"Elitär sein und Weltspitze angreifen"

Heiko Vogel ist sportlicher Leiter im Nachwuchszentrum des FC Bayern
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SPOX: Ihr Erfolg lässt sich für die Öffentlichkeit daran messen, dass Sie zum einen Ergebnisse liefern und zum anderen Spieler fördern, die es zu den Profis schaffen. Sagen Sie etwa im Fall Fabian Benko, dass er eine Granate ist und eine Chance bei den Profis verdient oder wissen Guardiola, Gerland und Co. schon längst das, was Sie wissen?

Vogel: Im Fall von Fabian war es so, dass ich gesagt habe: ‚Tiger, schaut euch den mal persönlich an. Der hat Dinge drauf, die machen Freude!' Und dann ist es einfach positiv, dass Pep keine Rücksicht auf das Alter nimmt: Das kann auch mal ein 15- oder 16-Jähriger sein. Er sagt dann: 'Bring mir den!' Das Schönste ist, wie auch bei Fabian Benko geschehen, dass man über so einen Spieler dann auch immer einheitlich denkt.

SPOX: Man lechzt nach dem nächsten Bayern-Talent, das den Durchmarsch nach oben schafft. David Alaba war der Letzte, der sich wirklich oben durchgesetzt hat, wobei dieser wohl einige Alleinstellungsmerkmale hatte. Dennoch: Ist Benko der Nächste?

Vogel: Man muss auch immer die Position berücksichtigen. Fabian ist ein Offensivspieler mit einem sehr sensiblen und feinen Fuß. Ich denke, dass es mehr Zeit braucht, sich auf einer offensiven Position oben zu etablieren als vielleicht als Linksverteidiger oder Rechtsverteidiger. Sie haben aber richtig gesagt: Alaba, aber auch Philipp Lahm, sind herausragende Talente auf der Welt. Fabian hat hervorragende Anlagen, aber es muss noch Vieles dazukommen, damit er diesen Schritt schaffen kann. Die Vision ist auf jeden Fall da.

SPOX: Ich versetze mich in die Lage eines Junioren-Spielers. Ich will Erfolg mit der Mannschaft, aber ich möchte vor allem selbst nach oben kommen. Das ist auch sicher für Sie immer wieder eine gern genommene Motivationsspritze. Gehen die Argumente aber dann aus, wenn Sinan Kurt, Julian Green und Gianluca Gaudino zurückgestuft werden?

Vogel: Was diese Talente verbindet, ist ihre Liebe zum Fußball. Sie differenzieren das schon im Kopf. Ich denke nicht, dass es eine Degradierung war, sondern eine andere Möglichkeit, ihnen die Chance zu geben, sich zu zeigen. Es gibt kein Talent ohne Mannschaft. Sie wissen alle, dass sie auch als herausragendes Talent in einer nicht funktionierenden Mannschaft scheitern können. Der Reifeprozess beinhaltet auch, das zu begreifen.

SPOX: Sinan Kurt ist ein Rohdiamant, ein genialer Spieler. Aber hat er auch die mentale Reife, um das so klar zu analysieren?

Vogel: Das Schöne an meiner Arbeit ist, dass ich mit tollen, ambitionierten und talentierten Fußballern arbeite, die sich von vielen anderen unterscheiden, aber auf der anderen Seite noch den Feinschliff brauchen. Ganz oben muss man dafür sorgen, dass alles passt, dass sich das Rad dreht, aber ich habe in meiner Rolle eine andere Sicht und nehme die Entwicklung deutlich mehr wahr. Deswegen verliere ich auch nie den Glauben, dass die großen Talente es bei uns auch schaffen.

SPOX: Es hilft sicher nicht weiter, wenn sich Maurizio Gaudino öffentlich darüber echauffiert, dass sein Sohn zur U23 muss...

Vogel: Das sind Dinge, die ich nicht beeinflussen kann. Das ist die Sache von Familie und Berater und nicht meine. Ich nehme Gianni wahr. Er ist derjenige, der mich interessiert. Wenn ich sehe, mit welcher Freude er im Training mit dem Ball umgeht, dann ist es das, was für mich zählt. Sobald er das zeigt, mache ich mir keine Sorgen um ihn.

SPOX: Noch trainieren Gaudino, Kurt und alle anderen Jugendspieler auf den Nebenplätzen der Säbener Straße. 2017 zieht dann der komplette Nachwuchs in das eigene Zentrum im Münchener Norden. Ist es zu romantisch gedacht, dass der Blick eines jungen Burschen rüber zu den Profis dadurch verloren geht?

Vogel: Das Romantische hat was. Das hat in der Tat einen tollen Flair, wenn alle zusammen sind, aber leider Gottes hat sich der aktuelle Fußball so weiterentwickelt, dass wir infrastrukturell reagieren müssen. Wir brauchen einfach mehr Platz, um unsere jungen Talente optimal zu fördern. Das ist an der Säbener Straße möglich, aber nicht in dem Ausmaß, in dem wir es gerne hätten.

