Scheitern in der Scheinwelt

Geldsorgen im Fußball sind weit verbreitet. Selbst Großverdiener geraten immer wieder in Not
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Fußballer aus dem absoluten Spitzenbereich sollten dagegen zumindest so viel auf der Seite haben, um sich neu orientieren zu können. Wenn sie sich nicht mit falscher Geldanlage verspekuliert oder total über ihren Verhältnissen gelebt haben. Beides kam und kommt vor. Schlecht oder gar nicht beraten trotz Millionengehältern ist so mancher Fußballer komplett von der Bildfläche verschwunden.

Und Spieler wie Eike Immel, Ailton oder Thomas Häßler landeten alle im Dschungel-Camp. Der ehemalige Dortmunder Günter Breitzke lebt von Hartz IV in Köln und der ehemalige Bundesligaprofi Jimmy Hartwig musste erst ganz unten ankommen, um wieder bessere Zeiten zu erleben. Heute ist er schauspielerisch aktiv und DFB-Integrationsbeauftragter.

Ramelow erinnert auch an die eigene Generation. "Weder im Verein noch in der Nationalmannschaft wurde über Geld gesprochen oder was die anderen verdienen. Das Einzige, was man mitbekam, waren die Zahlen aus den Medien." Finanzielle Sorgen bei Kollegen gab es und gibt es dennoch, sagt Ramelow.

Rolfes: "Fußballer von problematischen Investments betroffen"

Rolfes erklärt dazu: "Es gab Mitspieler, die in Schwierigkeiten waren und mich um Rat gefragt haben, weil sie wussten, dass ich mich mit dem Thema Geldanlage intensiv beschäftige. Die Fußballer sind von den problematischen Investments genauso betroffen gewesen wie viele andere auch."

Neben falschen finanziellen Entscheidungen spielt die mentale Komponente im absoluten Spitzenbereich des Profifußballs eine wohl immense Rolle.

Der so offenherzige Jimmy Hartwig war es auch, der bereits 2016 im kicker Talk eine bemerkenswerte Aussage zu seiner Herkunft und zu seiner mentalen Belastung während seiner fußballerischen Laufbahn traf: "Mein Opa war Nazi, meine Mutter war den ganzen Tag arbeiten. Ich habe bei allen Menschen immer die Anerkennung gesucht. Und als Fußballer bekam ich plötzlich diese Anerkennung. Ich war William Georg Hartwig, genannt Jimmy. Die Leute haben gesagt 'Jimmy hier, Jimmy da, was ein geiler Typ!' und dann schwillt die Brust aber ganz breit an."

Auf einmal komme aber der Schlag zwischen die Beine, wenn die Karriere vorbei sei. "Warum sagen die Leute nicht mehr hallo? Warum werde ich nicht mehr eingeladen? Wieso bekomme ich nicht mehr diese ganzen Vergünstigungen? Was passiert denn hier gerade? Ich bin doch immer noch die gleiche Person", haderte Hartwig damals rückblickend. Dann falle man regelrecht in ein Loch. Seine Erkenntnis: "Jeder Mensch benötigt jeden Tag Anerkennung."

Knackpunkt Karriereende: das fehlende Adrenalin

Ehemalige Profifußballer aus dem absoluten Spitzenbereich berichten immer wieder, dass der Übergang in ein normales Leben nach der aktiven Laufbahn alles andere als leicht ist. Für Ramelow waren vor allem die ersten beiden Jahre "eine schwierige Zeit".

Rolfes, der als Paradebeispiel für eine stringente Planung gilt, gibt vor allem das zu kompensierende Adrenalin als Problematik an.

"Jeder normal arbeitende Mensch wird sagen: Mein Gott, das ist die Normalität, ohne diese ständigen Hochs. Natürlich ist das so. Für uns ist das aber eben nicht so. Alle drei Tage ein Spiel - die Adrenalinkurve geht hoch, wieder runter. Diese Achterbahnfahrten sind für Fußballer normal. Genau das ist die Schwierigkeit nach dem Karriereende. Dass wir diese Adrenalinspitzen nicht mehr haben und uns der Alltag zu träge vorkommt. Das ist mental, aber auch körperlich eine Herausforderung. Weil der Körper nicht daran gewöhnt ist."

Die mentale Komponente beschäftigte lange Zeit auch Tom, obwohl er am anderen Ende der Nahrungskette Fußballprofi stand. Oder gerade deswegen?

