WM

Scolari und das Ende des Zaubers

Von Michael Stricz
"Dir geb ich!" Luiz Felipe Scolari fordert die Abkehr vom Zauber, der Erfolg gibt ihm Recht
© getty

Brasilien liefert im Confed-Cup-Finale gegen Spanien eine beeindruckende Leistung ab und gehört auf einen Schlag zu den Topfavoriten für die WM 2014. Pressing und Disziplin der Selecao lassen interessante Parallelen zu. Von einem Machtwechsel zu sprechen, ist dennoch verfrüht.

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Luiz Felipe Scolari war nicht zum Spaßen zu Mute: Während sämtliche brasilianischen Bankspieler in der 91. Minute bereits jubelnd vor der Bank auf- und abhüpften und auf den Abpfiff warteten, stand der Nationaltrainer Brasiliens wutschnaubend und wild gestikulierend an der Seitenlinie. Der eingewechselte Jo hatte soeben durch einen unnötigen Ballverlust einen vielversprechenden Konter der Spanier eingeleitet und den Puls seines Trainers damit in die Höhe getrieben.

Scolaris Reaktion mag ob des Spielstandes übertrieben erscheinen, sie verdeutlicht jedoch exemplarisch, was der Trainer von seinen Spielern in seiner zweiten Amtszeit sehen will: Ernsthaftigkeit und Konzentration bis zum Ende. Auch beim Stande von 3:0.

Seine Mannschaft demonstrierte durch ihren überlegenen Triumph im Confed-Cup-Finale auf beeindruckende Art und Weise, dass sie die Worte ihres Trainers verstanden hat. Die Europäisierung des Samba-Fußballs fand gegen Welt-und Europameister Spanien ihren vorläufigen Höhepunkt.

Entsprechend blickte Scolari nach dem Schlusspfiff bereits wieder in die Zukunft: "Das konnte keiner erahnen. Unser Ziel ist ein viel schwierigeres Turnier. Aber wir haben einen Weg gefunden, den wir jetzt weitergehen werden - und dies mit viel Selbstvertrauen."

Brasilien überrennt müde Spanier

Den Spaniern muss das Finale nach dem Kraftakt gegen Italien, den sie erst im Elfmeterschießen für sich entscheiden konnten, wie ein schlechter Witz vorgekommen sein. Brasilien überrannte die überforderte Mannschaft von Vicente del Bosque in den ersten Minuten förmlich.

Die Führung bereits nach 92 Sekunden war fast schon folgerichtig und hatte Signalwirkung. Angetrieben durch die frühe Führung war Brasilien nicht mehr zu bremsen. Wie eine Horde Bluthunde jagten sie den Welt-und Europameister, wo immer die Spanier in Ballbesitz waren und ließen gleichzeitig das halbherzig ausgeführte Gegenpressing der Iberer technisch hochwertig ins Leere laufen.

Die Spanier wirkten schnell entnervt von der mal brachialen, mal filigranen Art der Majestätsbeleidigung. Fernando Torres und Xavi fanden bis auf wenige Ausnahmen nicht statt. Die Viererkette, allen voran Alvaro Arbeloa, wirkte müde und überfordert mit dem glänzend aufgelegten Offensivduo Neymar und Fred (Zum Porträt: Fred - Das Schattenkind der Sonnennation). Das brasilianische Publikum im Druckkessel Maracana, das die Spanier durch ein 120-Dezibel-Pfeifkonzert bei jedem Ballkontakt zusätzlich unter Druck setzte, tat sein Übriges.

"Wir müssen uns eingestehen, dass sie vieles besser gemacht haben als wir", erkannte Andres Iniesta die Überlegenheit der Brasilianer an.

Ein Hauch von Champions League

Parallelen zu den beiden wohl größten Vereinsspielen der letzten Saison ergeben sich fast zwangsläufig: Wie bei den Spielen zwischen Bayern und dem FC Barcelona zeigte sich, dass ein früher Rückstand Gift für das Spiel der Spanier ist. Das Spiel demonstrierte gleichzeitig, wie das Champions-League-Finale hätte laufen können, wenn die Dortmunder ihr Power-Play zu Beginn in Tore umgemünzt hätten.

