Eine menschliche Tragödie

Von Thomas Gaber
Breno wurde am 22. Mai am Rande des Testspiels gegen Holland beim FC Bayern verabschiedet
© imago

Über zwölf Millionen Euro bezahlte der FC Bayern einst, um einen jungen Brasilianer, dem man Weltklassepotenzial bescheinigte, nach München zu holen. Viereinhalb Jahre später ist Breno nicht mehr Spieler des FCB. Er muss wegen schwerer Brandstiftung für drei Jahre und neun Monate ins Gefängnis. Wie es dazu kommen konnte, weiß - wenn überhaupt - nur er selbst. Fakt ist aber: Breno ist in Deutschland nie angekommen.

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Es war eine dieser für Profifußballer lästigen Reisen, die den FC Bayern München im Mai 2008 für zehn Tage nach Asien führte. Vermarktungstechnisch ein Brüller für den Verein; der Name FC Bayern zieht in Fernost per se, da hätte es das gerade gewonnene Double gar nicht gebraucht. Der sportliche Wert tendierte indes mit drei Spielen in China, Indonesien und Indien gegen Mannschaften mit überschaubarem Niveau gegen Null.

Und dennoch gab es ein sportliches Highlight - Oliver Kahns letztes Spiel für den FC Bayern gegen den indischen Klub Mohan Bagun. 120.000 Zuschauer im Stadion lagen dem großen Blonden zu Füßen, die eine oder andere weibliche Verehrerin wollte sich mit Kahn gar vermehren.

Fußballerisch hatte das Spiel erwartungsgemäß wenig zu bieten und mehr als das Ergebnis (3:0 für Bayern), vielleicht inklusive Torschützen, wäre eine News auch nicht wert gewesen, hätte nicht Breno Vinicius Rodrigues Borges, kurz Breno, einen bizarren Auftritt gehabt.

In der 82. Minute wurde Bayerns brasilianischer Innenverteidiger von seinem Gegenspieler im Zweikampf traktiert und schließlich mit einer fiesen Grätsche von hinten niedergestreckt. Ein sinnloseres Foul hatte es zuvor in einem Freundschaftsspiel vor einem Millionen-Publikum (das Spiel wurde in Indien live im Fernsehen übertragen) noch nicht gegeben. Breno revanchierte sich auf seine Art und trat dem Feind kurz aber herzhaft vors Schienbein. Beide Streithähne sahen für ihre wenig weitsichtigen Aktionen die Rote Karte.

Trennung von den Eltern

Breno hatte bis zu diesem Zeitpunkt kaum gespielt für den Verein, dem er sich knapp fünf Monate zuvor angeschlossen hatte. 12,3 Millionen Euro hatte der FC Bayern für das damals 18-jährige Verteidiger-Talent aus Brasilien bezahlt. Breno sollte nach Lucio, Ze Roberto und Giovane Elber der nächste Brasilianer bei Bayern werden, der in München erfolgreich Fußball spielt und Deutschland als zweite Heimat liebgewinnt.

Doch im Gegensatz zu seinen Landsleuten kam Breno nicht über den Umweg Bayer Leverkusen oder VfB Stuttgart nach München, sondern direkt aus Brasilien. Er war bei Vertragsunterschrift kein gestandener Bundesligaprofi, sondern ein Teenager mit Flausen im Kopf aus einer zerrissenen Familie, ohne jegliche Kenntnis der deutschen Sprache und Lebensart.

Auf Anweisung des FC Bayern musste sich Breno zwischen seinen Eltern und seiner Frau Renata entscheiden, weil die Verteilung von Visa an mehrere Personen aus Brenos Familie nicht zulässig war. Brenos Frau Renata blieb, die Eltern verließen Deutschland nach kurzer Zeit wieder. "Das war sehr schwierig für mich, weil ich sehr an meinen Eltern gehangen habe. Ich wollte meine Eltern und meine Frau bei mir haben", sagte Breno während des Gerichtsprozesses rückblickend.

Breno wird kaum eingesetzt

In seiner ersten Halbserie bei Bayern wurde Breno vom damaligen Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld nur zweimal eingesetzt: im UEFA-Cup-Achtelfinal-Rückspiel gegen Anderlecht und in der Bundesliga gegen den VfL Wolfsburg. 113 Minuten durfte Breno spielen. Hitzfeld verließ den FC Bayern am Saisonende; Nachfolger Jürgen Klinsmann fand ebenfalls kaum Verwendung für Breno.

In der Saison 2008/09 war er in gerade mal vier Bundesligaspielen dabei - unter anderem beim aus Bayern-Sicht schlimmsten Liga-Auftritt der jüngeren Geschichte, dem 1:5 in Wolfsburg mit dem Tor des Jahres von Grafite.

Hoeneß: "Einer der besten Innenverteidiger der Welt"

Sportlich kam Breno nicht auf die Beine, seine Deutsch-Kenntnisse wurden nur marginal besser; zudem wurde er im Frühjahr 2009 erstmals von einer Verletzung (Wadenzerrung) heimgesucht. Erste Fragen wurden laut nach der Bundesligatauglichkeit Brenos. Uli Hoeneß, damals noch Manager des FC Bayern, wehrte sich heftig gegen jegliche Kritik an Breno und knöpfte sich jeden einzeln vor, der es gewagt hatte, seinen Brasilien-Import madig zu machen.