Mehr Abiturienten, weniger Ausbildungen

Darüber hinaus wurde ihm sein hoher Bildungsabschluss nach Ende der fußballerischen Laufbahn fast zum Verhängnis. Eine Problematik, die ulkig klingt, aber Fußballer, vor allem aus den unteren Ligen, am Ende ihrer Laufbahn dennoch vor Probleme stellt, ist tatsächlich das verbesserte Bildungsniveau.

Der erwähnten Tendenzstudie zur Folge machen mehr als 72 Prozent der angehenden Profis mindestens Fachabitur (2012 waren das noch 60 Prozent). Dagegen schließen eine Ausbildung nur noch knapp etwas weniger als 14 Prozent der Befragten ab (2012 26 Prozent).

Hat ein durchschnittlicher Profi also nicht wie von Simon Rolfes beschrieben gelebt, oder schlichtweg nicht ausreichend finanzielle Polster, wird es in Zeiten der Aus- oder Fortbildung womöglich problematisch. Denn nur mit dem Abitur wird es schwer, direkt in ein Berufsleben einzusteigen. Die Studienberechtigungsquote ist bei Fußballern deutlich höher als beim Rest der Gesellschaft. Aber das Verlangen nach einem Studium ist sowohl am Anfang als auch am Ende der Karriere bei diesem Berufsstand nicht gerade ausgeprägt.

Ex-Profi: "Lebe wie ein normaler Student"

Tom hatte zu Studienbeginn gar nichts auf der Habenseite. "Ich lebe ganz normal wie ein Student auf ganz kleinem Fuß. Ein ehemaliger Teamkollege hat während der Regionalligazeit sein Studium abgeschlossen und verdient jetzt schon ordentlich." Der sei aber die Ausnahme gewesen. Er kenne einige seiner Kollegen, die momentan ebenfalls ohne Zusatzqualifikation dastehen würden.

Etwas anders sieht das sicherlich im absoluten Spitzenbereich aus. Mitleid braucht man sicher nicht zu haben, aber auch in der Bundesliga gibt es Fallstricke. Die Kernzeit der Karrieren scheint sich verschoben zu haben. Zu Zeiten eines Ramelow oder Rolfes begann eine Profilaufbahn durchschnittlich mit 21, 22 Jahren, dauerte bis 35 Jahre und hatte die Kernzeit zwischen 28 und 30 Jahren. Heutzutage verlassen hunderte gut ausgebildete Fußballer bereits mit 18 die Nachwuchsleistungszentren, die Karrieren dauern von 18 bis 30 und die Kernzeit liegt grob um das 27. Lebensjahr.

In solch jungen Jahren gilt es, sich finanziell abzusichern. "Es ist noch mehr Geld im Spitzenbereich und normalerweise reichen heute ein, zwei große Verträge, um auszusorgen, wenn man sich einigermaßen clever anstellt. Aber in der Realität gibt es immer wieder Fälle, wo es nicht funktioniert und die Spieler in Nöte geraten", verrät Ramelow. In der Familie käme es dann häufig zu Problemen. "Wo viel Geld im Spiel ist, läuft es nicht immer harmonisch ab und es passieren schräge Dinge."

"Das sind aber alles keine Fußballer"

Eine allzu passive Einstellung nach der Laufbahn könne laut Rolfes tatsächlich zu Problemen führen. "Dann verrinnt die Zeit sehr schnell und es kann zu Antriebsproblemen oder allgemein dazu kommen, dass man nicht weiß, wohin es gehen soll." Von dort ist es auch zu finanziellen Problemen nicht mehr weit.

Szenarien, die der VDV als eine der wenigen Instanzen aktiv versucht einzudämmen, ohne zu verheimlichen, dass es diese Fälle immer wieder gibt.

Tom war einer dieser kolportierten knapp 400 Fußballer, die jährlich ihre mal mehr, mal weniger erfolgreichen und bekannten Karrieren beendeten. 2016 war das. Geld hat er momentan nur wenig. Er selbst reflektiert heute mit Anfang 30 deutlich intensiver als noch vor zehn Jahren. Kontakt mit dem VDV hatte er nie.

Er sei also nicht frustriert. Das Zitat vom Anfang steht. Nach dem Schweigen erklärt er ziemlich treffend, warum er dazu keinen Grund zu haben scheint. "Ich treffe an der Uni viele ehemalige oder aktuelle Leistungssportler. Das waren oder sind aber alles keine Fußballer. In anderen Sportarten ist es völlig normal, dass man nicht oder nur schlecht davon leben kann, geschweige denn vorsorgen. Nur die wissen das von Anfang an."

Informationen über den Verband der Vertragsfußballer