"Das hat mit Fußball nichts mehr zu tun"

Von Interview: Frank Oschwald
Ingo Hertzsch wechselte vor der Saison vom FC Augsburg zum RB Leipzig in die Oberliga
© Getty

Der Oberliga-Auftakt zwischen Carl Zeiss Jena II und dem RB Leipzig wurde von Ausschreitungen überschattet. Ingo Hertzsch war einer der Betroffenen. Im Interview mit SPOX spricht er über Hasstiraden fremder Fans, die Gründe für den persönlichen Abstieg in die Oberliga und die Zukunft des Projekts RB Leipzig.

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SPOX: Herr Hertzsch, haben Sie in ihrer Karriere schon mal eine solche Abneigung gegen ihre Person gespürt?

Ingo Hertzsch: Eine gewisse Abneigung in fremden Stadien erlebt man immer wieder, allerdings habe ich nicht damit gerechnet, dass es so wahnsinnig werden wird. Dass wir gerade bei Auswärtsspielen auf wenig Gegenliebe stoßen, wussten wir.

SPOX: Es gab vor dem Spiel gegen Jena II Sitzblockaden, der Bus wurde mit Flaschen beworfen, Spieler wurden beim Warmlaufen mit Bier beschüttet. Was denkt man in so einer Situation?

Hertzsch: Man fragt sich, wer eigentlich den Fußball kaputt macht? Wir, der angebliche Kommerzverein, oder diese so genannten Fans? Schließlich waren auch Familien mit Kindern im Stadion. Wie soll denn ein Familienvater seinem Sohn erklären, was da gerade passiert? Das ist schon traurig.

SPOX: Einige Spieler wurden sogar bespuckt. Muss man sich da im Griff haben, dass man nicht ausrastet?

Hertzsch: Provozieren lassen, darf man sich logischerweise nicht, denn darauf legen diese Fans es ja letztlich an. Allerdings ist so eine Situation für junge Spieler nicht einfach.

SPOX: Haben Sie eine solche Fan-Reaktion erwartet, als Sie ihren Vertrag in Leipzig unterschrieben haben?

Hertzsch: Ich habe schon damit gerechnet, dass wir nicht beliebt sind. Aber dass es in so einer Feindseligkeit ausartet, hätte ich nicht gedacht.

SPOX: Was würden Sie den Leuten, die Sie und Ihre Mitspieler so bedroht haben, gerne sagen?

Hertzsch: So wie die reagiert haben, denke ich nicht, dass sie gesprächsbereit sind.

SPOX: Sie mussten direkt nach dem Spiel in den Teambus flüchten. Wie war dort die Stimmung?

Hertzsch: Wir hatten zuerst das Spiel zu verarbeiten. Aber natürlich ist es komisch, dass man sich nach dem Spiel wie ein Verbrecher wegschleichen muss und von zirka zehn Polizeifahrzeugen begleitet wird. Das hat alles nichts mehr mit Fußball zu tun.

SPOX: Hat der Trainer eine solche Situation in einer Teamsitzung mal angesprochen?

Hertzsch: Überhaupt nicht, wir haben ja gar nicht damit gerechnet. Die Sicherheitskräfte sollten ja eigentlich darauf vorbereitet sein. Das ist bei unseren Heimspielen auch der Fall, aber in Jena haben sie die ganze Sache ein wenig unterschätzt.

SPOX: Darf man jetzt bei jedem Auswärtsspiel mit diesen Ausschreitungen rechnen?

Hertzsch: Ich hoffe nicht und wünsche mir, dass die Sicherheitsleute der gastgebenden Vereine daraus gelernt haben.

SPOX: Mit welchen Gefühlen fährt man dann zum nächsten Auswärtsspiel?

Hertzsch: Wir als Mannschaft versuchen das auszublenden und es den Sicherheitskräften und der Polizei zu überlassen. Das Drumherum hat uns nicht zu interessieren.

SPOX: In wenigen Wochen steht dann das Spiel gegen den Erzrivalen Lokomotive Leipzig an, welches wahrscheinlich aus Sicherheitsgründen ins Zentralstadion verlegt werden wird. Was meinen Sie dazu?

Hertzsch: Ich denke, dass im Zentralstadion von der Sicherheit alles gegeben sein wird. Aber es wird definitiv ein sehr interessantes Derby werden.

SPOX: Ist es nicht traurig, dass man ein Oberliga-Spiel aufgrund von drohenden Ausschreitungen verlegen muss?

Hertzsch: Natürlich ist es traurig. Aber solange solche Idioten rumlaufen, bleibt uns keine andere Wahl.

SPOX: Trotz des Favoritenstatus haben Sie bei Jena II nur 1:1 gespielt. Haben die Umstände die Mannschaft in irgendeiner Form beeinflusst?

