WM

Ohne Nebengeräusche

Von Für SPOX in Helsinki: Stefan Rommel
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© Getty

Auch gegen Finnland (19.15 Uhr im SPOX-TICKER) treibt Bundestrainer Löw den Wandel im DFB-Team voran - und beweist damit mehr Mut als die gesamte europäische  Konkurrenz.

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David Beckham saß bedröppelt auf der harten Auswechselbank im Stadion Montjuic in Barcelona.

Im Spiel gegen den Zwergen-Verband hockte Becks satte 80 Minuten draußen und sah sich die schöne Umgebung und ein laues Spiel der Three Lions an.

Zehn Minuten vor dem Ende schickte ihn Fabio Capello dann doch noch aufs Feld. Immerhin.

Kaum neue Gesichter

Geht man aber davon aus, dass Beckham schon vor Jahren das Metier gewechselt hat und seitdem nicht mehr Fußballprofi in seiner Vita steht, sondern Glamour Boy, kann man die späte Einwechslung auch als Gnadenbrot sehen für einen einstigen Welt-Star.

Der Verzicht auf Beckham war die kleine, kleine Ausnahme an einem ersten WM-Qualfikations-Spieltag in Europa, der zwar einige überraschende Ergebnisse, aber doch so viele alte Gesichter präsentierte.

Vertrauen in das Altgediente

Kein Trainer einer großen Fußball-Nation will sich auf ein Experiment mit vielen neuen Spielern einlassen. Italien brachte Neuling Alessandro Gamberini, ansonsten vertraute Weltmeister-Trainer Marcelo Lippi seiner Weltmeister-Truppe.

Europameister Spanien baute lediglich Shooting Star Diego Capel vom FC Sevilla auf der linken Seite ein, für Portugal bekamen Vitorino Antunes und Carlos Martins eine Chance und Frankreichs Wackelkandidat Raymond Domenech brachte Torhüter Steve Mandanda und Rückkehrer Philippe Mexes.

Und sonst? Alles beim Alten. Bei der europäischen Konkurrenz halten immer noch die alten - oder besser: erfahrenen - Haudegen die Knochen hin.

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Deutschland wechselt durch

Deutschland spazierte da wieder einmal aus der Reihe. Verletzungen, Rücktritte oder Formtiefs erzwangen personelle Veränderungen. Nicht eine oder zwei, sondern sieben.

Von den Arrivierten standen lediglich Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Lukas Podolski und Miroslav Klose auf dem Platz.

Auf elf Spieler aufgestockt wurde die Mannschaft mit Spielern aus der zweiten (Thomas Hitzlsperger, Clemens Fritz) oder aus der vermeintlichen dritten Reihe (Heiko Westermann, Serdar Tasci).

Auch im Spiel am Mittwochabend gegen Finnland werden die Altgedienten fehlen. Deutschland tritt an ohne Michael Ballack, Torsten Frings, Bernd Schneider, Arne Friedrich, Per Mertesacker (alle verletzt), Christoph Metzelder (außer Form) und den zurückgetretenen Jens Lehmann.

Im DFB-Tross wird das Wort Umbruch zwar strikt vermieden, in Wirklichkeit lässt sich ein Start in eine neue Periode aber nicht mehr leugnen.

Notwendige Veränderungen verschlafen

Es gab Zeiten beim Deutschen Fußball-Bund, da war alles klar und überschaubar strukturiert und die Dinge folgten einem festgezurrten Plan. In diesen Zeiten war der Umbruch der größte Feind der deutschen Nationalmannschaft.

In den 90er Jahren wurde ein ganzes Jahrzehnt lieber ignorant verschlafen, anstatt nötige Strukturen zu schaffen, die den notwendigen Veränderungen einen reibungslosen Weg hätten ebnen können.

Auch Joachim Löw wird wie jeder andere Bundestrainer an Ergebnissen und Titeln gemessen. Das ist legitim und für Löw auch kein Problem.