SPOX: Kann der Bau allein die Nachwuchsförderung des FC Bayern verbessern, weil man mehr Platz hat?

Vogel: Es ist ein Impuls und sollte einen Antrieb geben, aber der Bau allein entwickelt keinen jungen Spieler. Entscheidend ist, was wir daraus machen, mit welchen Inhalten wir das angehen.

SPOX: Im Herrenbereich gehört der FC Bayern zur Weltelite. Im Nachwuchsbereich hinkt man der internationalen Konkurrenz hinterher. Ist das der größte Antrieb, den Anschluss herzustellen?

Vogel: Ich sehe das anders. Ich erinnere gerne daran, dass 2014 die Jugendarbeit des FC Bayern entscheidenden Einfluss auf den Weltmeister-Titel hatte. Das sollte man auch mal erwähnen dürfen. Fakt ist aber auch, dass die letzten Jahre nicht das gebracht haben, was die Erwartung intern und extern gewesen ist. Ich meine da auch nicht unbedingt die fehlenden Titel, sondern die Spieler, die es nach oben geschafft haben. Thomas Müller ist ein riesen Titel. Thomas Müller als Trophäe ist mir wichtiger als der Gewinn der Youth League.

SPOX: Man kann dem aber entgegnen, dass Thomas Müller sein Profidebüt schon 2008 gegeben hat. Danach ist nicht mehr viel gekommen.

Vogel: Ja. Mir ist natürlich bewusst, dass die Wahrscheinlichkeit höher sein kann, dass ein neuer Müller rausspringt, wenn man die Youth League gewinnt. Philipp Lahm war A-Jugend-Meister, Toni Kroos und Holger Badstuber standen im Endspiel.

SPOX: Sie werden im neuen Nachwuchsleistungszentrum mehr Platz haben, auch im Internat. Wird der FC Bayern offensiver bei Jugendtransfers oder bleibt man bei der Absicht, vorwiegend Spielern aus der Umgebung eine Chance zu geben?

Vogel: Es ist ganz klar, dass wir finanziell mehr in qualitativ hochwertige Spieler investieren wollen. Es muss aber alles im sinnvollen Rahmen stattfinden. Der FC Bayern will sicher nicht den Weg der englischen Klubs gehen, die nicht wissen, wohin sie das viele Geld stecken sollen und inflationäre Ablösesummen für Talente zahlen, die es letztendlich doch nicht schaffen.

SPOX: Die Basis soll aber dennoch das Talent aus der Umgebung sein, oder? Und wenn ein Martin Ödegaard auftaucht, bemüht man sich um ihn?

Vogel: Richtig. Oder eben auch ein Toni Kroos, der damals aus Rostock geholt wurde. Oder wie jetzt Timothy Tillman. Wir verstärken uns lieber punktuell, anstatt jedes Jahr zehn Spieler zu holen, weil die Wahrscheinlichkeit einfach nicht hoch ist, dass es jedes Jahr so viele Talente schaffen.

SPOX: Klubs wie Barcelona, Stichwort La Masia, aber auch Manchester United haben Wiedererkennungsmerkmale in ihrer Jugendarbeit. Für was soll der FC Bayern künftig stehen?

Vogel: Wir können es uns gar nicht aussuchen, wie wir sein wollen. Wir müssen Erfolg haben und dem gerecht werden, was von uns erwartet wird. Das ist eine wunderschöne Verantwortung, eine tolle Aufgabe, aber eben auch eine schwierige. Wir können und wollen beim FC Bayern kein Mittelmaß vertreten. Es geht darum, elitär zu sein und die Weltspitze anzugreifen. Und mit unserem "mia san mia" sind wir identifikationsstiftend, wenn wir unsere jungen Talente nach oben bringen.

SPOX: Auch die nationale Konkurrenz schläft nicht. Stuttgart, Wolfsburg, jetzt auch Leipzig. Überall wird erfolgreich gearbeitet. Wie sieht Ihr Struktur-Scouting aus?

Vogel: Wir brauchen einen sehr großen Tellerrand. Die Impulse hole ich mir überall her - nicht nur aus dem Fußball. Über meinen Co-Trainer bin ich an das Buch "Die Psychologie des Überzeugens" gekommen. Das kommt aus der Wirtschaft. Da gibt es ja auch Dinge, die wichtig sind: Wie nimmt man Menschen mit, wie baut man etwas auf? Auch im Basketball oder im American Football gibt es super Ansätze, die nicht eins zu eins umzusetzen sind, aber als Idee adaptiert werden können. Das Scouting endet nicht in Deutschland und nicht beim Fußball.

SPOX: Jürgen Klinsmann wurde damals belächelt, als er Bernhard Peters aus dem Hockey zum Fußball holte. Inzwischen ist Peters ein fester Bestandteil der Bundesliga.

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