BVB-U23-Leiter Ingo Preuß im Interview: "Moukoko ist mit Sicherheit noch nicht 17"

Aufgrund seiner Torquote und des jungen Alters in den Schlagzeilen: BVB-Talent Youssoufa Moukoko
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SPOX: Die Dortmunder U23 befindet sich vor fast jeder Saison in einem großen personellen Umbruch. Sie sind für die Kaderplanung verantwortlich. Das zog sich vor dieser Saison sehr lange hin, da sich die Zukunft des ehemaligen Trainers Daniel Farke erst spät entschied.

Preuß: Eigentlich war ich im März schon mit der Planung fertig, durch den Weggang von Daniel Farke brachen aber noch einige Spieler zusätzlich weg. Daniel knüpfte seine Zukunft auch an die von Thomas Tuchel. Matthias Kleinsteiber ging als Torwarttrainer zu den Profis, einer unserer Athletiktrainer folgte Daniel nach Norwich. Letztlich hatte ich 14 Tage vor Saisonstart noch keinen Trainer. Einen Co-Trainer hatte ich auch nicht, dazu waren fünf, sechs Positionen noch vakant. Ich musste in den letzten Tagen noch richtig zupacken, das war Stress pur.

SPOX: Wie sind Sie vorgegangen?

Preuß: Ich habe in meinen Scouting-Utensilien gekramt. Ich verfasse seit jeher über alle Drittliga- und Regionalligaspiele einen Spielbericht für mich und mache mir Notizen zu den einzelnen Spielern. So konnte ich überblicken, wen man gebrauchen könnte. Daraufhin habe ich die Berater kontaktiert oder auch Spieler gefragt, die andere Spieler kennen. Die Gespräche mit potentiellen Neuzugängen waren wahnsinnig schwer, da ich ja keinen Trainer an meiner Seite hatte.

SPOX: Wie viele Bewerbungen trudeln denn ein, wenn der Posten als U23-Coach beim BVB frei wird?

Preuß: 50 bis 70.

SPOX: Wie viele Kandidaten waren am Ende wirklich in der Verlosung?

Preuß: Ich habe mich mit einigen getroffen, es waren teilweise schon mühselige Gespräche. Man merkt aber gleich, wenn man eine gemeinsame Affinität entwickelt. Ich weiß noch, wie ich beim ersten Gespräch mit Daniel Farke eine halbe, dreiviertel Stunde eingeplant hatte und wir letztlich drei Stunden zusammensaßen. Mit Jan Siewert, der es letztlich geworden ist, hatte ich mich auch schon ein Jahr zuvor nach seinem Ende bei Rot-Weiss Essen getroffen.

SPOX: Liegt dann die Entscheidung über den neuen Trainer bei Ihnen allein?

Preuß: Am Ende gab es ein Gespräch zu dritt. Michael Zorc war auch dabei, damit er Jan auch kennenlernen konnte. Michael hatte wie ich ein gutes Gefühl, deshalb haben wir uns für ihn entschieden.

SPOX: Wie eng ist denn grundsätzlich der Draht und die Abstimmung mit den Verantwortlichen der Profiabteilung?

Preuß: Ich habe mit Michael Zorc und Sven Mislintat einen außergewöhnlich guten Kontakt. Wenn wir verlieren oder nicht gewinnen, habe ich Michael am Hals. Das ist dann so ein bisschen Foppen. (lacht) Wenn ich aber Sorgen habe, kann ich mich auf jeden Fall an sie wenden. Das hilft mir natürlich enorm. Ansonsten sprechen wir regelmäßig über die Entwicklung der Spieler und deren Perspektiven.

SPOX: Lassen Sie uns das auch tun: Am letzten Tag der Sommer-Transferperiode hat der BVB neben Jadon Sancho noch ein weiteres Talent von Manchester City verpflichtet: den 20-jährigen Denzeil Boadu, der zuvor bereits in der Jugend bei Tottenham und Arsenal spielte. Weshalb ging dieser Transfer so geräuschlos über die Bühne?

