Schule des Lebens

Von Stefan Rommel
"Wir produzieren nicht - wir bilden aus", lautet das Motto beim FC Kopenhagen
© fc kopenhagen

Ein Blick in die Kristallkugel: Übernehmen Retortenklubs den Fußball? Wird die Bundesliga zum globalen Phänomen? Und wie werden die Superstars von übermorgen entdeckt? In der neuesten Ausgabe der Themenwoche beschäftigt sich SPOX mit der Zukunft des Fußballs - und das in verschiedensten Facetten. Diesmal geht es um Talentförderung und Ausbildung im Ausland anhand der "School of Excellence" des FC Kopenhagen.

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Der Name ist Programm, und er ist Ansporn und ein Versprechen zugleich. "School of Excellence" hat der FC Kopenhagen seine Ausbildungsstätte genannt. Das hört sich ein bisschen überheblich an oder zumindest verwegen. Oder wie der krampfhafte Versuch, ein wenig Aufmerksamkeit für eine Marke zu erhaschen.

In Kopenhagen ist nun alles ein wenig anders. Kleiner, familiärer, irgendwie aber auch rigider. Die "School of Excellence" ist auch als solche zu verstehen, ohne dabei prahlen zu wollen. Die nackten Zahlen können sich jedenfalls sehen lassen.

In den letzten fünf Jahren hat der FCK über ein Dutzend eigener Spieler bei den Profis integrieren können, derzeit stehen acht Eigengewächse in der ersten Mannschaft unter Vertrag. Die Einrichtung führt ihren Titel also wohl zu Recht.

DNA und Wir-Gefühl

"Unser Ziel ist es, eigene Spieler so auszubilden, dass sie später als Profis beim FC Kopenhagen nicht nur Fußball spielen. Wenn wir sie ausbilden, pflanzen wir ihnen auch unsere DNA ein. Sie repräsentieren unsere Werte und Normen, weil sie das Produkt unserer Ausbildung und Erziehung sind. Dieses Wir-Gefühl ist kostbar, deshalb arbeiten wir jeden Tag an seinem Erhalt. Natürlich werden wir immer auch Spieler kaufen. Das Fundament der ersten Mannschaft soll aber immer aus unseren eigenen Spielern bestehen", erklärt Michael Mio Nielsen den Grundgedanken hinter dem Ausbildungskonzept.

Mio Nielsen im SPOX-Interview: "Neymar oder Götze absolute Ausnahmen"

In Dänemarks erfolgreichstem Verein der jüngeren Vergangenheit kümmern sich 15 Vollzeit-Trainer um die Ausbildung von vier Jahrgangsstufen, dazu kommen rund zwei Dutzend Betreuer, Athletiktrainer, Physiotherapeuten und Sportpsychologen. Geführt wird der gesamte Apparat von Michael Elmer Dahl Nielsen, den jeder nur Mio nennt und seinem Assistenten Sune Smith-Nielsen.

Mio Nielsen ist seit über 20 Jahren im Klub und seit rund einem Jahrzehnt in verantwortlicher Position im Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) aktiv. Er gibt den Rhythmus vor, den die Mannschaften und ihre Trainer gehen müssen und Nielsen, der mehr als 400 Spiele als Profi auf dem Buckel hat, führt ein straffes, aber herzliches Regiment.

Privatschule bringt Vorteile mit sich

Acht Rasenplätze hat der Klub am Trainingsgelände im Westen der Stadt aus dem Boden gestampft, als es vor fünf Jahren mit einem überarbeiteten Konzept und dem neuen Namen losging. Seitdem hat die "School of Excellence" dreimal die Auszeichnung als bestes Nachwuchsleistungszentrum Skandinaviens erhalten.

Mit der an den Trainingskomplex angeschlossenen Johannes-Schule läuft eine Kooperation. 100 Jahre ist die Institution alt, eine Privatschule vom alten Schlag. Bis zum 15. Lebensjahr besuchen alle Spieler verpflichtend die Johannes-Schule, erst danach werden die Junioren gemäß ihrem Leistungsstand auf andere Schulen verteilt.

Das hat den Vorteil, dass der FCK die Jungs in jungen Jahren komplett steuern und einfacher beobachten kann. Der Stundenplan richtet sich an den Trainingseinheiten aus, nicht umgekehrt.

Schert ein Spieler aus, verschlechtern sich seine schulischen Leistungen oder gibt es Ärger abseits des eigentlichen Lehrplans, sind die Wege besonders kurz und an einer zentralen Anlaufstation gebündelt. Das macht es für die Verantwortlichen des NLZ deutlich einfacher, den Überblick zu behalten.

Und: Im Dialog mit den Eltern interessierter Spieler hat der FCK durch die Privatschule einen enormen Vorteil gegenüber der Konkurrenz. Die meisten Spieler (oder deren Eltern) wissen die Vorzüge einer Erziehung an einer Privatschule besonders zu schätzen. Das unterstützt das Scouting und macht so manches zusätzliche Gespräch überflüssig.

