Sieger, aber irgendwie doch nicht

Uwe Weidemann (l.) und Steinar Pedersen verließen ihren jeweiligen Verein in der Winterpause
© getty

In der Winterpause 1996/97 trafen Schalkes Uwe Weidemann und Dortmunds Steinar Pedersen weitreichende Entscheidungen. Sie verließen ihre Klubs, um woanders Spielpraxis zu bekommen und verpassten es so, bei den größten Triumphen ihrer Karrieren dabei zu sein. 20 Jahre blieben Weidemann und Pedersen seitdem, um ihre Gefühle zu ordnen - und damit letztlich unterschiedlich umzugehen.

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Zwei Tage nachdem Uwe Weidemann im Mai 1997 mit seinem Klub Hertha BSC in der 2. Liga den SV Meppen mit 3:0 deklassiert hatte, setzte er sich vor einen Fernseher und schaute sich das UEFA-Cup-Finale an. Er sah, wie Schalke 04 gegen Inter Mailand in Rückstand geriet und sich in die Verlängerung rettete. Er sah, wie Jens Lehmann im Elfmeterschießen einen Versuch von Ivan Zamorano parierte und wie Ingo Anderbrügge, Olaf Thon, Martin Max und Marc Wilmots trafen und dann ekstatisch jubelten.

Weidemann weiß nicht mehr genau, wo er das Finale geschaut hat, "es ist ja schon 20 Jahre her", sagt er im Gespräch mit SPOX, aber er weiß, was er gefühlt hat: "Mensch, wenn du da jetzt noch dabei gewesen wärst ..." In der Winterpause jener Saison verließ Weidemann Schalke und musste dann mitansehen, wie sein ehemaliger Verein den womöglich größten Triumph seiner Geschichte feierte.

Steinar Pedersen fühlte wenige Tage später die gleichen Emotionen. Nur nicht irgendwo in Berlin, sondern in seinem Appartement im norwegischen Lilleström. Mit dem lokalen LSK rangierte er nach einem 1:1 gegen Trömsö auf dem 8. Tabellenplatz, in der Winterpause hatte sich Pedersen von Borussia Dortmund in sein Heimatland verleihen lassen und nun sah er seine Dortmunder Ex-Kollegen in München jubeln. Sie hatten die Champions League gewonnen.

"Ich habe keine Zeit, um Dinge zu bereuen. Man muss Entscheidungen treffen und dazu stehen, so ist das Leben", sagt Pedersen gegenüber SPOX, ähnlich äußert sich Weidemann: "Ich bereue die Entscheidung ganz und gar nicht." Die "Entscheidung" stand für beide in der Winterpause der Saison 1996/97 an. Sie entschieden sich zu gehen und verpassten es deshalb, beim größten Triumph ihrer Karriere dabei zu sein.

Vor der Entscheidung

Bei Pedersen begann alles bei Start. Im Sommer 1996 wechselte der damals 21-jährige Rechtsverteidiger von seinem Jugendverein Start Kristiansand nach Dortmund. Nicht ohne Vorbehalte. "Ich dachte, hier geht es richtig hart zu und die Spieler nehmen keine Rücksicht aufeinander", erzählt Pedersen, "aber ich wurde sehr herzlich aufgenommen." Der Team-Spirit beim BVB hat ihn beeindruckt.

Beim Lokalrivalen in Gelsenkirchen sah das ähnlich aus. "Innerhalb der Mannschaft gab es einen sehr, sehr engen Zusammenhalt", sagt Weidemann. Der gebürtige Thüringer wechselte 1995 zu Schalke, er kam aus der direkten Nachbarschaft, vom MSV Duisburg. Immer wieder hatte Weidemann dann aber mit muskulären Problemen zu kämpfen, der Mittelfeldspieler war schließlich schon über 30.

Im Herbst 1996 kam Weidemann immer wieder von der Bank, unter anderen beim Rückspiel der 1. Runde im UEFA-Cup bei Roda Kerkrade. Weidemann und seine Schalker brachten ein Remis über die Zeit und qualifizierten sich so für die nächste Runde. Und mit ihnen der Trainer des unterlegenen Kerkrade, Huub Stevens, der kurzerhand bei Schalke unterschrieb. In der folgenden Runde gegen Trabzonspor brachte der neue Coach Weidemann in der Schlussphase als Einwechselspieler.

