"Ist er für Arsenal geeignet oder Wanne-Eickel?"

Von Interview: Fatih Demireli
Max Eberl war Profi, Co-Trainer und seit 2008 ist er Sportdirektor
© getty

Max Eberl ist seit 2008 Sportdirektor von Borussia Mönchengladbach und wickelte seitdem einige Transfers ab. Er holte einst den unbekannten Marco Reus und verkaufte ihn für 17,1 Millionen Euro zu Borussia Dortmund. Der Gladbacher Macher spricht bei SPOX über die neuen Vorgehensweisen bei Transfers. Und erklärt, warum Ausstiegsklauseln Sinn machen.

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SPOX: Max Eberl, können Sie sich eigentlich noch an Ihren ersten Vertrag erinnern?

Max Eberl: Ja, sogar sehr gut, weil ich meine ganzen Verträge zu Hause abgeheftet habe. Mein erster Vertrag war bei Bayern München und den schließt man ja auch nicht alle Tage ab. Ab und zu schauen wir uns das mit meinem Sohn an, wer denn so unterschrieben hat. Ich habe es noch vor Augen.

SPOX: Wer war es denn?

Max Eberl: Unterschrieben hat ihn Hans Schiefele, der damals Vizepräsident des Vereins war.

SPOX: Wer hat den Vertrag ausgehandelt? Sie, der Vater oder Ihr Berater?

Eberl: Ich saß Uli Hoeneß gegenüber. Er sagte: Das gibt's. Ich sagte: Okay. Das war eine Sache von fünf Minuten. (lacht)

SPOX: Sie hatten also keinen Berater, der heute schon obligatorisch ist?

Eberl: Nein, die Berater-Thematik gab es damals gar nicht und über Bayern München war eh alles geregelt: Im Grunde hat jeder das gleiche bekommen. Wir waren stolz als Jugendspieler bei Bayern so einen Vertrag bekommen zu dürfen und es war quasi gesetzt zu unterschreiben. Ich habe ihn mit meinem Vater zu Hause durchgelesen, unterschrieben und wieder abgegeben. So war das früher.

SPOX: Kein Vergleich zu heute, oder?

Eberl: Es ist ganz anders geworden. Zum einen, weil der Fußball gewachsen ist und zum anderen, weil es vielmehr Möglichkeiten gibt. Die Transferthematik ist ja nicht mehr nur eine Sache der Profis, sondern ragt längst in den Jugendbereich hinein. Es gibt Verträge in Leistungszentren, es gibt Profiverträge, es gibt Vertragsspieler-Verträge. Früher war ein Jugendspieler bei seinem Verein, bei Bayern, Schalke und Gladbach und wenn er gewechselt ist, gab es einen Riesenaufstand. Heute ist der Vorgang leider gang und gäbe.

SPOX: Der Deutsche Fußball-Bund bietet einen Mustervertrag für die Klubs an. Kann man diesen noch 1:1 übernehmen oder ist er längst überholt?

Eberl: Das ist die Basis. Sowohl beim Vertragsspieler, als auch beim Lizenzspieler beruft man sich immer auf die Musterverträge des DFB und der DFL. Klar gibt es zusätzliche Komponenten, die ausgehandelt werden müssen, gerade was Persönlichkeitsrechte betrifft oder Sportartikel-Hersteller-Klauseln, die es früher nicht gab. Früher war es bei Bayern adidas und bei Borussia Reebok. Punkt. Da gab es auch keine andere Meinung.

SPOX: Heute kann jeder Spieler seinen eigenen Sponsor vertraglich fixieren.

Eberl: Das ist ja nichts Schlechtes, das darf man nicht falsch verstehen. Dass die Spieler in ihren eigenen Schuhen spielen, ihr eigenes Handwerkzeug benutzen, also in den Sachen, in denen sie sich am wohlsten fühlen, ergibt absolut Sinn und ist völlig okay.

SPOX: Sie haben es angesprochen: Die Verträge sind vielfältiger und anspruchsvoller geworden. Ist es ein Feld, das man als sportlicher Verantwortlicher eines Klubs erst einmal noch lernen muss?

