Der Anschlag

Volkan Demirel hat genug: Er verlässt wutentbrannt den Platz
© ntv spor

Der türkische Fußball liefert einen Skandal nach dem anderen. Nach dem ersten Pflichtspiel-Sieg im Jahr 2014 werden türkische Journalisten verprügelt. Sie wollten über die Flucht von Nationaltorhüter Volkan Demirel berichten.

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Eigentlich wäre es eine gute Gelegenheit gewesen, das völlig absurde Länderspieljahr versöhnlich zu beenden. 3:1 gewann die türkische Nationalmannschaft gegen die Auswahl Kasachstans. Der erste Pflichtspiel-Sieg für die Türkei seit Oktober 2013, der erste Sieg in der Qualifikationsrunde zur EM 2016. Doch ein bisschen Hoffnung im Kampf um eines von 24 EURO-Tickets.

Zeitweise spielte die Truppe Fatih Terims gar ansehnlichen Fußball. Gegen zugegeben schrecklich schwache Kasachen wäre ein deutlich höherer Sieg durchaus möglich gewesen, würde Burak Yilmaz endlich mal seine bedenkliche Abschlussschwäche ablegen. Der Galatasaray-Stürmer hätte mehr als zweimal treffen müssen.

Aber weil der türkische Fußball derzeit offenbar einfach nicht anders kann, wurde vor und nach dem letzten Länderspiel des Jahres wieder nicht über Fußball gesprochen, sondern wieder nur über den nächsten Skandal, den das im Chaos versunkene Fußball-Land wieder einmal produziert hat.

"Ich spiele nicht"

Der Auslöser war Volkan Demirel, Torhüter von Fenerbahce und trotz zwischenzeitlicher Suspendierung auch wieder Torhüter der Nationalmannschaft. Als dieser vor Spielbeginn zum Aufwärmen den Platz der Türk-Telekom-Arena betrat, wurde er noch gefeiert. Und das ausgerechnet im Stadion Galatasarays, wo Volkan - in seiner Eigenschaft als personifizierte Rivalität der verfeindeten Klubs - schon oftmals heftig angegangen wurde.

Die Stimmung kippte allerdings kurze Zeit später. Volkan lieferte sich ein verbales Gefecht mit einigen Zuschauern, gestikulierte wild und wurde im Gegenzug ausgebuht. Entnervt verließ der Schlussmann noch während der Aufwärmphase den Platz und teilte dem anwesenden Torwart-Trainer Alper Boguslu mit, dass er nicht spielen wolle.

Nach kurzem Zwischenstopp in der Kabine verschwand der Torhüter aus dem Stadion, während seine Teamkollegen schon spielten. Volkan Babacan rückte in die Startelf, Harun Tekin auf die Bank.

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Volkan kehrt zurück

Die Türkei führte im Laufe der zweiten Hälfte 2:0, als sich die Nachricht im Stadion verbreitete, Volkan sei wieder zurückgekehrt. Allerdings war der Fahnenflüchtige nicht alleine.

Chauffiert wurde Volkan von Fenerbahce-Kapitän Emre Belözoglu, der verletzungsbedingt nicht im Kader der Nationalmannschaft stand. Mit an Bord waren aber auch Fenerbahces Teammanager Hasan Cetinkaya und einige Sicherheitskräfte des Klubs. Diese sollten offenbar für den Schutz des Klubs-Personals sorgen.

Als Volkan, Emre und Cetinkaya weit nach Spielende das Stadion verließen, wartete ein riesiges Medienaufgebot auf das Trio. "Volkan, was ist passiert? Was war los?", hallte es aus allen Ecken. Die Journalisten gingen lediglich ihrer Pflicht nach, um über die Ereignisse vor dem Anpfiff zu berichten. Und sie wurden dafür brutal zusammengeschlagen. Als Volkan, Emre und Cetinkaya mit einem Geländewagen davonfuhren, griffen die Sicherheitskräfte die anwesenden Journalisten wahllos an.

Festnahmen noch in der Nacht

Zahlreiche TV-Sender waren live auf Sendung, in der Hoffnung eine Stimme Volkans zu bekommen und mussten dann der Welt zeigen, wie ihre Reporter und Kameraleute teils brutal getreten wurden. Mehrere Journalisten wurden verletzt, Kameras zerstört.

Noch in der Nacht wurden fünf Sicherheitskräfte festgenommen und am Montagmorgen dem Richter vorgeführt. Mehrere Anzeigen werden Körperverletzung, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch laufen bereits.

Der Schock über das Geschehene wird dadurch aber nicht gelindert. "Das war keine Auseinandersetzung. Zu einer Auseinandersetzung gehören zwei Seiten, das war ein Anschlag", sagt Metin Karabas, Nationalmannschaftsreporter der Zeitung "Fanatik", der zu den Opfern gehörte.

Ungeklärt ist noch, wie die prügelnden Sicherheitskräfte überhaupt Zutritt zum Innenraum des Stadions erhielten, hatten sie doch keine gültige Akkreditierung und somit keine Berichtigung, sich in diesem Bereich aufzuhalten.

Rückkehr wegen Statuten

Ungeklärt ist auch, weshalb ein Klub eigenes Sicherheitspersonal schicken muss, wenn der Verband eine eigene Sicherheitsabteilung hat. Die unplanmäßige Abfahrt Volkans bewerkstelligte der Verband sogar selbst, indem man ihm einen Fahrer samt Wagen stellte. Als ein Reporter des TV-Senders "NTV Spor" dies beobachtete, wurde er darum gebeten, "nichts gesehen zu haben".

Volkans spätere Rückkehr ist indes nicht unbegründet. Steht ein Spieler auf dem offiziellen Spielberichtsbogen einer UEFA- oder FIFA-Veranstaltung, ist er ein potenzieller Kandidat für die obligatorische Dopingkontrolle, für die die Protagonisten ausgelost werden.

Tritt der Spieler die Kontrolle nicht an, kommt dies einer Verweigerung gleich, der Spieler würde das gleiche Prozedere und die gleichen Konsequenzen tragen, als wäre er gedopt und würde gesperrt werden. "Ich habe ihn gebeten, zurückzukommen", sagte Nationaltrainer Fatih Terim auf der Pressekonferenz später.

Vergleich mit Calhanoglu und Toprak

Im Übrigen hat auch der türkische Verband in den eigenen Statuten Passagen festgehalten, in denen ein Fernbleiben eines Länderspiels Strafen von "zwei bis 12 Monaten" nach sich ziehen müsste, doch diesbezüglich hat Volkan nichts zu befürchten.

Insbesondere Terim war nach dem Spielende damit beschäftigt, Volkan zu schützen und sich dabei in einige widersprüchliche Aussagen zu verstricken. Seine finale Ansage: Ich weiß von nichts. Wir werden das prüfen.

Das türkische Krisenmanagement versagte auch in diesem Fall. Wie schon im Fall Hakan Calhanoglu und Ömer Toprak. Dass Terim beide Spiele im Zuge ihrer angeblichen Verweigerung, zur Nationalmannschaft zu reisen, abstrafen wollte, bekommt nun eine pikante Note. Denn Volkan Demirels Verhalten im Vorfeld des Kasachstan-Spiels war nichts anderes...

Die EM-Quali-Gruppe der Türkei

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