Schalke kam weiter und einen Tag später erlebte der Dortmunder Jungspund Pedersen einen der größten Momente seiner Karriere. Er durfte beim Champions-League-Gruppenspiel gegen Atletico Madrid beginnen. "Ich werde mich immer an den Moment erinnern, als ich ins Westfalenstadion eingelaufen bin", erzählt Pedersen: "Es war unfassbar." Dortmund verlor gegen Atletico zwar mit 1:2, qualifizierte sich letztlich aber trotzdem für das Viertelfinale.

Die Entscheidung

Schalke erreichte die Runde der besten Acht über Brügge, Weidemann wurde da schon nicht mehr gebraucht. "Als die Stammspieler danach in der Kabine feierten, ist es mir schwer gefallen, mich auch zu freuen", sagt Weidemann: "Das war für mich nicht befriedigend." Bald darauf kam Stevens auf ihn zu und "er hat mir ganz ehrlich gesagt, dass ich keine große Rolle mehr spielen werde".

Weidemann wollte aber noch wichtig sein in seiner Karriere, "denn ich war immer noch zu ehrgeizig, als dass ich mich mit einer Reservistenrolle zufrieden geben wollte". Und es tat sich eine neue Herausforderung auf, Hertha BSC wollte Weidemann verpflichten und mit ihm in die Bundesliga aufsteigen. Er ging und wurde in Berlin begeistert empfangen. Die BZ bezeichnete Weidemann als "dynamischen Mittelfeldmann, der an guten Tagen eine Abwehr schwindlig spielen kann und zudem mit enormer Schusskraft ausgestattet ist". An guten Tagen, wenn er denn nicht lädiert war.

Weidemann hatte im Laufe der Saison immer wieder mit Verletzungsproblemen zu kämpfen. Gemeinsam hatte er das mit einigen gestandenen Spielern des Schalker Lokalrivalen BVB - die jedoch in der Winterpause reihenweise zurückkehrten und so die Einsatzchancen für Pedersen verringerten. Jung war er damals aber und wollte nur spielen, spielen, spielen. Und diese Perspektive bot sich Pedersen in Lilleström. "Das war der Grund, warum ich mich verleihen ließ."

Nach der Entscheidung

Ob er denn geahnt habe, sich mit dem Wechsel die Perspektive zu nehmen, ein Champions-League-Finale zu bestreiten? "Ich habe nicht geglaubt, dass es für dieses Team möglich wäre, den Titel zu gewinnen", erinnert sich Pedersen und Weidemann sagt dasselbe über seine Schalker. Als die Königsblauen dann aber Runde für Runde überstanden und schließlich zu Eurofightern wurden, dachte sich Weidemann immer wieder aufs Neue: "Wow, jetzt haben sie es schon wieder geschafft!"

Kontakt hat Weidemann im Frühling mit seinen ehemaligen Mitspielern aber nicht gehabt. Pedersen berichtet dagegen von einigen Telefonaten und versichert: "Niemand hat Witze darüber gemacht, was ich verpasse." Unter anderem verpasste er Dortmunds Viertelfinals gegen Auxerre und die Halbfinals gegen Manchester United, genau wie Weidemann die Spiele der Schalker gegen Valencia und Teneriffa.

Und dann kamen eben die großen Finals gegen Inter und Juventus: Weidemann und Pedersen vor dem TV, ihre ehemaligen Mitspieler jubelnd auf den Rasen von Mailand und München und immer wieder die Frage: Bin ich auch ein Sieger - oder nicht? Beide kamen im Laufe der Saison zum Einsatz, offiziell sind sie Sieger. Pedersen sogar der erste norwegische überhaupt.

Erst mit der Zeit schlich sich in Pedersens Kopf Stolz darauf ein. "Während meiner aktiven Laufbahn habe ich nicht so viel darüber nachgedacht und der Titel war mir nicht so wichtig, aber je älter ich werde und auf meine Karriere zurückblicke, desto wichtiger ist er mir." Mittlerweile ist Pedersen zurück bei Start, er trainiert Start Kristiansand und kann seinen Zweitliga-Kickern vom Titel berichten, bei dem er nicht dabei gewesen ist. Weidemann scoutet dagegen für den Jugendbereich von Duisburg und sagt 20 Jahre nach dem Frühling von 1997: "Ich fühle mich nicht wirklich als Eurofighter."

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