Ter Stegen und Leno: Zurück in die Zukunft

Von Bastian Strobl
Marc-Andre ter Stegen (l.) ist eines der größten deutschen Torwarttalente
© Imago

Kahn und Lehmann reloaded: Marc-Andre ter Stegen von Borussia Mönchengladbach und Leverkusens Bernd Leno gehören zur neuesten Generation talentierter deutscher Torhüter. Charakterlich erinnern die beiden Keeper jedoch eher an die großen Konkurrenten des letzten Jahrzehnts. Trotzdem feierten sie ihren bislang größten Erfolg gemeinsam.

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Antagonist, der: In der Literatur der "Gegenhandelnde", der "Gegenspieler" zum Hauptprotagonisten. Meist verkörpert er das komplette Gegenteil vom "Helden", etwa auf optischer oder ethischer Ebene. Und dennoch teilen die beiden Charaktere nicht selten das gleiche Schicksal.

Wer Marc-Andre ter Stegen und Bernd Leno momentan beobachtet, denkt unweigerlich an diese Rollenverteilung. Auf der einen Seite der 19-jährige ter Stegen: Aufbrausend. Extrovertiert. Wild. Kahn-haft.

Ihm gegenüber: Bernd Leno, der bis zur Winterpause vom VfB Stuttgart nach Leverkusen ausgeliehen ist. Mit einer kühlen, nahezu besonnen Manier, die viele an Jens Lehmann erinnern lassen, geht er seiner Arbeit im Bayer-Kasten nach.

Sammer: Ter Stegen ist Kahn, Leno ist Lehmann

Die Namen Oliver Kahn und Jens Lehmann fallen in diesem Zusammenhang in letzter Zeit immer häufiger. Zwei Torhüter, die das letzte Jahrzehnt zwischen den deutschen Pfosten dominierten und doch von so unterschiedlicher Natur waren.

Es kommt also nicht von ungefähr, dass DFB-Sportdirektor Matthias Sammer die beiden Torwart-Talente mit den ehemaligen Weltklasse-Keepern vergleicht. "ter Stegen war für uns immer der Kahn und Leno der Lehmann", erklärte Sammer gegenüber "Sky".

"Für uns", das bedeutet für die deutschen Nachwuchs-Nationalmannschaften. Zusammen sprang dabei 2009 der größte Erfolg heraus: U-17-Europameister im eigenen Land. Während der Gladbacher allerdings als Stammtorhüter mit von der Partie war, musste sich Leno mit dem Platz auf der Bank begnügen.

Trotzdem betonte Sammer: "Meistens haben wir uns für ter Stegen entscheiden, aber in allen anderen Nationen hätte Leno gespielt."

Karrierebeginn als Feldspieler

Dass der Neu-Leverkusener überhaupt im Tor steht, hat Leno einem puren Zufall zu verdanken. Bei einem Hallenturnier vor elf Jahren fehlte dem SV Germania Bietigheim der Torwart. Also schnappte sich Leno, bis dahin Mittelfeldspieler, die Handschuhe und behielt sie bis heute an.

Auch ter Stegen nahm den Umweg über das "Feld". Bis zur E-Jugend. Dann fiel einigen bei der Borussia offenbar auf, dass der gebürtige Gladbacher einen komischen Laufstil hegte. "Ich kam nur ins Tor, weil ich so krumm lief", gab ter Stegen einst zu.

Rückblickend die richtige Entscheidung. Schnell erkannten die Trainer der U-Mannschaften das Talent ter Stegens. Mit 15 Jahren durfte er schon erstmals bei den Profis reinschnuppern. Viere Jahre später hat er bereits zehn Bundesligaspiele auf dem Buckel.

Debüt gegen den 1. FC Köln

Sein Debüt feierte er dabei ausgerechnet gegen den Erzrivalen aus Köln. Mehr Motivation geht für einen Gladbacher eigentlich nicht. Mehr Druck aber auch nicht.

Die Lösung von Coach Lucien Favre: simpel, aber effektiv. "Er hat dadurch, dass er mich erst einen Tag vor dem Spiel informiert hat, den Druck von mir genommen. Er hat mich natürlich gefragt, ob ich bereit dafür bin. Wie soll es auch anders sein, wenn man aus Mönchengladbach kommt und man gegen Köln spielen darf, dann ist das gar keine Frage", blickte ter Stegen bei "Radio 90,1" auf sein Debüt und den 5:1-Erfolg über die Geißböcke zurück.

Drucksituationen, mit denen er auch kurze Zeit später umgehen musste. Bei der Relegation gegen Bochum stand für Gladbach sowohl sportlich als auch finanziell viel auf dem Spiel.

