Heilsbringer vom FC Iserlohn

Von David-Emanuel Digili
Irfan Buz im Rampenlicht: Mit Bursaspor kann er ins Pokalfinale einziehen
© seskim

Irfan Buz soll bei Bursaspor nach der Entlassung von Christoph Daum retten, was noch zu retten ist - der Verein hinkt den eigenen Erwartungen hinterher. Dabei war der 47-Jährige im vergangenen Jahr noch Trainer in der deutschen Verbandsliga.

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Wenn Bursaspor am Mittwochabend Galatasaray zum Halbfinal-Rückspiel im türkischen Pokal empfängt, dann steht beim Klub aus der Westtürkei besonders der Trainer im Mittelpunkt.

Denn Irfan Buz steht für die ungewöhnlichste Geschichte dieser Saison. Buz ist seit Ende März im Amt bei den "Krokodilen", folgte auf den glücklosen Christoph Daum, dem er zuvor als Assistent zur Seite stand - und wurde zur einzigen positiven Entdeckung dieser Spielzeit in der Urlaubsstadt.

Über Plettenberg und Olpe in die Süper Lig

In einer Liga, deren Klubs über die Jahre allzu gerne namhafte alte Herren des Trainergeschäfts, die längst den Zenit ihres Schaffens überschritten haben, als Notnagel verpflichteten, ist Buz der Nobody aller Nobodys.

Der bisherige Lebenslauf des in Deutschland aufgewachsenen Fußball-Lehrers liest sich mindestens unspektakulär, für die große Bühne fast schon kurios: Zu aktiven Zeiten stand der Mittelfeldspieler unter anderem für den Istanbuler Vorort-Klub Sariyer, Vanspor und Sakaryaspor in der ersten und zweiten türkischen Liga auf dem Platz, wurde 1995 dann Spielertrainer bei Barisspor Hackenberg und war damit wieder zurück in Deutschland.

Gerade auch Trainerstationen wie der TuS Plettenberg, die Spielvereinigung Olpe oder zuletzt der FC Iserlohn 46/49 sind nur absoluten Kennern des Fußballs ein Begriff - und doch hat es Buz jetzt innerhalb weniger Monate endgültig auf die Fußball-Landkarte geschafft.

Im vergangenen August nahm Bursa - direkt nach der Daum-Verpflichtung - Kontakt zu Buz auf, nur wenige Tage später stand der Wechsel fest. "Die Nachricht hat uns völlig auf dem falschen Fuß erwischt", bestätigte Iserlohns Sportlicher Leiter Andreas Friedberg damals.

Erst Wochen zuvor war der Trainer aus Olpe nach Iserlohn gekommen. "Wir wollten ihm keine Steine in den Weg legen, so eine Chance kriegt man nur einmal", erklärt Friedberg. Dabei hatte Buz schon im Sommer 2011 die Chance auf den Sprung in den Profifußball - der damalige Süper-Lig-Aufsteiger Samsunspor suchte einen deutschsprachigen Assistenten für Cheftrainer Vladimir Petkovic.

Doch damals entschied sich der Gefragte gegen die Chance - und für die Familie. "Ich hätte genug Erfahrung mitgebracht", erklärte Buz nach der Absage. "Aber als Familienvater muss man genau überlegen, ob man sich auf solch' ein Abenteuer einlässt - der Fußball ist so ein schnellebiges Geschäft."

Dem Bursa-Angebot indes konnte Buz nicht mehr widerstehen - und hat es in wenigen Monaten aus der deutschen Verbandsliga zum Trainer eines türkischen Spitzenklubs gebracht, leitet gestandene Namen des internationalen Fußballs wie Torwart Sébastien Frey, Abwehrmann Taye Taiwo oder den ehemaligen Bochumer Stanislav Sestak an.

"Das Vertrauen des Klub-Präsidiums ehrt mich", sagt Buz. "Dies ist die größte Aufgabe meiner Laufbahn. Die Unterstützung, die ich auch von den Fans bisher erhalten habe, ist phänomenal."

Hohe Erwartungen nach Meisterschaft 2010

Tatsächlich hat sich die Stimmung in der Zwei-Millionen-Metropole innerhalb weniger Wochen gewandelt. Noch vor ein paar Spieltagen schien die Saison zum Desaster zu werden, Buz' Amtsantritt ist die Folge eines einzigen Missverständnisses. Zwischen Vorgänger Daum und dem ambitionierten Klub aus der viertgrößten Stadt des Landes hat es nie gepasst, die Fans liefen schon seit Wochen Sturm gegen den ungeliebten Übungsleiter.

