"Nur wenige Trainer haben mich überzeugt"

Von Interview: Daniel Börlein
Markus Gisdol schaffte in der letzten Saison mit Hoffenheim den Aufstieg in die Regionalliga
© Getty

In Hoffenheim soll Markus Gisdol die Stars der Zukunft formen. Schon in seiner ersten Saison schaffte der 41-Jährige mit der zweiten Mannschaft von 1899 den Aufstieg in die Regionalliga. Im Interview spricht er über Hoffenheims Nachwuchskonzept, spezielles Training für Trainer, Parallelen zu Thomas Tuchel und einen legendären Sofa-Abend.

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SPOX: Sie werden in Hoffenheim nicht nur an Ergebnissen gemessen. Bernhard Peters, Direktor für Sport- und Nachwuchsförderung bei 1899, fordert, dass jeder Trainer sein eigenes Profil aufbauen muss. Wie sieht das Profil des Markus Gisdol aus?

Gisdol: Es hat seine Ecken und Kanten. Ich habe klare Vorstellungen, was ich haben möchte und was nicht. Ich setze konzentrierte Trainingsarbeit voraus und die Spieler wissen genau, was ich haben will. Eine intakte Mannschaft ist der wichtigste Garant für den Erfolg - und für die individuelle Entwicklung. Außerdem bemühe ich mich darum, sehr offen für meine Spieler zu sein. Die Kommunikation zwischen mir und dem Team muss stimmen, ich sehe es als meine Traineraufgabe, bei Problemen immer den ersten Schritt zu machen und auf meine Spieler zuzugehen.

SPOX: Sie scheinen damit gut anzukommen in Hoffenheim. Wie kam es überhaupt zu dem Engagement bei 1899?

Gisdol: Es gibt eine sehr, sehr enge Verbindung zwischen mir und Helmut Groß...

SPOX: ... der auch der Mentor von Ralf Rangnick ist.

Gisdol: Helmut Groß und ich stammen beide aus Geislingen. Seit ich 1997 meine Karriere als Trainer startete, unterstützt er mich. Ich kann mich heute noch an einen legendären Abend bei ihm zu Hause auf dem Sofa erinnern, als wir sehr lange über Fußball philosophiert haben. Er hat mir seine Idee vom Fußball erklärt und den Weg aufgezeigt, den er propagiert. Das hat mich vollkommen überzeugt. In seinen Worten steckt sehr viel Wahres. Seine Ansichten sind meine Basis, die ich entsprechend weiter verfolge.

SPOX: Wie würden Sie Ihre bisherige Trainer-Laufbahn beschreiben?

Gisdol: Es ging steil bergauf, jedes Jahr gab es einen kleinen Karrieresprung. Dabei habe ich nie etwas geplant. Ich habe mir nie vorgenommen: So muss der nächste Schritt aussehen. Ich habe immer versucht, mich auf den Moment zu konzentrieren.

SPOX: Sie mussten Ihre aktive Karriere bereits mit 27 Jahren beenden. Haben Sie schon als Spieler wie ein Trainer gedacht?

Gisdol: Ich war ein Spieler, der immer versucht hat, das Spiel in die Hand zu nehmen und meine Mannschaft zu lenken. Die Trainer hatten es sicher nicht immer leicht mit mir.

SPOX: Weil Sie zu sehr das Heft in die Hand genommen haben?

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Gisdol: Eher, weil ich immer alles ganz genau wissen wollte und vieles hinterfragt habe. So arbeite ich auch heute als Trainer. Ich will die Spieler nicht nur informieren, sondern total überzeugen von dem, was wir machen. Zu meiner Zeit gab es da leider nur wenige Trainer, die mich total überzeugen konnten.

SPOX: Ihre bisherige Laufbahn ähnelt sehr der von Mainz-Coach Thomas Tuchel: Früh die aktive Karriere beendet, in der Jugend des VfB Stuttgart gearbeitet, später die 2. Mannschaft eines Bundesligisten übernommen. Tuchel ist nun Cheftrainer in Mainz. Werden Sie irgendwann Ralf Rangnicks Nachfolger in Hoffenheim?