Nach einem Liga-Heimspiel hielt Hoeneß nach einem Reporter einer Münchner Zeitung Ausschau, der einen Breno-kritischen Text verfasst hatte, und drosch auf diesen verbal ein. "Was Sie da über Breno geschrieben haben, ist das schlechteste, was ich in den letzten 30 Jahren gelesen habe. Breno hat im Moment noch gute Leute vor sich, aber er ist einer der besten Innenverteidiger der Welt, das werden Sie auch noch mitkriegen!", schimpfte Hoeneß, während er dem Reporter mit erhobenem Zeigefinger auf die Brust klopfte.

Kurzes Glück in Nürnberg

Diesen Vertrauensvorschuss konnte Breno nie rechtfertigen. Er war nicht in der Lage, dem Fußball, seinem Lebensinhalt, die nötige Aufmerksamkeit zu widmen. Sein Leben in Deutschland lief an ihm vorbei. Weil er den deutschen Führerschein nicht schaffte, muss er sich bis heute chauffieren lassen. Sein ehemaliger Manager, der im Gerichtssaal pikante Details von Brenos Alkoholsucht wie das plötzliche Imitieren von Tierstimmen oder nächtliche Jagden durch Hotelflure preisgab, fing ein Verhältnis mit seiner Frau an.

Glücklich war Breno in Deutschland nur zwei Monate lang. Im Januar 2010 ließ er sich wegen Perspektivlosigkeit bei Bayern für ein halbes Jahr zum 1. FC Nürnberg ausleihen. Beim Club war Breno Stammspieler, ehe er am 7. März 2010 gegen Leverkusen einen Kreuzbandriss erlitt. Trotzdem sagt Breno: "In Nürnberg hatte ich ein lustigeres Leben, da habe ich immer gespielt."

Alkohol und Medikamente

Nach einer Operation in den USA kehrte Breno nach München zurück und schuftete für sein Comeback. Ende 2010 schien sich seine Bayern-Zeit doch noch zum Guten zu wenden. Ausgerechnet gegen Nürnberg kehrte er Mitte November auf den Platz zurück und machte anschließend als Vertreter des verletzten Holger Badstuber sechs Spiele über die volle Distanz.

Trainer Louis van Gaal überzeugen konnte er jedoch nicht. Schon im Winter-Trainingslager in Doha bekam Breno mehrfach den Zorn von Co-Trainer Andries Jonker zu spüren, weil er die Anforderungen im taktischen Bereich nicht erfüllte. Immer wieder hatte Jonker auf Breno eingeredet und ihm Hilfestellungen gegeben, doch Breno reagierte geistig abwesend.

Breno fand sich in der Rückrunde wieder auf der Bank oder der Tribüne wieder, im Mai 2011 musste er erneut am Knie operiert werden, weil sich Wasser im Gelenk angesammelt hatte.

Breno bekam immer stärkere Depressionen und ertränkte seinen Kummer im Alkohol. Zudem nahm er regelmäßig Schmerz- und Schlaftabellen, die er nach eigener Aussage teilweise einem unverschlossenen Medizinschrank des FC Bayern entnahm, weshalb seit Mittwoch auch gegen den Verein staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz laufen.

Abschiebung als Chance

Seine Zeit in Deutschland beschrieb Breno im September 2010 einmal so: "In Brasilien hatte ich weniger Geld und weniger Luxus, aber ich war ein glücklicher Mensch. Hier habe ich Geld, aber mir fehlt alles andere."

In der Nacht auf den 19. September 2011 zerstörte Breno nicht nur sein gemietetes Haus in Grünwald, sondern auch ein Stück seines eigenen Lebens und das seiner Familie. Für drei Jahre und neun Monate muss er ins Gefängnis, Richterin Rosi Datzmann sagte zum Schluss: "Nach zweieinhalb Jahren haben Sie die Chance auf eine Abschiebung nach Brasilien."

Ein derart negativ behaftetes Wort wie Abschiebung könnte für Breno die Chance auf ein neues, ein besseres Leben sein, das er in Deutschland nicht hatte.

Teilschuld des FC Bayern?

Die wahren Gründe, warum er so oft den Boden unter den Füßen verlor, kennt nur Breno selbst. Giovane Elber, der den Prozess im Gerichtssaal miterlebte, gab dem FC Bayern eine Teilschuld an der menschlichen Tragödie. Der Verein würde mit jungen Spielern schlecht umgehen, bei Integrationsproblemen müsse der Klub besser aufpassen.

Der FC Bayern hat sich nicht nur durch sportliche und wirtschaftliche Erfolge eine Ausnahmestellung in Deutschland erarbeitet, sondern auch durch zahlreiche soziale Engagements. Im Fall Breno agierte der Klub aber in den letzten Monaten nach außen hin unglücklich. Zwar drückte der FC Bayern in einer Presseerklärung sein Bedauern über das Gerichtsurteil aus und sagte Breno Unterstützung zu, ein persönliches Statement von Hoeneß oder Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge gab es aber nicht.

Breno ist zu wünschen, dass er sein Leben schnellstmöglich in den Griff bekommt. Ein junger Mann, dem eine Weltkarriere im Profi-Fußball prophezeit wurde, ist auf dramatische Art und Weise gescheitert. An eine Fortsetzung seiner Karriere als Fußballer ist - zumindest vorerst - nicht zu denken.

Breno: der ehemalige Bayern-Spieler im Steckbrief

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