WM

Als der König der Löwen starb

Von Bärbel Mees
Samuel Eto'o und Rigobert Song trauern um Marc-Vivien Foe
© Getty

32 Teams nehmen an der Weltmeisterschaft in Südafrika teil. Jedes Teilnehmerland hat seine eigene Geschichte zu erzählen. SPOX greift aktuelle Entwicklungen auf, lässt Protagonisten zu Wort kommen oder beleuchtet historische Ereignisse. Heute: Kamerun.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Der 26. Juni 2003 ist ein Donnerstag. Im Stade Gerland de Lyon spielt Kamerun das Confed-Cup-Halbfinale gegen Kolumbien. Kamerun führt 1:0. Es ist die 71. Spielminute, als Marc-Vivien Foe umkippt. Nahe der Mittellinie. Einfach so.

Zunächst bleibt es unbemerkt, denn das Spielgeschehen findet im Strafraum statt. Schiedsrichter Markus Merk wundert sich lediglich über den kamerunischen Arzt, der plötzlich aufs Spielfeld stürmt und schnauzt ihn an: "Was machen Sie denn hier? Los, runter vom Feld." Erst da sieht er Foe am Boden liegen, bewegungslos, nicht ansprechbar.

Später wird man eine myokardiale Hypertrophie diagnostizieren, aber noch begreift keiner die Tragweite und Dramatik der Situation. Foe wird vom Spielfeld getragen. Erst jetzt kommt Bewegung in den Trainerstab. Nationalcoach Winnie Schäfer läuft zu Foe, streichelt ihm väterlich über den Kopf, sagt: "Marco, das schaffst du schon".

Doch er schafft es nicht. Während das Spiel nach einer sechsminütigen Unterbrechung wieder angepfiffen wird und Kamerun es zum ersten Mal in seiner Geschichte in ein FIFA-Endspiel schafft, stirbt Foe in den Katakomben. Die Ursache: Eine Erbkrankheit, mit der er nie hätte Leistungssport betreiben dürfen.

Internationale Klubs werden aufmerksam

Aber ein Leben ohne Fußball - das wäre bei einem wie Foe nur schwer vorstellbar gewesen.

1975 wird er im kamerunischen Nkolo geboren. Als Jugendlicher kickt er für Union Garoua, wechselt aber schon bald zu einem der größten Vereine in Kamerun, zu Canon Yaounde.

Mit gerademal 18 Jahren wird Foe 1993 in die Nationalmannschaft berufen und nimmt ein Jahr später an der WM in den USA teil. Ein großer Moment für den jungen Mittelfeldspieler, doch Kamerun schafft es nicht über die Vorrunde hinaus: Zu sehr haben finanzielle Querelen die Mannschaft aus dem Tritt gebracht. Aber die drei Auftritte haben gereicht, um internationale Top-Klubs auf Foe aufmerksam zu machen.

Ein Angebot von AJ Auxerre schlägt er aus, unterschreibt stattdessen beim RC Lens. 1998 holt er mit den Nordfranzosen den Meistertitel und bringt sich aufgrund seiner Leistungen bei Manchester City ins Gespräch.

Beinbruch und Malaria

Doch ein Beinbruch zerstört die Hoffnungen auf einen Wechsel in die Premier League und einen Einsatz bei der WM in Frankreich, das inzwischen seine zweite Heimat geworden ist.

Erst ein Jahr später klappt es: Er wechselt auf die Insel, aber nicht zu City, sondern zu West Ham, das tief in die Tasche greift und für ihn 4,8 Millionen Euro auf den Tisch legt, die bis dato höchste Ablösesumme der Vereinsgeschichte.

38 Mal steht er in der folgenden Saison für die Hammers auf dem Feld und erzielt ein Tor - aber glücklich ist er in England nicht. Ihn zieht es wieder zurück nach Frankreich. Doch zunächst läuft es auch bei Olympique Lyon nicht rund: Den Großteil der Saison verpasst er aufgrund einer Malaria-Erkrankung.

Die lange Pause fällt ihm schwer, doch rechtzeitig zu den Höhepunkten ist er wieder fit. 2001 holt er den französischen Pokal und setzt ein Jahr später mit dem Meistertitel noch eins oben drauf.

Doch was ihm fehlt, sind die Erfolge mit der Nationalmannschaft. Foe ist Kameruner durch und durch - eine Passion, die ihm später zum Verhängnis werden wird.

Dritte WM - wieder nichts

Doch zunächst steht die WM 2002 in Japan und Südkorea an: Seine zweite Teilnahme an einer Weltmeisterschaft, und das Team scheint so gut wie nie zuvor. Doch wieder einmal macht die kamerunische Politik einen Strich durch die Rechnung - es gibt Probleme mit den Prämien für die Spieler.

Die weigern sich deshalb, nach Japan zu fliegen. "Wenn wir jetzt nachgeben, wird sich in unserem Land nie etwas verändern. Wir wollen, dass die nächste Generation es mal besser hat als wir", erklärt Foe den Grund des Protests.

Zwar kann Coach Winnie Schäfer das Team noch umstimmen, doch die Chance zur Akklimatisierung ist dahin. Zu knapp treffen die Löwen in Japan ein - und scheitern abermals in der Vorrunde: Im letzten Gruppenspiel verlieren sie 0:2 gegen Deutschland.

