle Kameras an verschiedenen Punkten im Stadion positioniert. Mit Hilfe der dadurch gewonnenen Daten wird eine 3-D-Simulation erstellt, mit der Bewegung und Position des Balls nachvollzogen werden kann. Allerdings müsste die Partie zur Überprüfung einer Torraumszene unterbrochen werden. Zusätzlich könnte die Genauigkeit leiden, wenn der Ball beispielsweise durch den Torhüter verdeckt wird. Kostenpunkt: etwa 300.000 Euro pro Stadion.

Die internationalen Top-Referees sind davon überzeugt, dass Hilfsmittel wie diese ihre Arbeit erleichtern und ihr ramponiertes Ansehen verbessern würden: Bei einer Tagung der UEFA votierten sie einstimmig für die Einführung der Torlinien-Technologie. Die DFB-Schiedsrichter-Kommission befürwortet den Chip ebenfalls. "Ein Chip im Ball hätte beim Schuss von Frank Lampard helfen können. Ein solches System, zuverlässig funktionsfähig, würde die Arbeit des Schiedsrichters erleichtern", sagt Lutz Fröhlich, DFB-Abteilungsleiter für die Unparteiischen.

"Die Tür ist geschlossen"

Auch die Fußballer-Vereinigung FIFPro ist ein großer Befürworter. Vor einigen Monaten befragte sie die Kapitäne der in der Europa League spielenden Vereine zum UEFA-Experiment mit dem fünften und sechsten Schiedsrichter (die in der vergangenen EL-Saison an den Torlinien postiert waren) und zu technischen Alternativen. 70 der Mannschaftsführer befanden demnach, dass die zusätzlichen Referees die Situation nicht verbesserten. Fast alle sprachen sich für die Einführung einer Torlinien-Technologie aus.

Laut einer repräsentativen Umfrage des Marktforschungsinstituts "Forsa" würden auch 70 Prozent der befragten Fußballinteressierten technische Hilfsmittel begrüßen.

Entscheidungen in dieser Angelegenheit treffen freilich weder Spieler noch Schiedsrichter oder Fans - sondern das International Football Association Board, dessen Mitglieder über die Fußball-Regeln wachen und nicht gerade für übermäßige Progressivität bekannt sind.

Bei ihrem letzten Treffen im März lehnten die Mitglieder des Boards, das sich aus vier Delegierten der FIFA und je einem Vertreter der Fußball-Verbände Englands, Nordirlands, Schottlands und Wales' zusammensetzt, nicht nur GLT-System und Hawk-Eye ab. Die Entscheidung des Gremiums war grundsätzlicher: "Die Tür ist geschlossen. Wir haben entschieden, dass keinerlei Technologie eingesetzt wird."

Lampard-Tor beschleunigt Diskussion

"Seither gab es in dieser Sache keinen offiziellen Kontakt mehr", sagt Cairos-Vorstand Holzer, dessen System den Wächtern des Regelwerks vorgeführt worden war. Auch nachdem sich Blatter beim englischen Verband für das nicht gegebene Tor entschuldigt und neuerlich angekündigt hat, das Thema Technologie erneut zur Sprache zu bringen ("es wäre Nonsens, das nicht zu tun") änderte sich daran nichts.

Doch Holzer hat die Hoffnung nicht aufgegeben: "Lampards nicht gegebener Treffer beschleunigt zumindest die Diskussion."

In der Tat: Das  International Football Association Board wird sich schon am 21. und 22. Juli zu einer Arbeitssitzung in Cardiff treffen, um die neuesten Geschehnisse zu besprechen. Die nächste reguläre Zusammenkunft sollte ursprünglich erst im März 2011 stattfinden.

Pedro Pinto Kolumne: Her mit der Torlinientechnologie!