Dass es jedoch ausgerechnet die Brasilianer sind, die die Kunst der Spanier mit ihrem Gegenpressing entwerten, kommt überraschend.

Die Gründe dafür sind vielfältig: Den Spielverlauf hätten sich die Brasilianer nicht besser erträumen können. Die Tore fielen immer zum vielzitierten psychologisch wichtigen Zeitpunkt: Fred traf jeweils zu Beginn der beiden Halbzeiten, als Spanien noch unsortiert war, Neymars 2:0 kurz vor der Pause setzte die Spanier vor dem zweiten Durchgang bereits stark unter Druck.

Nachtisch für Spanien, Hauptgang für Brasilien

Die Iberer hatten zusätzlich eine Verlängergung gegen Italien in den Knochen und dazu einen Tag weniger Regenerationszeit als die Brasilianer. Die ungewohnt hohe Luftfeuchtigkeit machte Iniesta und Co. bereits im gesamten Turnierverlauf schwer zu schaffen.

Für Brasilien war es außerdem das wichtigste Spiel der letzten drei Jahre und bis zum Beginn der WM im kommenden Jahr. Auch wenn die Spanier sich in Interviews gegenteilig äußerten, der Confed Cup hatte für die Brasilianer eine sehr viel höhere Bedeutung.

Auch deswegen sollte man bei der Interpretation des Spiels nicht voreilig sein. Ebenso wenig wie der Sieg des FC Bayern gegen Barcelona eine neue Ära im Vereinsfußball bedeuten muss, leitet diese Niederlage der Spanier deren Niedergang ein.

Diesen Eindruck bestätigte auch Superstar Neymar, der als bester Spieler des Turniers ausgezeichnet wurde: "Der Titel war sehr wichtig für uns. Ein Finale wie dieses zu Hause zu bestreiten ist ein unglaubliches Gefühl."

Niederlage statt Niedergang

Spanien wird aufgrund seiner starken Nachwuchsmannschaften auf Jahre hinaus zwar nicht unschlagbar, aber stets ein Titelkandidat bei großen Turnieren sein. Die Dominanz, mit der die spanische U 21 in Israel Europameister wurde, ist dafür ein Indiz.

Bis zur WM werden die Iberer aber an einem Plan B arbeiten müssen - und das werden sie sicherlich tun. Der Confed Cup ist ein Vorbereitungsturnier und die Spanier sind jetzt auf Brasilien vorbereitet. "Brasilien hat uns eine klare Botschaft für die WM im nächsten Jahr geschickt", sagte auch Gerard Pique.

Die Selecao hat aber eine Blaupause geliefert, wie man dem Tiki Taka Herr wird. Und noch etwas ist im Maracana passiert: Brasilien ist mit einem Schlag zu einem der Topfavoriten für die WM geworden. Die Mannschaft glaubt an ihre Vorbestimmung und ist entschlossen, den Titel im eigenen Land zu holen, das hat sie bewiesen.

Parreira: "Lieber Titel statt Kunst"

Woran andere Trainer in Brasilien stets gescheitert sind, hat Scolari gemeinsam mit Sportdirektor Carlos Alberta Parreira geschafft: Die immer noch hervorragenden individuellen Fähigkeiten der Spieler durch mannschaftliche Disziplin und Ernsthaftigkeit zu ergänzen. Ein Drahtseilakt, der sich in seiner Kaderzusammenstellung widerspiegelt. Das Motto: Weniger Zauber, mehr Erfolg. Nicht umsonst sagte Parreira: "Nicht an die Kunst werden sich die Leute erinnern, sondern an die Titel."

Brasilien hat den Confed Cup gewonnen, nicht mehr, aber gewiss auch nicht weniger. Die Art und Weise war spektakulär und verdient große Anerkennung, doch die Öffentlichkeit und vor allem die Menschen in Brasilien sollten sich den Gefallen tun und die Euphorie im Zaum halten. Wie das geht, weiß Scolari am besten.

Brasilien - Spanien: Daten und Fakten zum Spiel