Schäfer tut die verpatzte WM noch heute weh. "Die Jungs waren so gut. Wir haben alles geschlagen, sind anschließend im Afrika-Cup ohne Gegentor bis ins Finale gekommen. Wir hatten eine Supertruppe. Aber es hat nicht sollen sein," sagt Schäfer im Gespräch mit SPOX.

In der Form seines Lebens

Zurück in Frankreich, wird Foe von Lyon für eine Saison zu Manchester City ausgeliehen. Von Beginn an ist er ein fester Bestandteil der Mannschaft und spielt sich in die Herzen der Fans.

"Marco war nicht so geschmeidig wie Eto'o. Aber er war aufgrund seiner psychischen Stärke ein Führungsspieler, er hat Spiele umgebogen und vorne noch mal was bewegt. Er war ein Leader, mein verlängerter Arm in der Mannschaft", beschreibt Schäfer lächelnd einen Foe in der Form seines Lebens. Und fügt an: "Auch als Mensch hatte er viele Facetten und seinen Kopfhörer mit der Musik hat er nie abgenommen."

Für Manchester steht Foe an 35 Spieltagen auf dem Feld - immer in der Startelf - und erzielt neun Tore. Er ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Bis zu jenem Donnerstag im Juni.

Die 71. Minute

Schon Tage zuvor quält ihn eine Magen-Darm-Erkrankung. Er pausiert gegen die USA, steht am Tag vor dem Halbfinale wieder im Training und fühlt sich gut. Auch die Teamärzte und ein extra angereister FIFA-Arzt geben grünes Licht.

Dann kommt das tragische Halbfinale. Noch in der Halbzeitpause versichert sich Schäfer bei Foe, dass alles in Ordnung ist. Gut 20 Minuten sind bereits gespielt, als Foes Lauftempo immer geringer wird.

Schäfer macht das Zeichen zur Auswechslung, aber Foe will nicht. Er möchte sichergehen, dass es Kamerun ins Finale schafft.

Er hebt den Daumen, signalisiert: Es geht noch, Trainer. Wenige Augenblicke später kollabiert er.

Schäfer glaubt noch heute, dass Foe sich für sein Land geopfert hat: "Nach den verpatzten Weltmeisterschaften war jetzt für ihn persönlich und sein Land endlich die Chance da, ein Endspiel zu erreichen. Wir haben sogar Brasilien und die Türkei geschlagen. Das war natürlich ein Highlight für diese Spieler. Vielleicht hat er sich gedacht: 'Das schaffe ich noch'."

Die Welt steht still

Er liegt falsch. Erst nach dem Spiel erfährt die Mannschaft mitten im Jubel über den Sieg von seinem Tod. In dem Moment steht die Welt einen Augenblick lang still. Das Team ist wie betäubt, Kapitän Rigobert Song weint, Schäfer will es nicht glauben.

Er muss es mit eigenen Augen sehen, geht in den Sanitätsraum, streichelt Foe, der auf einem Tisch aufgebahrt ist, über den Fuß - und muss den Raum verlassen. Schäfer hält den Schmerz nicht aus. "Das war so schlimm, das werde ich nie vergessen", sagt er.

Video: In Memorable of Marc-Vivien Foe

Die Mannschaft steht unter Schock, will das Finale nicht spielen. Auch Sepp Blatter, der am nächsten Tag ins Team-Hotel nach St. Etienne reist, um sein Beileid auszusprechen, kann Kameruns Elf nicht umstimmen.

Erst Foes Witwe Marie-Luise hat Erfolg. Sie bittet das Team, im Endspiel aufzulaufen. Ihr Mann hätte es so gewollt, sagt sie. Die Entscheidung ist gefallen, doch die Stimmung beim anschließenden Training ist katastrophal.

Korrekt, charakterstark - und stur

"Rigobert Song kam dann zu mir und sagte: 'Coach, gib mir fünf Minuten.' Er hat die Mannschaft zu sich geholt und als das Team wieder kam, waren sie wie ausgewechselt. Ich habe nie erfahren, was er zu ihnen gesagt hat", erzählt Schäfer.

Aber es wirkt: Beim Finale gegen Frankreich zwei Tage später stemmen sich die Kameruner mit der Kraft der Löwen dem Weltmeister von 1998 entgegen. Erst in der Verlängerung gelingt Thierry Henry das Golden Goal. "Mit ein bisschen Glück", sagt Schäfer, "hätten wir das Spiel damals gewinnen können."

"Man nimmt ja immer Roger Milla als Kameruns Fußballer, aber für mich ist es Marco Foe. Nicht weil er gestorben ist, sondern wie er gelebt und gearbeitet und die Mannschaft geführt hat. Es gab in Kamerun schöne Momente, es gab traurige Momente, es gab lustige Momente und solche Sachen wie mit Marco. Ich werde das nie vergessen", sagt Schäfer.

Und fügt an: "Marco war ein Supertyp. Ich habe alle kennengelernt, die man kennenlernen konnte, aber ich habe selten einen so korrekten und charakterstarken Menschen gekannt."

Der komplette WM-Spielplan im Überblick