Wie der Schlagzeuger einer Band

Von Aufgezeichnet von Andreas Lehner
Mario Himsl war 2010 Jahrgangsbester der Fußballlehrer-Ausbildung des DFB
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Schritt 3: Sichtung des Spielermaterials anhand bestimmter Kriterien

Wie oben bereits angerissen muss ein Sechser je nach Spielidee und Grundordnung gewisse Fähigkeiten mitbringen. Für defensivere Systeme wählt man eher zweikampfstarke Spieler, die ein Spiel schnell nach vorne entwickeln können. Für offensivere Systeme passen technisch beschlagene Spieler, die bei Ballbesitz stark sind und das Spiel in die Breite und in die Tiefe entwickeln können.

Unabhängig von Philosophie und Ordnung gibt es aber Eigenschaften, die ein Spieler für die Position vor der Abwehr mitbringen muss - sowohl fußballerisch als auch charakterlich.

Bei Ballbesitz: Ein Sechser muss sehr ballsicher sein. Er ist quasi der Trichter, der immer am Spielaufbau beteiligt ist. Heißt: Er soll als erste Anspielstation aus der Abwehr dienen und dann in der Lage sein, ein sauberes, sicheres Passspiel zu entwickeln - so dass er im Endeffekt der Motor im Spiel nach vorne ist. Das setzt eine hohe Passsicherheit, eine gute Ballan- und Mitnahme und ein sehr gutes Freilaufverhalten voraus.

Wenn man als Beispiel die deutsche Nationalmannschaft bei der WM 2010 mit Schweinsteiger und Khedira nimmt, die beide defensiv aber gleichzeitig auch offensiv denken, kommt das dem Idealtyp schon sehr nahe. Beide laufen sich gut frei, sind sehr ballsicher und können im Spielaufbau die Bälle gut verteilen. Dazu kommt, dass beide ein gutes Auge und die Fähigkeit zur Spielverlagerung haben, aber auch den unterstützenden Pass auf die Stürmer spielen können.

Es geht auf dieser Position nicht mehr nur ums Ballklauen, um ihn dann zurückzuspielen, sondern man muss auch die Stürmer und die Außen durch gezielte Pässe einsetzen können.

Im Spiel gegen den Ball: Natürlich braucht er eine gewisse Zweikampfstärke und -härte. Er muss schließlich viele Bälle gewinnen und sollte aus den meisten Zweikampfsituationen als Sieger hervorgehen. Wie ein Spieler die Bälle gewinnt, ist typabhängig. Entweder läuft er schon in den Raum, bevor der Pass kommt, weil er die Situation frühzeitig erkennt und den Ball so abfangen kann. Oder er ist zur Stelle, wenn der Gegenspieler den Ball annimmt, und der Sechser ist in der direkten Zweikampfführung sehr stark und gewinnt so den Ball.

Bei Ballbesitz des Gegners zeichnet einen guten Sechser seine Antizipationsfähigkeit aus, er muss Situationen erkennen und vorausschauend denken. Man spricht in diesem Zusammenhang immer von der Handlungsschnelligkeit, dazu gehört auch das Erkennen von Spielsituationen. Ein richtig guter Sechser kann ein Spiel lesen, er kann Situationen vorausdenken, er weiß, wo der Ball hinkommt, er geht im richtigen Moment als Zweiter in einen Zweikampf, bleibt aber im richtigen Moment auch weg.

Schnittstelle: Als verbindendes Element zwischen eigenem Ballbesitz und dem des Gegners ist heutzutage das Umschaltverhalten von entscheidender Bedeutung. Bei Ballverlust muss der Sechser sofort da sein, wo es brennt. Bei Ballgewinn muss er das Spiel schnell machen. Er sollte sich so schnell wie möglich zum gegnerischen Tor hindrehen oder durch schnelle Pässe mithelfen, dass der Ball nach vorne kommt. Geistige Schnelligkeit schlägt in diesem Fall physische Schnelligkeit.

Soft skills: Während man die angesprochenen fußballerischen Fähigkeiten bis zu einem gewissen Grad trainieren kann, muss ein Sechser eine Persönlichkeit darstellen und Führungsstärke haben. Wie Zvonimir Soldo zum Beispiel während seiner Zeit in Stuttgart. Diese Spieler sind oft auch der verlängerte Arm des Trainers auf dem Platz. Sie strahlen Sicherheit aus und die Mitspieler fühlen sich in ihrer Nähe wohl. Der Sechser muss kein Filigrantechniker sein, aber er muss ein Typ sein, der bereit ist, einfache Sachen zu machen und dabei wenige Fehler. Denn wenn auf dieser Position der Ball verloren wird, ist der Weg zum Tor meistens nicht weit. Der gegensätzliche Spielertyp ist der Dribbler. Der sagt: 'Wenn ich von zehnmal zweimal durchkomme, reicht mir das.' So eine Denke darf ein Spieler auf der Sechs nicht haben.

Ich vergleiche den Sechser gerne mit einem Schlagzeuger. Er macht einen unheimlich wichtigen Job in der Band, weil er den Takt vorgibt, aber der Gitarrist und der Sänger stehen vorne und ernten den Beifall. Der Schlagzeuger sitzt meistens hinten, aber wenn er nicht dabei ist, hört sich alles fürchterlich an. Genauso ist es beim Sechser eigentlich auch. Er bestimmt den Spielrhythmus, ob das Spiel langsam oder schnell wird. Er gibt den Takt vor, damit sich die anderen danach richten können. Er darf nicht aus dem Rhythmus kommen und keine Fehler machen. Und trotzdem wird er nur selten im Rampenlicht stehen.

Hier geht's zu Teil 1: Festlegen der Spielidee

Hier geht's zu Teil 2: Festlegen der Grundordnung

Hier geht's zu Teil 4: Trainingsinhalte