WM

Durch die Hölle und zurück

Von Bärbel Mees
Prince Tagoe ist seit 2009 bei der TSG Hoffenheim unter Vertrag
© Imago

Wer zieht ins WM-Achtelfinale ein? Am Mittwoch trifft Ghana im letzten Vorrundenspiel auf Deutschland (20.15 Uhr im LIVE-TICKER und auf SKY). Die beiden Hoffenheimer Prince Tagoe und der zuletzt angeschlagene Isaac Vorsah haben ein Albtraum-Jahr hinter sich - doch ausgerechnet gegen das DFB-Team soll es für die unterschiedlichen Freunde zum Happyend kommen.

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Wenige Wochen vor dem Auftakt zur WM lud 1899 Hoffenheim zu einer Pressekonferenz ein. Es hätten so viele Journalisten nach Interviews mit den beiden Nationalspielern Ghanas gefragt, dass sich der Verein dazu veranlasst sah, einen Gruppentermin einzuberufen.

Und so saßen Prince Tagoe und Isaac Vorsah auf einem Podium im Medienzentrum des Bundesligisten und beantworteten geduldig fast eine Stunde lang jede Frage. Wobei: Geantwortet hatte in der Regel nur Tagoe, der redegewandtere und weltmännischere der beiden Freunde.

Vorsah, dessen introvertierte Art so gar nicht zu seiner imposanten Statur passen will, hielt sich hingegen auffällig zurück. Mehr als "Ich hoffe darauf, bei der WM eine gute Rolle zu spielen" oder "Die WM ist eine große Chance für Ghana" war ihm nicht zu entlocken.

Endspiel gegen Deutschland

Wer den 1,91 Meter großen Vorsah jedoch bei der WM beobachtet, erlebt einen anderen Vorsah. Zwar musste er beim 1:1 gegen Australien wegen Knieproblemen zuschauen, doch beim 1:0-Auftaktsieg gegen Serbien gehörte der Innenverteidiger mit seiner robusten und dominanten Spielweise zu den Besten bei den Black Stars.

Beim Spiel gegen die DFB-Elf baut Ghana-Coach Milovan Rajevac auf Vorsah und John Mensah in der Innenverteidigung. "Isaac wurde gegen Australien geschont, weil wir wussten, dass das Spiel gegen Deutschland das wichtigste sein würde", erklärt Rajevic.

Tagoe wiederum blieb von Verletzungsproblemen verschont, stand in beiden Partien in der Startelf und lieferte vor allem beim Auftakt gegen Serbien eine ordentliche Leistung. Mehr noch: Wenn am Mittwoch gegen Deutschland das Endspiel um den Achtelfinal-Einzug ansteht, könnte es für die beiden Freunde endlich zu einem Happyend kommen.

Ein Schlussstrich nach Monaten mit Höhen und etlichen Tiefen.

Vorsah ging von Durchbruch aus

Angefangen hat alles vor einem Jahr, im Sommer 2009. Zunächst sieht es für beide nach dem großen Durchbruch aus: Vorsah steht vor seinem zweiten Jahr in der Bundesliga, hofft auf das Vertrauen von Trainer Ralf Rangnick und einen Stammplatz bei der TSG. Und er freut sich auf seinen Landsmann Tagoe.

Der damals 22-jährige Tagoe wähnt sich bereits am Ziel seiner Träume: Schon immer wollte er nach Europa, in jenem Sommer bietet sich ihm endlich die lang ersehnte Chance: Angebote von Inter Mailand und dem FC Valencia liegen vor.

Doch statt diesen Top-Vereinen geht er wegen besserer Perspektiven nach Hoffenheim in die Provinz und bezieht mit Vorsah eine WG in Heidelberg. Anfang Juli unterschreibt er den Drei-Jahres-Vertrag und fliegt gleich anschließend in den Sudan, zu einem Einsatz der ghanaischen Nationalelf. Alles scheint perfekt - doch dann geht es bergab.

Karriere-Ende aufgrund eines Herzfehlers

Ende Juli diagnostiziert Prof. Hugo Kartus beim Routinecheck bei Tagoe eine Erkrankung des Herzmuskels. Konsequenz: Karriere-Ende. "Der Professor sagte mir, dass ich nicht mehr Fußball spielen dürfe", erinnert sich der Stürmer.

Tagoe fährt nach Hause, legt sich ins Bett, starrt an die Decke und versteht die Welt nicht mehr. Doch das Drama ist noch nicht zu Ende: Zwei Stunden später bittet Hoffenheim zum Gespräch - und kündigt ihm, fristlos.

Manager Jan Schindelmeiser rechtfertigte sich später: "Ich musste eine sofortige Entscheidung treffen, um die Interessen der GmbH zu wahren."

1,6 Millionen Euro Handgelder hätte die TSG einen Tag später dem Spieler und dessen Beratern überweisen müssen, nach der Diagnose wurde dies jedoch hinfällig.

Tagoe: "Ich war in der Hölle"

Was folgt, ist ein Hin und Her, ein Auf und Ab, kurz: ein Albtraum. Tagoe schaltet einen Anwalt ein, konsultiert mehrere Ärzte - und hält bald eine völlig andere Diagnose in den Händen: eine leichte Herzbeutelentzündung.