Ter Stegen: Positiv verrückt wie der Titan

Im Volksmund sagt man: Ein Schlechter bricht unter dem Druck zusammen. Ein Guter hält's aus. Ter Stegen hielt es aus. Gladbach schaffte den Klassenerhalt. Und der Keeper bewies, dass er den Vergleich mit Oliver Kahn nicht scheuen muss.

"Er hat viele Eigenschaften, die mir gefallen. Kahn lebt Fußball, er hat einen unbändigen Siegeswillen und setzt viele Emotionen in sein Spiel", erklärte ter Stegen gegenüber der "Bild"-Zeitung.

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Wenn er mal wieder mit geballten Fäusten eine Parade feiert oder seine Vorderleute lautstark dirigiert, erscheinen zwangsläufig Bilder des ehemaligen Bayern-Torwarts vor dem inneren Auge. Als "Mini-Kahn" gefeiert, ähnelt sein Spielstil jedoch viel mehr den Neuers und van der Sars dieser Welt. Mitspielend außerhalb des Strafraums, dynamisch auf der Linie.

Über den Jugendtag zum VfB Stuttgart

Eigenschaften, die auch Bernd Leno für sich beanspruchen darf. Und die der VfB Stuttgart erstmals im Jahr 2003 zu Gesicht bekam. "Ich hatte mich beim VfB-Jugendtag angemeldet und dann gegen die Jungs aus meinem Jahrgang durchgesetzt", so Leno in der "Bild"-Zeitung über seine Anfänge.

Bei den Schwaben durchlief er in den folgenden Jahren fast alle Jugendmannschaften. Schon damals waren die Trainer vor allem von der Ruhe, die Leno ausstrahlte, mehr als beeindruckt.

Tipps von Jens Lehmann

Vor einigen Jahren ging es für den Torwart dann zu den Profis. Das Highlight: Training mit Jens Lehmann. Eine besondere Erfahrung, wie Leno zugab.

"Er hat mir Tipps fürs Leben gegeben", so Leno: "Jens meinte zu mir: In der Jugend hat man noch die Chance, bei Flanken mutig rauszugehen, auch auf die Gefahr hin, mal vorbeizufliegen. Und ich sollte begreifen, dass es im Sport nicht immer nur bergauf gehen kann."

Momentan erweist er sich aber noch als Gipfelstürmer, der mehr mit Taten als Worten überzeugt. Spätestens seit seinen reflexartigen Paraden beim 0:0-Unentschieden gegen Borussia Dortmund wird Leno in einer Reihe mit den besten deutschen Torwarttalenten wie ter Stegen, Zieler, Baumann und Co. genannt.

Rekord von Dirk Krüssenberg in Gefahr

Die Stuttgarter können sich schon mal auf den 19-Jährigen freuen, wenn er im Winter wieder an den Neckar zurückkehrt. Ob der derzeitige VfB-Keeper Sven Ulreich auch so denkt, ist aber ungewiss.

Marc-Andre ter Stegen im SPOX-Interview: "Torhüter sind unterschiedlich verrückt"

Ein leichtes Unwohlsein in der Magengegend hat derzeit aber wahrscheinlich nur einer: Dirk Krüssenberg. Der ehemalige Keeper von Fortuna Düsseldorf blieb 1966 in seinen ersten 310 Bundesligaminuten ohne Gegentor. Ein Rekord. Noch. Denn Leno musste in seinen ersten drei Ligaspielen bisher noch nicht hinter sich greifen. Nur 41 Minuten fehlen zum Eintrag in die Geschichtsbücher.

Dass er trotzdem nicht den Lautsprecher mimt, spricht für sich und beweist erneut seine besonnene Art. "Ich kann mir dafür ja nichts kaufen", so sein lapidarer Kommentar über den möglichen Rekord im "Kicker".

Leno: Keine Angst vor Chelsea

Langsam versteht man jedoch, warum Fredi Bobic ihn als jemanden beschreibt, den nichts so schnell aus der Ruhe bringt. Der Keeper verliert auch wegen der anstehenden Champions-League-Spiele gegen den großen FC Chelsea nicht die Nerven. Denn er weiß: "Wer Angst hat, hat schon verloren."

Mit einer solchen Einstellung kann es ganz weit nach oben gehen. Vermutlich zusammen mit ter Stegen. "Es wäre schön, wenn wir uns in den kommenden Jahren häufiger begegnen würden", blickt Leno in die Zukunft.

Wer sich schlussendlich die Rolle als glorreicher Held schnappen wird, hängt auch davon ab, wer den Thron im DFB-Kasten besteigen wird. Das Ende? Vollkommen offen...

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