Gisdol: Ich mache derzeit meine Fußball-Lehrerlizenz in Köln, das läuft noch bis März. Was danach kommt, weiß ich nicht. Da halte ich es wie bislang immer in meiner Laufbahn: Ich lasse es einfach auf mich zukommen.

SPOX: Sie haben in der letzten Saison mit einer jungen Mannschaft den Aufstieg in die Regionalliga geschafft. Neben dem Fußball sollen die Spieler in Hoffenheim aber auch andere Interessen entwickeln. Bernhard Peters, nennt das: eine zweite Identität entwickeln.

Gisdol: Deshalb haben wir im letzten Jahr unsere Aufstellungen manchmal auch danach analysiert, welcher Spieler was macht.

SPOX: Mit welchem Ergebnis?

Gisdol: Es war sehr häufig so, dass sich die erste Elf der U 23 fast ausnahmslos aus Spielern zusammensetzte, die nebenher einen Beruf nachgingen, studierten oder noch zur Schule gingen. Die drei, vier Spieler, die sich nur auf den Fußball konzentrierten, hatten dagegen immer Schwierigkeiten.

SPOX: Was schließen Sie daraus?

Gisdol: Die Belastungen, die die Jungs in diesem Alter mit Fußball und daneben Schule, Studium oder Berufsausbildung haben, macht sie unglaublich widerstandsfähig für ihren weiteren Weg. Zudem setzen sie damit nicht nur alles auf die Karte Fußball und schaffen sich eine gute Basis, falls es mit der Profi-Karriere nicht klappt. Durch diese Erweiterung des eigenen Horizonts werden sie einfach gefestiger.

SPOX: Kommen Ihre Spieler tatsächlich zu Ihnen und fragen Sie nach Ihrer Meinung, welchen Weg sie einschlagen könnten?

Gisdol: Auf jeden Fall. Da setzt man sich zusammen und bespricht, wie man die verschiedenen Wege mit dem Fußball verbinden kann. Wir wollen die jungen Spieler damit auch nicht alleine lassen. Deshalb gibt es mit Thomas Gomminginger auch einen Mann, der die Jungs zum Arbeitgeber begleitet und dabei hilft, Fußball und Ausbildung unter einen Hut zu bekommen.

SPOX: In Hoffenheim wird nicht nur auf die Talentförderung Wert gelegt, sondern auch auf die Weiterentwicklung bei den Trainern. Peters arbeitet dabei sehr eng mit Ihnen und den anderen Übungsleitern zusammen. Wie darf man sich das vorstellen?

Gisdol: Es ist jetzt keine Ausbildung im klassischen Sinn, eher ein Training für die Trainer. Im letzten Jahr haben wir beispielsweise kleine Workshops in kleinen Gruppen durchgeführt und dabei bestimmte Dinge diskutiert.

SPOX: Zum Beispiel?

Gisdol: Im Detail ist das schwer zu erklären. Es geht dabei um Mannschaftsführung, um den Umgang mit verschiedenen Situationen. Bernhard Peters ist für uns junge Trainer eine sehr große Hilfe, weil er aus seinem großen Erfahrungsschatz berichten und uns viele gute Ratschläge geben kann. Er hat immer ein offenes Ohr für uns.

SPOX: In der Regionalliga verlief der Saisonstart kurios. Nach drei Siegen mit 15:1 Toren folgten zwei Niederlagen. Auffallend ist bislang die starke Offensive. Auch die Bundesliga-Mannschaft propagiert einen offensiven Fußball. Gibt es die Vorgabe, sich daran zu orientieren?

Gisdol: Der Verein lebt generell eine einheitliche Philosophie vor, die wir vom Jugend- bis in den Profibereich durchziehen wollen. Von der Vierer-Abwehrkette abgesehen wird die taktische Formation allerdings nicht vorgegeben. Ich muss also nicht zwingend mit drei Stürmern spielen, da habe ich freie Hand. Die Philosophie muss aber immer die gleiche sein.

