WM

Wörns: "Ich fand die Rote Karte übertrieben"

Von Interview: Jochen Tittmar
Nach diesem Foul an Davor Suker sah Christian Wörns (r.) die Rote Karte im Spiel gegen Kroatien
© Getty

Seit 1954 war die deutsche Nationalmannschaft bei Weltmeisterschaften immer unter den besten acht Teams der Welt - eine einmalige Erfolgsstory. In der Rubrik "Damals in..." lässt SPOX zu jeder WM einen deutschen Nationalspieler von seinen Erlebnissen während des WM-Turniers erzählen. Diesmal: Christian Wörns über die WM 1998 in Frankreich.

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Es ist der 4. Juli 1998. Nach einem mühevollen Weiterkommen in der Gruppenphase und einem Zittersieg über Mexiko im Achtelfinale tritt die deutsche Nationalmannschaft in der Runde der letzten Acht gegen Kroatien an.

Deutschland liefert sein bis dato bestes Spiel ab - bis die 40. Spielminute das Ausscheiden der Truppe von Berti Vogts besiegelt. Christian Wörns sieht nach einem Foulspiel am kroatischen Stürmer Davor Suker die Rote Karte.

Die WM 1998 in Frankreich im Überblick

Nur fünf Minuten später geht Kroatien in Führung und spielt das deutsche Team im zweiten Durchgang phasenweise an die Wand. Deutschland verliert mit 0:3 und scheidet aus.

SPOX sprach mit Christian Wörns (37) über die entscheidende Szene, den Streit zwischen Lothar Matthäus und Jürgen Klinsmann und eine Aussprache während des Turniers.

SPOX: Herr Wörns, Deutschlands Abschneiden bei der WM 1998 war ja nicht so toll. Welche Erinnerungen haben Sie an das Turnier?

Christian Wörns: Wir haben die Vorrunde zwar mit sieben Punkten abgeschlossen, aber die Spiele gegen die USA und den Iran waren richtig schwere Arbeitssiege. Auch gegen Jugoslawien haben wir sehr großes Glück gehabt. Im Achtelfinale gegen Mexiko war's ähnlich. Spielerisch war das alles eher schlecht.

SPOX: Kann man so sagen. Hat man das während des Turniers auch so gesehen wie jetzt mit zwölf Jahren Abstand?

Wörns: Wir waren natürlich selbst alle mit den Leistungen nicht zufrieden. Es gab auch während des Turniers eine Aussprache innerhalb der Mannschaft, ohne die Trainer. Da hat man dann dem einen oder anderen mal die Meinung gegeigt. Über die Taktik haben wir weniger gesprochen, da die von Berti Vogts vorgegeben wurde.

SPOX: Im Nachhinein betrachtet hat die Aussprache wenig gebracht.

Wörns: Das bringt meistens wenig (lacht). Eine Systemänderung während eines Turniers vorzunehmen, ist immer schwer. Ich weiß auch nicht, ob der Mannschaftsrat nach der Aussprache zum Trainerstab gegangen ist. Ich war zwar Stammspieler, aber es gab gestandenere Spieler als mich: Lothar Matthäus, Jürgen Klinsmann oder Jürgen Kohler. Die haben den Ton angegeben.

SPOX: Im Vorfeld schaffte es Vogts, mit Olaf Thon, Kohler und Matthäus drei alte Recken zum Comeback zu überreden. Wie wurde das von der Mannschaft aufgenommen?

Wörns: Früher lief das eben anders als heutzutage. Da hat man eher auf Erfahrung gesetzt. Ich denke aber schon, dass die älteren Spieler allesamt in einer guten Verfassung waren. Sonst hätte Vogts sie auch nicht mitgenommen. Damals ging es eben nach Leistung und weniger nach dem Alter. Dass ein Spieler, der im Verein nicht gespielt hat, zur Nationalmannschaft fahren durfte, gab es damals überhaupt nicht. Das ist heute ja gang und gäbe.

SPOX: Junge Spieler gab es aber damals auch schon.

Wörns: Es kam aber nicht viel nach und es hat sich auch niemand aufgedrängt. Wir hatten ein großes Nachwuchsproblem auf allen Positionen. Sonst hätte man sicherlich früher verjüngt. Das hat sich seitdem sehr verbessert.

SPOX: Wissen Sie denn noch, mit wem Sie auf einem Zimmer lagen?

Wörns: Wir hatten Einzelzimmer (lacht). Jeder hat ja auf gewisse Art und Weise seinen eigenen Tagesablauf. Man geht aber zu anderen Spielern aufs Zimmer und trifft sich dort. Wir waren auch oft bei Freundin, Frau oder Familie, wenn man mal Ausgang hatte. Beim Essen saß ich viel mit Kohler, Stefan Reuter, Steffen Freund und Jörg Heinrich zusammen.