Bereits die Saisoneröffnung gegen Eskisehir - ausgerechnet mit Bursas Meistertrainer Ertugrul Saglam als Verantwortlichem - ging 0:2 verloren, über die gesamte Spielzeit hinweg kam die Mannschaft nicht über Platz sieben hinaus, lief zeitweise sogar Gefahr, in den Abstiegskampf zu geraten. Aktuell beträgt der Abstand zur Gefahrenzone acht Punkte. Selten war im bisherigen Saisonverlauf eine klare Tendenz nach oben erkennbar, nach einer Serie von sieben Spielen ohne Niederlage setzte es erst Anfang Februar eine herbe 0:6-Demontage bei Galatasaray.

Zu groß war die Erwartungshaltung, dazu rumorte es lange im Team. Erst im November wollte Spielmacher Pablo Batalla den Verein so schnell wie möglich verlassen, kanzelte Daum als "respektlos" ab. "Unter Christoph Daum werde ich nie mehr für Bursaspor spielen", drohte der Argentinier damals - und wurde im Februar zu Beijing Guoan nach China abgeschoben.

Dann suspendierte die Vereinsführung Stürmer Sebastian Pinto, nachdem der zu einem Rundumschlag ausgeholt hatte: "Ich darf nicht spielen, und wechseln darf ich auch nicht", beklagte der Chilene nach einem geplatzten Transfer ins brasilianische Bahia. "Ich bin Nationalspieler und brauche Spielpraxis. Wenn mich Trainer Daum hier schon nicht haben möchte, dann soll er mich wenigstens gehen lassen."

Dabei wollte sich der Klub nach der überraschenden Meisterschaft 2010 in der Spitzengruppe der Liga dauerhaft festsetzen, einen Gegenpol zur Phalanx der "großen Vier" um Galatasaray, Fenerbahce, Besiktas und Trabzonspor bilden.

Doch stattdessen wurde gerade in der laufenden Saison deutlich der Anschluss verloren: Aus dem Kader der Meistermannschaft sind nur noch zwei Spieler dabei, Neuzugänge wie Colin Kazim-Richards konnten sich nicht durchsetzen. "Als Christoph Daum das Team verließ, war die Stimmung sehr bedrückt", bestätigt Buz.

"Wollen gegen Galatasaray das Spiel des Jahres liefern"

Ausgerechnet die erste Partie des unverhofften Heilsbringers nun war das Hinspiel im türkischen Pokal gegen Galatasaray - mit einer starken Leistung trotzte Bursa den "Löwen" ein 2:2 ab, hat damit alle Chancen aufs Finale.

"Heute ist einer der glücklichsten Tage in meinem Leben", sagte Buz nach der Partie vor drei Wochen. "Heute haben wir das echte Bursaspor auf dem Platz gesehen." Zwar ging der Liga-Einstand 0:3 gegen Fenerbahce verloren, darauf folgten aber ein 4:3-Sieg gegen Sivasspor nach zweimaligem Rückstand, zuletzt am vergangenen Wochenende ein 1:1 bei Kasimpasa.

Nach den ansprechenden Ergebnissen scheint es sogar möglich, dass Buz über die Saison hinaus im Amt bleibt. "Ich bin kein Showman", beschreibt er sich selbst, "aber ein akribischer Arbeiter, bei dem man weiß, was man bekommt. Ich verstelle mich nicht. Seit meinem ersten Tag hier in Bursa arbeite ich intensiv mit den Spielern, spreche mit jedem einzelnen, versuche, Zusammenhalt aufzubauen. Bursaspor ist ein großer Verein, das sollte jedem, der dieses Trikot trägt, bewusst sein."

Erst am Sonntag feierte der Übungsleiter seinen 47. Geburtstag - der Einzug ins Pokalfinale nun wäre wohl das schönste nachträgliche Geschenk.

"Gegen Galatasaray wollen wir bis zum Letzten kämpfen und das Spiel des Jahres liefern," kündigte der Trainer im Vorfeld an. Und die ungewöhnlichste Geschichte dieser Süper-Lig-Saison hätte ein weiteres Kapitel.

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