Eberl: Natürlich. Es ist immer am einfachsten, über Laufzeiten und Gehalt zu sprechen. Aber das ist längst nicht alles. Heute gibt's Prämien, Sonderprämien, Regelungen, wie, wann und für was Prämien gezahlt werden. Dann gibt es unter Umstanden eine Ausstiegsklausel, bei der festgelegt werden muss, wie hoch sie ist und unter welchen Umständen sie gezogen werden kann. Nicht zu vergessen ist der Transfervertrag, der auch aufgesetzt werden muss.

SPOX: Das ist der Vertrag, den beide Klubs bei einem Spielertransfer abschließen müssen.

Eberl: Richtig. Auch dieser beinhaltet wesentlich mehr Inhalte als früher. Wenn man heutzutage Trainingskompensation, Ausbildungsentschädigung, Solidaritätszuschlag dazurechnet, kann ein ausgehandelter Betrag ruckzuck nochmals um fünf bis zehn Prozent steigen, nur weil bestimmte Komponenten bei der Vertragsverhandlung nicht berücksichtigt wurden. Das führt teils zu richtigen Streitereien, obwohl die generelle Zahl längst ausgehandelt wurde.

SPOX: Klaus Allofs hat in seinem zweiten Jahr als Bremen-Manager Ivica Banovic aus Zagreb verpflichtet. Allofs unterschrieb einen Transfervertrag, der in Zahlen eine Ablösesumme von 3,7 Millionen Mark festlegte, in Worten ausgeschrieben standen da aber fälschlicher Weise 7,5 Millionen Mark. Zagreb forderte diese Summe ein. Danach war es ein langes Hin und Her. Ein Albtraum?

Eberl: Es ist sogar ein sehr großer Albtraum, wenn man im Vertrag etwas falsch liest oder etwas falsch deutet. Deswegen ist es wichtig, dass ihn sechs bis acht Augen lesen.

SPOX: Wie viele Leute lesen in Mönchengladbach einen Vertrag?

Eberl: Genug (lacht). Die Geschäftsführung muss ihn lesen, Anwälte und Präsidium auch, aber verantwortlich sind letztlich die Geschäftsführer.

SPOX: Von der ersten Anfrage bis zum Vertragsabschluss: Wie lange dauert denn die Prozedur?

Eberl: Das ist unterschiedlich: eine Woche, zwei Wochen, ein Monat, ein Jahr. Bei Max Kruse haben wir vor anderthalb Jahren die Gespräche begonnen, ohne dann im Sommer des letzten Jahres den Vertrag zu machen. Was das Grobe betrifft, geht es relativ zügig. Die Feinheiten dauern etwas länger und da muss man sich auch die Zeit nehmen, weil es für Verein und Spieler sehr wichtig ist.

SPOX: Die Ausstiegsklausel hat sich inzwischen zum Key Asset in der Branche entwickelt. Ist sie Erleichterung oder Schwierigkeit für einen Klub?

Eberl: Es geht immer darum, die passende Höhe zu treffen. Wenn man eine Ausstiegsklausel geben muss, muss man sie auch richtig bemessen. Wir haben damals bei Marco Reus in einem besonderen Zustand, wir waren Tabellenletzter, 17,5 Millionen Euro Ablösesumme eingetragen. Das war für uns damals utopisch. Als er dann nach Dortmund gegangen ist, hätte man sagen können: "Hey, die waren zu niedrig!" Im Moment des Vertragsabschlusses kann man natürlich nicht sehen, wohin die Entwicklung geht. Das muss mit allen Parteien besprochen werden.

SPOX: Was halten Sie persönlich von Ausstiegsklauseln?

Eberl: Ich halte sie grundsätzlich nicht für verkehrt. Ich finde es nur schwierig, wenn Jugendspieler, die noch kaum Bundesliga gespielt haben, über Ausstiegsklauseln reden. Jugendspieler, bei denen man noch nicht absehen kann: Ist er für Arsenal geeignet oder für Wanne-Eickel? Über welche Höhe willst Du bei so einem Spieler sprechen? Deswegen halte ich es für falsch, auch der Fairness gegenüber dem Verein wegen, eine Ausstiegsklausel zu bestimmen.