Meilenweit entfernt von einem Herzfehler. Erleichterung kommt auf, er ist nicht ernsthaft krank. Auch Hoffenheim beugt sich dem juristischen und öffentlichen Druck und nimmt die Kündigung im August zurück.

Doch bis Tagoe spielen darf, vergehen noch fünf Monate. Die TSG will sichergehen, keinen zweiten Fehler zu machen, braucht doppelte Netze. Eine ungewisse Zeit für Tagoe.

"So ein Jahr hat wohl niemand erlebt. Ich war in der Hölle, habe geweint, war leer und kaputt. Es gab Tage, an denen wollte ich nicht mal mehr aus dem Bett steigen", sagt er.

Stammplatz rückt in weite Ferne

Kraft gibt ihm seine Familie, sein Glaube an Gott - und eben sein Teamkollege und Mitbewohner Isaac Vorsah. Sie kochen gemeinsam, spielen Playstation und hören Musik. Obwohl die beiden Freunde so unterschiedlich sind, geben die Gespräche mit seinem Landsmann das nötige Durchhaltevermögen.

"Isaac ist während der schweren Zeit für mich wie ein Bruder geworden", sagt Tagoe. Vorsah ist für ihn da, doch auch bei ihm selbst läuft es nicht rund: Elfmal steht er in der Hinrunde auf dem Feld, spielt nur fünfmal die kompletten 90 Minuten durch und schießt kein Tor.

Trainer Rangnick sieht in Vorsah einen defensiven Mittelfeldspieler, er selbst spielt lieber in der Innenverteidigung, was zur Folge hatte, dass Vorsah immer wieder die Positionen wechseln musste. Einmal wird er sogar als Rechtsverteidiger aufgestellt und macht dabei eine unglückliche Figur.

Der so erhoffte Durchbruch wollte sich selbst im dritten Jahr nicht einstellen, der Stammplatz rückte in weite Ferne.

Afrika-Cup und Bundesliga-Debüt

Doch dann beginnt das neue Jahr. Und 2010 geht es für beide wieder bergauf: Vorsah erkämpft sich einen Stammplatz in Ghanas Nationalelf, übernimmt in dem jungen Team eine Führungsrolle. Im Januar steht der Afrika-Cup an und Ghana überzeugt. Sie schlagen Burkina Faso, Angola und Nigeria.

Erst im Finale scheitern sie knapp an Ägypten. Ghana feiert, Vorsah bekommt den nötigen Aufschwung für die Rückrunde der Bundesliga. Und auch bei Tagoe gibt es ein Licht am Ende des Tunnels: Monatelang hat er sich mit Lauftraining fit gehalten, jetzt darf er wieder spielen.

Mitte Januar steht er bei einem Testspiel gegen Offenbach auf dem Feld und feiert am 20. Spieltag sein Bundesliga-Debüt.

Innenbandriss und Tore

Endlich scheint sich alles zum Guten zu wenden. Doch der nächste Tiefschlag lässt nicht lange auf sich warten: Nach nur vier Einsätzen und gerade einmal 208 Minuten auf dem Feld zieht sich Vorsah einen Innenbandriss am Knie zu. Es ist erst der 24. Spieltag - doch die Saison ist für ihn gelaufen.

Diesmal muss Tagoe seinen Kumpel aufbauen. Er ist der Ruhepol, der fließend Englisch spricht, schneller Anschluss findet und reifer ist, obwohl er nur ein Jahr älter ist als der seit Montag 22-jährige Vorsah.

Doch auch bei Tagoe ist in der Rückrunde der Wurm drin: Nur ein einziges Mal steht er in der Startelf, wird aber nach miserabler Leistung in Dortmund in der 63. Minute ausgewechselt.

Nie spielt er länger als eine Halbzeit. Erst am vorletzten Spieltag in Frankfurt platzt der Knoten: In der 80. Minute schießt er für Hoffenheim sein erstes Tor, legt acht Minuten später den zweiten Treffer nach, Hoffenheim gewinnt 2:1.

Kraft tanken für Konkurrenzkampf

Ein versöhnliches Ende einer turbulenten Saison. Doch das i-Tüpfelchen ist der Einsatz bei der WM in Südafrika.

Mit ihren Auftritten ziehen Tagoe und Vorsah endlich den Schlussstrich unter ein hartes Jahr. Und tanken Kraft für die nächste Saison in Hoffenheim.

Sie werden es brauchen: Für Tagoe verschärft sich der ohnehin schon harte Konkurrenzkampf um die Stürmerpositionen. Neben Vedad Ibisevic, Chinedu Obasi und Demba Ba wartet nun auch Neuzugang Peniel Mlapa (1860 München) auf seine Chance.

Vertrag bis 2014 verlängert

Und bei Vorsah? Erst im Sommer 2009 lehnte Hoffenheim ein Fünf-Millionen-Euro-Angebot vom FC Everton ab. Zu erpicht war die TSG darauf, ihn zu halten. Vorsah ist vielseitig einsetzbar, hat eine immense physische Präsenz und ist einer der talentiertesten Abwehrspieler Afrikas.

Kürzlich verlängerte Hoffenheim seinen Vertrag bis 2014. Doch so richtig überzeugt hat er bislang nur in der Nationalelf.

Es wird nicht leichter für die beiden Freunde aus Ghana - aber dass sie schwere Zeiten durchstehen können, haben sie bereits bewiesen.

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