Preuß: Denzeil war über zwei Jahre lang fast durchgängig verletzt. Wir haben den Tipp von Jadon bekommen. Wir versuchen ja immer wieder solche Spieler zu kriegen, die schon frühzeitig als sehr talentiert galten, um aus ihnen noch einmal alles herauszuholen und sie in höheren Ligen zu etablieren.

SPOX: Youssoufa Moukoko ist zwar kein Bestandteil der U23, bestimmt aber in der B-Junioren Bundesliga West die Schlagzeilen. Er hat 16 Treffer in sieben Partien erzielt - und das im Alter von zwölf Jahren, was allerdings angezweifelt wird. Wie beurteilen Sie diese Personalie?

Preuß: Ich bin zunächst kein Experte, was das Alter von Kindern angeht. An meiner Schule gibt es über die Jahre immer wieder Jungs, die erheblich älter aussehen oder einen stärkeren Bartwuchs haben als andere. Ich könnte mir bei Youssoufa vorstellen, dass sein Alter lediglich geschätzt worden ist. Vielleicht ist er in Wirklichkeit ein, zwei Jahre älter. Er ist aber mit Sicherheit noch nicht 17. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

SPOX: Wie geht er momentan mit dieser zweischneidigen Situation um?

Preuß: Das ist für den Jungen natürlich ganz schwierig. Er hat sich nichts vorzuwerfen, denn er betrügt ja nicht. Ich habe bei Bayern München mal einen 13-Jährigen gesehen, der auch wie 18 aussah. Der Unterschied war nur, dass über ihn nichts geschrieben wurde, weil er nichts konnte.

SPOX: Zurück zur Trainerfrage: Siewerts Spielidee unterscheidet sich bisweilen von Farkes Philosophie. War das bei der Auswahl egal oder ist es bei der U23 essentiell, dass der Trainer ähnliche Ansichten verfolgt wie der Coach der Profis?

Preuß: Nein, das hat man als Trainer zu entwickeln. Wir suchen ja auch niemanden aus, der nicht flexibel ist. Man würde es bereits in den Gesprächen merken, wenn ein Trainer nur eine Idee vom Fußball vertritt. Jan bleibt jetzt noch fünf Jahre hier und dann gehen wir gemeinsam nach England. Schließlich sind mit Wagner und Farke beide Trainer, mit denen ich hier zu tun hatte, auf die Insel gegangen und jetzt Millionäre. Der einzige, der immer noch am Helmholtz-Gymnasium arbeitet, bin ich. (lacht)

SPOX: Gab es in den letzten 25 Jahren denn konkrete Angebote für Sie, den Verein zu verlassen?

Preuß: Im letzten Dezember flatterte per Email ein Angebot als Scout bei einem großen Klub aus der Premier League herein, mit dem ich dann zumindest auch einmal telefoniert habe. Das ehrt mich schließlich und da habe ich mich auch so richtig gebauchpinselt gefühlt. Zu meiner Zeit als Scout wollte mich mal ein Zweitligaverein als sportlichen Leiter haben.

SPOX: Und wieso ist daraus nichts geworden?

Preuß: Ich bin Borusse und habe immer in Dortmund gewohnt. Das wird auch so bleiben.

SPOX: Könnten Sie sich aber vorstellen, noch einmal für einen anderen Klub zu arbeiten?

Preuß: Das halte ich höchstens im Scoutingbereich für möglich. Dafür müsste aber schon etwas Außergewöhnliches passieren.

SPOX: Wer 25 Jahre am Stück beim BVB arbeitet, hat in den meisten Fällen längst Legendenstatus erreicht. Sie dagegen sind der breiten Öffentlichkeit und vielen Fans nicht wirklich ein Begriff. Schade oder gerade recht?

Preuß: Das ist mir sehr recht. Ich möchte nicht regelmäßig in der Zeitung stehen und halte mich lieber im Hintergrund. Mir reicht es, wenn mich meine Leute hier im Klub schätzen. Ich hatte sogar mal Autogrammkarten. Fünf Stück bin ich losgeworden, vier davon an meine Oma. (lacht)

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