SPOX: Ist es mittlerweile Praxis, dass Jugendspieler Ausstiegsklauseln haben wollen?

Eberl: Nein. Gott sei Dank! Sie beinhalten ja auch etwas Misstrauen. Wir sagen dem Spieler: Vertraue uns, fass erst einmal hier Fuß, was danach kommt, wird man sehen. Bei Spielern, die schon etwas nachgewiesen haben, wie beispielsweise Marco Reus oder wie es bei Mario Götze in Dortmund war, weiß man, in welche Richtung es gehen kann. Daher fixiert man die Höhe auch so, dass alle zufrieden sein können.

SPOX: Ist beim Kaliber Marco Reus ein Vertrag ohne Ausstiegsklausel inzwischen noch möglich?

Eberl: Bei Marco war die Ansage: Wenn er die Chance hat, Deutscher Meister zu werden, muss man sie ihm geben und genau deswegen konnten wir auch damals verlängern. Viele unken immer, wenn ein Spieler von einer Ausstiegsklausel Gebrauch macht, aber man muss vielleicht zwei, drei Jahre zurückblicken. Ohne Ausstiegsklausel hätte der Spieler unter Umständen überhaupt nicht verlängert und wäre ablösefrei. Auch wenn die Trauer über den sportlichen Verlust groß ist, hat man hinterher doch einiges richtig gemacht. Mit Reus haben wir den größten Transfererlös aller Zeiten gemacht.

SPOX: Vertragsinhalte sind grundsätzlich geheim, aber die Ausstiegsklausel eines interessanten Spielers wird hierzulande relativ schnell öffentlich. Ist man dem ausgeliefert?

Eberl: Verlängert man heutzutage mit einem Spieler den Vertrag, ist die erste Frage: "Zu welcher Summe kann er gehen?" Das enttäuscht mich. Die Ausstiegsklausel ist für viele eine öffnende Tür. Man ist dran gebunden, Stillschweigen zu vereinbaren, davon halte ich viel, aber die Gefahr ist relativ groß, dass an die Öffentlichkeit dringt, ob etwas möglich ist. Insbesondere, wenn man den Spieler nicht abgeben will.

SPOX: Es gibt den aktuellen Fall Leon Goretzka vom VfL Bochum, der eine Ausstiegsklausel im Vertrag hat, aber nun vor Gericht geht, weil es Komplikationen gibt. Ist das ein Zeichen der Zeit?

Eberl: Ich möchte natürlich in ein schwebendes Verfahren nicht eingreifen und kann es nicht beurteilen. Aber von außen betrachtet, ist es vielleicht nicht ganz klar fixiert, sodass beide Seiten glauben, im Recht zu sein.

SPOX: Bevor ein Vertrag unterschrieben werden kann, muss ein Spieler noch in den medizinischen Check. Ist das eine Prozedur oder wird man da noch mal nervös?

Eberl: Man ist schon angespannt. Man hat lange verhandelt, man hat den Wunschspieler gefunden und dann ruft der Chirurg an und sagt: "Max, Du weißt schon, dass er einen Knorpelschaden hat!" Was machst Du dann? Knorpelschaden kann jeder Mensch ein Leben lang haben, aber wenn du einen Invest tätigst in einer Millionenhöhe, dann sollte es nicht passieren, dass der Spieler drei Wochen später ausfällt und Invalide wird. Das wäre kompliziert.

SPOX: Wie geht man im Fall einer Verletzungsfeststellung vor?

Eberl: Man ist nicht gefeit davor, es sind überall Menschen am Werk und da kann man nicht alles ausschließen. Wenn ein Doktor kommt und sagt, das und das ist der Fall, dann muss man gemeinschaftlich entscheiden und auch mit dem vorherigem Verein noch einmal reden. Das war ja im letzten Sommer der Fall zwischen Bremen, Wolfsburg und Naldo, wo man noch einmal sprechen musste. Das ist noch einmal eine Hürde. Keiner will sein Geld versenken.

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