SPOX: Und die heißt Offensiv-Fußball?

Gisdol: Es geht nicht nur um offensiven Fußball, sondern auch um sehr aggressives Spiel gegen den Ball. Bei eigenem Ballbesitz sollten alle Spieler Qualitäten nach vorne mitbringen. Sprich: Im Idealfall agiert beispielsweise ein Außenverteidiger bei Ballbesitz wie ein Außenstürmer. Das sind Dinge, die wir in allen Jugend-Mannschaften fördern.

SPOX: Wer gibt diese Philosophie vor?

Gisdol: Grundsätzlich ist es so, dass in Hoffenheim alle Trainer eine verwandte Philosophie vorleben. Es wäre undenkbar, dass hier jemand arbeitet, der von der Manndeckung überzeugt ist. Das würde nicht passen. Wir haben alle ähnliche Grundideen, die in regelmäßigen Sitzungen zusammengeführt und auf einen Nenner gebracht werden. Dennoch soll jeder Trainer seine eigenen Entscheidungen treffen.

SPOX: Sie haben lediglich drei Spieler im Kader, die älter sind als 22 Jahre. So radikal auf die Jugend setzt selbst in der zweiten Mannschaft kaum ein anderes Team. Was ist der Grund?

Gisdol: Je früher die Spieler bei uns sind, desto besser ist es.

SPOX: Weil Sie sie dann mehr prägen können?

Gisdol: Genau so ist es. Darum schauen wir bei jungen Spielern, die wir von außerhalb holen, auch darauf, dass sie idealerweise spätestens im ersten A-Jugend-Jahr zu uns kommen. So können sie noch rechtzeitig "sozialisiert" werden.

SPOX: Dabei müssen die Talente offenbar nicht zwingend aus Deutschland kommen. Mit Jannik Vestergaard kam vor dieser Saison ein 18-jähriger Abwehrspieler aus Dänemark.

Gisdol: Für ihn haben zwei Dinge gesprochen: Zum einen hat er international schon auf sich aufmerksam gemacht, zum anderen spricht er dank seiner deutschen Mutter perfekt deutsch.

SPOX: Deutsch sprechen ist also doch eines der wichtigsten Kriterien bei der Suche nach Talenten?

Gisdol: Vorrangig schauen wir darauf, deutschsprachige Spieler nach Hoffenheim zu holen. Aber natürlich scouten wir auch international. Alles, was in Europa in diesem Alterbereich interessant ist, ist auch ein Thema für uns. So muss der Weg für Hoffenheim sein: Top-Talente frühzeitig verpflichten, sie ausbilden und auf unsere Philosophie trimmen.

SPOX: Einige Talente scheinen dabei auf dem besten Weg. Bei wem würde es Sie wundern, wenn er es nicht in die Bundesliga schafft?

Gisdol: Das ist natürlich immer schwierig für einen Trainer, gerade auch, weil es die unterschiedlichen Entwicklungsphasen zu berücksichtigen gilt. Nach jetzigem Stand bringt ein Denis Thomalla sehr gute Voraussetzungen mit, sich im Profi-Bereich durchzusetzen. Ich bin mir sicher, dass die Mehrheit unserer Talente irgendwo zwischen der ersten und drei dritten Liga landen werden.

SPOX: Bei Marco Terrazzino war davon auszugehen, dass er es in der Bundesliga schafft. Seit dieser Saison zählt er aber nur noch zum Kader der 2. Mannschaft. Was ist schief gelaufen?

Gisdol: Es ist nie absehbar, wie schnell sich ein junger Spieler entwickelt. Damals war es sicher die richtige Entscheidung, ihn in den Bundesliga-Kader zu nehmen. Vor dieser Saison haben wir aber zusammen mit Marco festgelegt, dass es besser für ihn ist, wenn er ein festes Zuhause in der U 23 hat. Es ist nicht jedermanns Sache, bei den Profis zu trainieren und nur zum Spielen in die zweite Mannschaft zu kommen. Bei ihm war es so, deshalb tut ihm die neue Situation gut.

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