Immerhin qualifizierte sich seine Mannschaft ohne größere Schwierigkeiten für die letzte EM und wurde bei den Titelkämpfen - dem "härtesten Turnier aller Zeiten", wie Löw davor immer proklamierte - Zweiter.

"Es bildet sich eine neue Hierarchie"

Eine der beachtlichsten Leistungen des 48-Jährigen ist es aber, den Spagat zu schaffen zwischen einer notwendigen Punkteausbeute und dem Einbauen und Fördern neuer Persönlichkeiten innerhalb der Mannschaft.

"Wenn zwei, drei Leute ausfallen, bildet sich eine neue Hierarchie“, sagt Miroslav Klose, selbst einer der erfahrenen und mit 83 Länderspielen dienstältester Akteur im DFB-Tross. "Und mit Schweinsteiger, Lahm und Hitzlsperger sind Leute da, die was zu sagen haben."

Löws Weitblick

Als Deutschland im März 2007 in Duisburg in einem Freundschaftsspiel auf Dänemark traf, machte Löw daraus einen großen Testlauf und warf nur vier Tage nach einem der besten Spiele unter seiner Ägide, dem 2:1-Sieg gegen Tschechien in Prag, nur Spieler aus der zweiten oder dritten Reihe ins Rennen.

Das Murren und Gezeter war groß, die Zuschauer waren aus ihrer Sicht zu recht ein wenig erbost - schließlich ist so ein Länderspiel eine kostspielige Angelegenheit und findet auch nicht alle Tage in einer Stadt wie Duisburg statt - aber viele Erkenntnisse dieser unterschätzten Partie hallen bis heute nachhaltig nach.

Robert Enke feierte damals sein Länderspiel-Debüt, Clemens Fritz, Simon Rolfes, Thomas Hitzlsperger und Piotr Trochowski durften ebenfalls von Beginn an ran. Alle fünf werden auch 18 Monate später gegen Finnland auf dem Platz stehen.

Ohne störende Nebengeräusche

Löw hat es geschafft, den Wandel fließend zu verwalten und er bekommt ihn ganz ohne störende Nebengeräusche hin. Im Schatten des leidigen Ballack-Bierhoffs-Konflikts spielte sich die deutsche Elf gegen Liechtenstein ein, mit dem Finnland-Spiel steht jetzt eine erste große Bewährungsprobe auf dem Plan.

"Ich bin mir darüber im Klaren, dass wir immer mal wieder mit Hiobsbotschaften rechnen müssen. Also gilt es, darauf zu achten, dass wir eine Mannschaft formen, die nicht nur spielerisch überzeugt." Sondern in der sich auch Spieler zu Persönlichkeiten entwickeln.

Trochowski als Prototyp

Als Prototyp der Löw'schen Evolutionstheorie darf Piotr Trochowski gelten. Der Hamburger spielte eine durchwachsene letzte Saison und Löw erntete nicht wenig Unverständnis dafür, dass er den Pendler zwischen Start-Elf und Ersatzbank beim HSV überhaupt mit zur EM nahm.

Trochowski dürfte sich mittlerweile zwar auch Vize-Europameister nennen - so es den Titel denn gäbe - dazu beigetragen hat er aber nicht. Keine einzige Minute stand Troche auf dem Platz.

In den Anfangsmomenten der Post-EM-Ära wächst er aber plötzlich zu einer wichtigen Figur.

"Wenn wir jetzt im Training Alt gegen Jung spielen, muss ich jetzt immer schon zum älteren Team. Mein Anspruch ist es immer gewesen, ein Leader zu sein. Manchmal gab es da Rückschläge", gibt Trochowski zu. Jetzt will er sich aber endgültig durchbeißen. "Der Bundestrainer hat jetzt zu mir gesagt, dass mehr von mir kommen muss. Ich bin bereit."

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