Kein Talent darf unentdeckt bleiben

Im Einzugsgebiet in und um Kopenhagen streiten sich fünf Klubs um die Gunst der Talente, da ist ein Joker wie das Angebot einer speziellen Schulbildung neben der fußballerischen Ausbildung Gold wert. "Wir sind nicht Deutschland oder Frankreich, wo es zehnmal so viele aktive Spieler gibt wie bei uns in Dänemark. Deshalb darf uns kein einziges Talent durch die Lappen gehen. Keines! Jeder Spieler, den wir übersehen, tut uns unheimlich weh", sagt Nielsen.

In Dänemark ist der Ligabetrieb der U 19 und U 17 so gestaltet, dass man sich mittels einer Lizenz dafür qualifiziert. Auf- und Abstiege gibt es in den Spielrunden nicht, vielmehr funktioniert das Modell wie ein in sich geschlossener Zirkel. Das wichtigste Ausschlusskriterium dabei: Wer seine Jugendspieler nicht in ein funktionierendes Schulsystem integrieren kann, bekommt keine Lizenz erteilt.

"Wir produzieren nicht - wir bilden aus"

Die Jugend- und Ausbildungsarbeit beim FC Kopenhagen orientiert sich prinzipiell wie bei unzähligen anderen Klubs auch an der Profimannschaft. Aber schon recht schnell werden einige grundlegende Unterschiede klar.

Der Anspruch des FCK auf Profiebene lautet in erster Linie nicht, die heimische Meisterschaft zu gewinnen. Der Triumph in der Superligaen ist ein Bonusgeschäft, das große Ziel jeder Saison ist der Einzug in die Gruppenphase der Champions League. Zu Hause in Dänemark würde die Mannschaft vermutlich auch in anderen Spielsystemen und mit weniger Aufwand regelmäßig Meister werden. In den letzten 14 Jahren holte der FCK zehn nationale Meisterschaften.

Der eigentlich wichtige Wettbewerb ist die Champions League, oder - bei einem entsprechend erfolgreichen Abschneiden - auch noch die Europa League. Deshalb spielt der FCK seit über einem Jahrzehnt in ein und derselben Spielausrichtung, einem 4-4-2 in der Defensivbewegung. "Das ist die Formation, von der wir uns international am meisten Erfolg versprechen. Das stülpen wir dann auf unsere Spiele in der Meisterschaft über. Und natürlich müssen alle unsere Jugendmannschaften genauso spielen."

In der Liga könnte der FCK durchaus spektakulärer agieren. Der Klub hat den mit Abstand besten Kader zur Verfügung, der im Prinzip immer für Platz zwei und damit das Erreichen der Qualifikationsrunden für die Königsklasse reicht. Aber es bleibt verboten zu experimentieren.

"Manche finden unsere Vorgehensweise zu einfältig und unflexibel. Aber wir müssen uns einfach strikt an jene Regeln halten, die wir uns selbst vorgeben." Dazu gehört natürlich auch, dass alle Mannschaften bis runter zur U 13 in einem 4-4-2 auflaufen.

"Wir bilden unsere Jugendspieler aus, damit sie später einmal in unserer ersten Mannschaft auflaufen können. In unserem Trikot - nicht in einem anderen. Wir wollen grundsätzlich nicht verkaufen, wir 'produzieren' nicht für den Markt. Wir bilden Spieler für unseren eigenen Bedarf an."

Der FCK will kein Durchlauferhitzer sein wie andere Klubs, die in erster Linie deshalb zu Ausbildungsvereinen werden, um durch Spielerverkäufe das nötige Geld zu generieren.

Klubs in der Verantwortung

Nur: Wie lange hat dieses Modell noch eine Zukunft? Der Fußball hat sich wie kaum eine andere Sportart gewandelt. Das Image des Proletariersports ist nur noch rudimentär vorhanden, die Wirtschaft und die Politik haben das Spiel längst als Vehikel zum Transport für Emotionen und Leidenschaft entdeckt. Der Fußball fungiert als lukrativer Wirtschaftszweig, seine Protagonisten als hochbezahlte Werbeträger.

"Es gibt nichts anderes auf der Welt, das man so toll zur Schau stellen kann", sagt Nielsen. "Der Fußball explodiert förmlich. Und ich glaube nicht, dass wir hier einer typischen Blase auf den Leim gehen, die irgendwann mit einem lauten Knall platzt. Wir als Klubs haben deshalb die Verantwortung dafür, dass das System nicht ausartet!"

Dass besonders die jungen Spieler immer mehr zur Zielgruppe neuer Interessen werden, behagt ihm dabei gar nicht. Wenn man früher erst eine ganze Menge erreichen musste, um in die Schlagzeilen zu kommen, kann sich heute jeder selbst darstellen. Das findet zumindest der 49-Jährige. Für die Entwicklung junger Menschen sei das unter Umständen eine große Gefahr. Dabei ist der Weg zum Erfolg im Prinzip immer noch derselbe wie vor 20, 30 oder 40 Jahren.

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