Hertzsch: Den einen oder anderen hat das sicherlich beeinträchtigt. Dennoch ist das Spiel für uns einfach schlecht gelaufen. Der Punkt ist zwar zu wenig, aber wir sind auf dem richtigen Weg.

SPOX: Die Mannschaft bleibt dennoch der Top-Favorit auf den Aufstieg. Könnte die Abneigung der Fans der Meisterschaft im Weg stehen?

Hertzsch: Es war jetzt erstmal ein kleiner Schock, dass es so krass wurde. Aber irgendwann werden wir uns daran gewöhnen müssen. Das als Alibi zu nehmen, wenn es mal nicht so läuft, geht sicherlich nicht.

SPOX: Denken Sie, dass in Leipzig etwas Großes entstehen könnte?

Hertzsch: Das ist bislang nur der Anfang. Wir müssen so schnell wie möglich schauen, dass wir die Oberliga hinter uns lassen. In höheren Ligen wird dann mehr Ruhe einkehren, da die Sicherheitsvorkehrungen doch strenger sind.

SPOX: Wie viel Identifikation mit dem Ort Markranstädt ist überhaupt noch da? Immerhin kommen die neuen Klub-Besitzer nicht mal aus Deutschland.

Hertzsch: Wir nutzen Markranstädt derzeit als Trainings- und Spielstätte. Auf lange Sicht ist es sicher das Ziel, in Leipzig ansässig zu werden und sich mit dieser Stadt zu identifizieren.

SPOX: In den USA sind solche Franchise-Systeme völlig normal. Müssen sich die deutschen Fans über kurz oder lang an solche Umstände gewöhnen?

Hertzsch: Im Osten haben es die Vereine ohne wirtschaftliche Unterstützung sehr schwer. Es ist eine Chance für die Region und für die Leute, wieder bezahlten Fußball sehen zu können. Denn alle anderen Vereine haben es bislang nicht geschafft, sich zu etablieren. Ohne wirtschaftliche Hilfestellungen geht es leider nicht.

SPOX: Geht dabei nicht die Tradition und Romantik, die der Fußball versprüht, verloren?

Hertzsch: Jeder Verein wurde irgendwann mal gegründet und jeder Verein musste auch mal anfangen. Man sollte den "neuen Klubs" dann auch mal eine Chance geben.

SPOX: Kommen wir zu Ihnen: Sie haben bis 2006 regelmäßig in der Bundesliga gespielt und hatten in der letzten Saison noch viele Zweitliga-Einsätze. Warum der Schritt in die Oberliga?

Hertzsch: Es hat mich gereizt, in meiner Karriere mal was völlig anderes zu machen.

SPOX: Hand aufs Herz: War es letztlich nicht einfach das beste Angebot?

Hertzsch: Nein, es ist in gewisser Weise ein richtiges Abenteuer für mich, den Verein neu aufzubauen und dabei auch Einfluss zu haben.

SPOX: Dafür nehmen Sie dann auch den Schritt in Kauf, drei Ligen tiefer spielen zu müssen?

Hertzsch: Klar, das ist kein Problem für mich. Ich hätte vielleicht auch noch ein paar Jahre zweite und dritte Liga spielen können. Aber jetzt mal was völlig anderes zu machen, hat mich eben gereizt.

SPOX: Wollen Sie neben dem sportlichen Erfolg auch missionieren und zeigen, dass das Hassobjekt im Prinzip auch ein ganz normaler Klub ist?

Hertzsch: Natürlich wollen wir die Leute für uns gewinnen. Aber ich denke, das Hassobjekt werden wir trotzdem bleiben.

SPOX: Sieht die Mannschaft sich als zweites Hoffenheim?

Hertzsch: So weit denken wir noch nicht. Was da irgendwo anders passiert ist, interessiert uns nicht. Wir sehen uns als RB Leipzig.

SPOX: Schaut man da nicht hin und denkt, "Mensch, so könnten wir das eigentlich auch machen."

Hertzsch: (lacht) Man kann hinschauen und sagen, "Hey, so wird es vielleicht mal sein."

SPOX: Ein Blick in die Zukunft: Wir sind im Jahr 2015. Gegen wen spielt der RB Leipzig dann?

Hertzsch: Ich hoffe gegen Bayern München.

SPOX: Ist das realistisch?

Hertzsch: Es wäre natürlich optimal, wenn das schnell funktionieren würde. Dennoch wissen wir auch, dass der direkte Aufstieg nicht jedes Jahr klappen wird.

SPOX: Wie sehen ihre persönlichen Planungen aus?

Hertzsch: Ich habe nun vorerst einen Zwei-Jahres-Vertrag mit dem RBL. Wenn ich anschließend gesund und fit bin, spricht nichts dagegen, noch ein wenig weiter zu spielen.

Steckbrief: Ingo Hertzsch