SPOX: Ausbrüche aus dem Teamhotel oder Saufgelage waren nicht drin?

Wörns: Keine Chance. Wir standen unter totaler Beobachtung.

SPOX: Die Feindschaft zwischen Matthäus und Klinsmann war allen bekannt. Das war sicherlich nicht förderlich für die Stimmung im Team?

Wörns: Das interessierte außer den beiden niemanden. Darauf kann man als Einzelner auch keine Rücksicht nehmen. Auf dem Spielfeld gab es keine Animositäten, dazu waren beide Profis genug. Wir hatten ja alle ein gemeinsames Ziel vor Augen: so weit wie möglich zu kommen.

SPOX: Vor dem Jugoslawien-Spiel haben deutsche Hooligans den Polizisten Daniel Nivel beinahe totgeschlagen. Wie und wann wurde diese Nachricht in der Mannschaft aufgenommen?

Wörns: Wir haben das relativ zeitnah erfahren, das weiß ich noch. Ich glaube, dass Vogts uns die Nachricht übermittelt hat. Wir waren alle geschockt. Das war dann natürlich auch ein großes Thema innerhalb des Teams. Solche Idioten.

SPOX: Nach der Pleite gegen Kroatien hat sich Vogts nicht gerade wie ein Gentlemen verhalten und unterstellte dem Schiedsrichter Rune Pedersen, dass er die Partie verpfiffen habe.

Wörns: Man ist natürlich auch unheimlich emotional aufgeladen. Jeder hadert mit sich selbst. Vogts ist ein ehrgeiziger Trainer und auch nur ein Mensch. Da platzt einem eben mal die Hutschnur, wenn man ausscheidet.

SPOX: Kommen wir zu Ihrer Roten Karte. Können Sie die entscheidenden Sekunden vor dem Platzverweis noch einmal für uns rekapitulieren?

Wörns: Es kam ein langer Ball auf Matthäus, der ihn zu mir zurück spielen wollte. Sein Pass war aber deutlich zu kurz. Ich wollte das Ding dann einfach nur wegbolzen. Ich habe gemerkt, dass ich einen Tick zu spät komme und wollte noch etwas zurückziehen. Auch wenn es dynamisch aussah, habe ich ihn nur leicht getroffen. Was Davor Suker daraus gemacht hat, war natürlich großes Kino. Das hat den Schiedsrichter schwer beeindruckt.

SPOX: Dass es ein Foul war haben Sie aber schon kurz danach bemerkt?

Wörns: Klar, aber ich fand die Rote Karte übertrieben. Ich denke nicht, dass er Schmerzen gehabt hat. Ich dachte halt, ich bekomme Gelb und fertig. Ich war sehr überrascht.

SPOX: Was dachten Sie, als Sie die andere Farbe gesehen haben?

Wörns: Ich war fix und fertig. Es war ein K.o.-Spiel und mit zehn gegen elf war das quasi schon spielentscheidend. Ich saß danach in der Kabine und habe mir das Spiel angeguckt.

SPOX: Haben Sie sich jemals über das schlampige Abspiel von Matthäus aufgeregt?

Wörns: Nein, so etwas passiert halt. Ich habe mich mehr über die tolle schauspielerische Einlage von Suker geärgert.

SPOX: Suker sagte, der Schiri hätte Ihnen drei Rote Karten geben müssen...

Wörns: Als er bei 1860 München gespielt hat, ließ er einmal durchblicken, dass es nicht so schlimm war. Wenn sich einer drei- oder viermal überschlägt, kann man davon ausgehen, dass es Schauspielerei ist.

SPOX: Suker meinte 2008, dass Deutschland Kroatien dankbar für die Niederlage sein sollte, da es danach wieder aufwärts ging. Wie hat er das aus Ihrer Sicht gemeint?

Wörns: Das frage ich mich auch. Wenn sich jemand über Länder äußert, über die er wenig Bescheid weiß, dann ist das immer fragwürdig. Es haben nach dem Turnier viele Spieler aus Altersgründen aufgehört. Man hat versucht, den Kader etwas zu verjüngen. Strukturell hat sich aber beispielsweise überhaupt nichts geändert.

SPOX: Heute wird unterstellt, dass andere Teams schon mit Raumdeckung spielten und Deutschland auf den altbackenen Libero gesetzt hat.

Wörns: 1996 ist man mit dem System mit Libero noch Europameister geworden. Da hat man die Teams, die auf Viererkette gesetzt haben, geschlagen. Das war einfach unser System. Vielleicht müssen wir Spieler uns an die eigene Nase fassen, dass wir dieses System nicht so mit Leben gefüllt haben, wie sich das der Trainer gewünscht hat. Vogts musste oft als Sündenbock herhalten, weil er auch nicht immer der Angenehmste war. Er hat aber immer alles als Trainer gegeben.

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